Kein Happy End an Weihnachten
Eigentor von Mario Gomez, Fehlschuss von Nicolas Gonzalez: Der VfB geht deprimiert in die Winterpause
- Gäbe es die perfekte traurige Weihnachtsgeschichte, der VfB Stuttgart hätte sie am Samstag geschrieben. Um 17.25 Uhr versammelten sich alle Spieler nochmals am Mittelkreis, um sich bei den Fans für die wie so oft vergebliche Unterstützung zu bedanken. Stuttgart hatte gerade 1:3 gegen Schalke verloren, hatte seine Negativmarke von 13 Hinrundentoren aus dem Vorjahr nochmals knapp unterboten, und jeder Beteiligte sah noch unglücklicher aus. Der 20-jährige Nicolas Gonzalez, der es geschafft hatte, aus 17 Metern nur den Pfosten eines leeren Tores zu treffen (48.) und somit das 1:1 verpasst hatte. Torjäger Mario Gomez, der mit 33 Jahren sein erstes Eigentor der Karriere fabriziert hatte und das Spiel mit diesem 0:2 quasi entschieden hatte. Kapitän Christian Gentner, der am Freitag seinen Vater beerdigen musste und wieder mal alles gegeben hatte, um seiner Mannschaft zu helfen, auch wenn es nicht fruchtete. Natürlich regnete es in Strömen, und wäre man „Spiegel“Reporter, hätte der Stadion-DJ jetzt „Why does ist always rain on me, is it because I lied when I was seventeen?“aufgelegt. Vielleicht auch „A Hard Rain’s a-gonna fall“von Bob Dylan.
Auch der VfB wäre zuweilen gern Held in Phantasialand, nichts geht ja schnell genug, seit Wolfgang Dietrich und sein Europacup-Fünfjahresplan den Vorsitz im Club übernommen haben. Doch weil Ansprüche oftmals wenig mit Wirklichkeiten zu tun haben, liest sich auch die Jahresgeschichte 2019 sehr trist, so in etwa: Es war einmal ein Verein, der sich nicht damit zufrieden gab, kleine Schritte zu machen. Er wollte möglichst sofort und regelmäßig besser, erfolgreicher, und vor allem: schöner, offensiver, ästhetischer spielen. Also entließ dieser Club im Januar Hannes Wolf, einen soliden Jung-Trainer, der auf Nachwuchs setzte, tauschte ihn gegen Tayfun Korkut aus, der zwar nicht schöner, aber wesentlich ertragreicher spielen ließ, und ersetzte auch diesen, als die Erträge ausblieben. En passant veränderte dieser Club auch noch die Philosophie: Routiniers mit Stallgeruch sollten Besserung bringen. Inzwischen, am Jahresende, hat der VfB gar nichts mehr. Keine Philosophie, keinen Spielstil, dafür eine Mannschaft aus vielen älteren und vielen jüngeren und vielen verletzten Spielern, der das Mittelalter fehlt und die von einem Trainer betreut wird, der ihr noch keine Identität schenken konnte. Ergebnis: Stuttgart geht nur deshalb als 16. in die Winterpause, weil zwei Mannschaften (Hannover und Nürnberg) noch schlechter sind.
Andreas Beck, Stuttgarts Rechtsverteidiger, ist kein Gewöhnlicher. Der 31-Jährige, in Sibirien geboren, bei Aalen aufgewachsen, hat die alten russischen Klassiker gelesen, Tolstoi, Dostojewski, er gilt als einer der (wenigen) Intellektuellen der Bundesliga, und vielleicht sollte man ab und an auf so einen hören, vor und nach dem Spiel und in der Kabine: „Meine Erfahrung sagt: Es geht nur über Arbeit, darüber, jeden Tag an die Grenze zu gehen und sich verbessern zu wollen. Und darüber, Gefallen daran zu finden, im Abstiegskampf wieder aufzustehen. Wir dürfen uns nicht ins Fäustchen lügen, dass es eine einfache Nummer wird. Das kann bis zum letzten Spieltag andauern, vielleicht sogar mit Relegation“, sprach Beck – und könnte Recht behalten. Auch Augsburg auf Rang 15 steckt zwar in der Krise, wirkt aber wie Düsseldorf wesentlich kompakter als der VfB, dessen Torverhältnis von Minus 23 noch schlechter ist als das von Schlusslicht Hannover.
Auch für Weinzierl war die elfte Saisonniederlage, dazu gegen seinen Ex-Club, ein Tiefschlag. Auf der Pressekonferenz saß sein Schalker Nachfolger Domenico Tedesco neben ihm und plauderte gut gelaunt davon, „dass man auch mal sechs Tore schießen könnte“, wenn man die Konter besser ausspiele. Weinzierl verteidigte sich damit, dass man nach sieben Minuten bereits 1:0 führen müsste, hätte Erik Thommy das missglückte Abspiel von Torhüter Ralf Fährmann ins Tor gedonnert. Und die vergebene Chance von Gonzalez nannte er eine „zehntausendprozentige“. Nur: Die Niederlage des VfB war hochverdient. Was sich bessern muss im neuen Jahr? Weinzierls Liste klang wie eine Litanei. „Wir brauchen natürlich alle Spieler fit, wir brauchen Neuzugänge, wir brauchen eine gute Vorbereitung, einen guten Start“, zählte der 43-Jährige auf. Es fehle an Stabilität in der Defensive und insbesondere Struktur, Präsenz und Torgefahr in der Offensive. Auch der sichtbar noch angeschlagene Daniel Didavi enttäuschte bei seinem 58-minütigen Einsatz.
Esswein, ein Trainertransfer
„Das schmerzt, das tut weh“, räumte Sportvorstand Michael Reschke ein, berief sich allerdings erneut auch auf das fehlende Spielglück. „Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Hinrunde.“Die Sofortmaßnahme, die der Club präsentierte, macht wenig Hoffnung: Der 28-jährige Alexander Esswein wird inklusive Kaufoption bis Saisonende von Hertha BSC ausgeliehen, damit dürfte sich die Alternative Patrick Hermann (Gladbach), ebenfalls Rechtsaußen, zerschlagen haben.
Esswein ist ein klassischer Trainertransfer: Weinzierl kennt ihn noch aus Augsburg, in Berlin kam er zuletzt nur noch in der Regionalliga zum Einsatz, Stammspieler war er in all seinen Profijahren selten, Stuttgart dürfte seine letzte Chance sein, in der ersten Liga Fuß zu fassen.Immerhin: Es werden „noch ein oder zwei“weitere Neuzugänge kommen, kündigte Reschke an: „Es ist teilweise kompliziert.“Willkommen im richtigen Leben.