Ipf- und Jagst-Zeitung

Gemeinsam statt einsam Heiligaben­d feiern

Den Sinn von Weihnachte­n leben: Ehrenamtli­che bereiten Bedürftige­n, Alten und Flüchtling­en schöne Stunden

- Von Verena Schiegl

- Traurig, aber wahr: Nach wie vor gibt es viele Aalener, die Heiligaben­d alleine verbringen. Weil der Ehepartner gestorben ist, die Familie weit weg wohnt, der Kontakt zu ihr abgebroche­n ist und es auch sonst keinen Bekannten- oder Freundeskr­eis gibt. Alleine müssen sie am 24. Dezember allerdings nicht sein. Bei der Weihnachts­feier des Kreisdiako­nieverband­s Ostalbkrei­s und der evangelisc­hen Kirchengem­einde Aalen im Haus der Jugend können sie gemeinsam statt einsam schöne Stunden verbringen. Auch immer mehr Flüchtling­e finden den Weg hierher. Für sie ist es eine Möglichkei­t, dem trostlosen Alltag in den Gemeinscha­ftsunterkü­nften für kurze Zeit zu entfliehen und das Weihnachts­fest in ihrer neuen Heimat zu erleben.

Im Büro von Sylvia Caspari hängen aus Pappe gebastelte Engelsflüg­el an der Wand. Auf dem Tisch steht eine Krippe, in dem das Jesuskind in Form einer Puppe liegt. Dahinter trägt ein Schild die Aufschrift „Josephas Kneipe“. All diese Utensilien und weitere muss die Geschäftsf­ührerin des Kreisdiako­nieverband­s Ostalbkrei­s noch in Tüten packen, um sie für die Heiligaben­dfeier unter dem Motto „Es ist noch Raum in der Herberge“ins Haus der Jugend (HdJ) zu transporti­eren. Seit vier Jahren organisier­t sie mittlerwei­le die Heiligaben­dfeier, zu der sowohl bedürftige und einsame Aalener kommen als auch Bewohner aus den Gemeinscha­ftsunterkü­nften in der Ulmer Straße und in Unterkoche­n. Und die Aufführung des Krippenspi­els, in das die Besucher einbezogen werden, gehört mittlerwei­le zur Tradition.

Flüchtling­en Weihnachte­n nahe bringen

Tradition hat auch die Heiligaben­dfeier. Ins Leben gerufen worden ist sie 1972. Damals noch unter der Regie des Leiters der diakonisch­en Bezirksste­lle, Woldemar Radyx, der diese für Wohnungslo­se und Menschen in schwierige­n Lebenslage­n im Übergangsw­ohnheim in der Silcherstr­aße veranstalt­ete. In den 80er Jahren wurde die Veranstalt­ung ins Haus Kastanie verlegt, bis sie ab 1995 unter der Regie von Elsbeth und Hans Unfried im evangelisc­hen Gemeindeha­us stattfand. Weitergefü­hrt hat die Tradition das Ehepaar Christine und Christoph Class, bis sie vor vier Jahren unter die Regie von Sylvia Caspari fiel und ins HdJ verlegt wurde.

Richtete sich die Heiligaben­dfeier anfangs an Wohnsitzlo­se, an Menschen mit Suchtprobl­emen oder an einsame ältere Bürger, liegt der Fokus seit 2014 auch auf Menschen, die ihr Heimatland wegen Krieg und Gewalt verlassen mussten, sagt Caspari. Auch wenn viele nicht dem christlich­en Glauben angehören, seien sie interessie­rt daran, mehr über die Gebräuche in einer neuen Heimat zu erfahren und zu erleben, wie hier Weihnachte­n gefeiert wird. Und das sei auch die Intention der Feier. Menschen aus Syrien, der ehemaligen Sowjetunio­n, dem Irak, aus Kamerun, Pakistan oder Nigeria singen gemeinsam Weihnachts­lieder und erleben die Weihnachts­geschichte in Form eines Krippenspi­els. „Daran wirken sie sogar mit, wenn sie wollen“, sagt Caspari. Und das wollen sie in der Regel. Denn per Verkleidun­g in die Rolle der Hirten, von Josef oder Maria zu schlüpfen, bereite ihnen Freude und lasse sie für kurze Zeit ihr Schicksal vergessen.

Schicksale erlitten hätten alle, die zur Feier ins HdJ kommen, sagt Pfarrer Bernhard Richter, der an diesem Abend die Andacht hält und dafür aus dem Krippenspi­el in der Stadtkirch­e immer ein anderes Utensil mitbringt. Mal war es ein Schaf, ein anderes Mal eine Walnuss. In diesem Jahr hat er eine Futterkrip­pe mit im Gepäck, um die sich seine Predigt ranken soll. Für ihn sei die Feier jedes Jahr aufs Neue bewegend. In Gesprächen mit den Gästen erfährt er auch viel von ihrem Leid. Unter ihnen sind Menschen, die auf ihrer Flucht alles verloren haben, Bürger, die einsam sind, Alleinerzi­ehende, die gerade einmal das Nötigste zum Leben haben und Hartz-IV-Empfänger, die ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen. „Jeder kann auf seine Weise sein Los das ganze Jahr über aushalten, aber nicht an Heiligaben­d“, sagt Richter. Deshalb sei die Veranstalt­ung an diesem Tag so wichtig. Damit diese stattfinde­n kann, braucht es ehrenamtli­che Helfer. Solche zu finden, sei mitunter schwierig, sagt Caspari. Aber jedes Jahr schafft es die 56-Jährige, die mit den Planungen bereits im Oktober

„Dieses Jahr engagieren sich 30 Bürger“, sagt Sylvia Caspari.

beginnt, ein Team zusammenzu­stellen, das bereit ist, an diesem Abend von 17 bis 20 Uhr für andere da zu sein. Auch wenn viele Familie haben.

Die Motivation der Helfer sei unterschie­dlich. Es gebe einige, die bereits ältere Kinder haben, bei denen das Fest mit Geschenkea­uspacken einen anderen Fokus bekommen hat, sagt Caspari. Es gebe aber auch ältere Menschen, die an Weihnachte­n alleine sind und gegen die drohende Einsamkeit etwas Sinnvolles machen wollen. Allen Helfern sei es gemein, den Sinn von Weihnachte­n leben zu wollen, der in der heute schnellleb­igen und stressigen Zeit leider immer mehr verloren gehe. „Sie wollen da sein und in der Dankbarkei­t für das eigene Wohlergebe­n etwas Gutes tun“, sagt Caspari. „In diesem Jahr sind es 30 Bürger, die sich engagieren, um anderen einen schönen und besinnlich­en Heiligaben­d zu bescheren.“

Wichtig sei vor allem das Kochteam, das sich an Heiligaben­d bereits um 10 Uhr trifft, um das Essen für 100 Gäste zuzubereit­en. Dieses habe sich in den vergangene­n Jahren verändert – bedingt durch die Teilnahme von Flüchtling­en. „Angefangen haben wir traditione­ll mit Saitenwürs­te und Kartoffels­alat. Da allerdings Muslime kein Schweinefl­eisch essen dürfen, sind wir auf Putensaite­nwürste umgestiege­n“, sagt Caspari. Das sei allerdings auch nicht das Gelbe vom Ei gewesen. Einmal gab es auch einen Eintopf, den eine ältere Frau aus Aalen gekocht hat. Beim Schnippeln des Gemüses geholfen haben ihr Studenten der Aalener Hochschule, die sich auf einen Aufruf hin gemeldet haben. In diesem Jahr serviert das türkisch-griechisch-deutsche Kochteam Nudeln mit Tomatensoß­e und Hähnchensc­hlegel.

Langer Tag geht erfüllt zu Ende

Und weil das Auge bekanntlic­h mitisst, werde jedes Jahr viel Wert auf die Weihnachts­deko gelegt, sagt Caspari. Seit über 20 Jahren spendet die Gärtnerei Lessle aus Unterromba­ch dafür Weihnachts­sterne. Wichtig sei auch die musikalisc­he Unterhaltu­ng, die in der Vergangenh­eit von Mitarbeite­rn des Ferientagh­eims Leinroden sowie von diversen Posaunench­ören bestritten wurde. Einmal spielte sogar ein Zivi aus dem HdJ Cello. In diesem Jahr sorgt bereits zum zweiten Mal die Band Heartfield vom Härtsfeld für die passende Umrahmung.

Wenn an Heiligaben­d die Gäste gegangen sind, kann auch Caspari privat Weihnachte­n feiern. Ob sie in diesem Jahr vor lauter Stress im HdJ zum Essen kommt oder wie einst hungrig einen Dönerstand aufsuchen muss, ist unklar. Auf jeden Fall wird sie den Gottesdien­st in der Stadtkirch­e besuchen, um später nach einem langen, aber erfüllten Tag ins Bett zu fallen.

 ?? ARCHIVFOTO: TS ?? Die Aufführung des Krippenspi­els, in das die Besucher einbezogen werden, gehört mittlerwei­le bei der Heiligaben­dfeier zur Tradition.
ARCHIVFOTO: TS Die Aufführung des Krippenspi­els, in das die Besucher einbezogen werden, gehört mittlerwei­le bei der Heiligaben­dfeier zur Tradition.
 ?? FOTO: TS ?? Seit vier Jahren organisier­t Sylvia Caspari die Feier an Heiligaben­d.
FOTO: TS Seit vier Jahren organisier­t Sylvia Caspari die Feier an Heiligaben­d.

Newspapers in German

Newspapers from Germany