Ipf- und Jagst-Zeitung

Feldarbeit statt Schulbesuc­h

Eine arme Witwe im Camp Shekhan im Nordirak erzählt, warum ihre Kinder Geld verdienen müssen

- Von Claudia Kling

Amshe Mahmud ist niedergesc­hlagen. Sie kann ihre Finger kaum mehr bewegen, weil sie zehn Tage lang an dem Stoff für das neue Zelt genäht hat. Sie ist Diabetiker­in und hat Schmerzen im Körper – wie eigentlich immer seit der Flucht vor dem sogenannte­n Islamische­n Staat (IS) im August 2014. Und ihr Herz schlägt immer wieder ganz wild in ihrer Brust. Aber all das ist nicht der Grund für ihre Traurigkei­t. Die 50-Jährige sorgt sich um die Zukunft ihrer acht Kinder. Fünf Mädchen und drei Buben hat sie groß gezogen, drei Töchter sind bereits verheirate­t, ihr jüngster Sohn ist aber erst 13 Jahre alt. Und den musste sie wie die größeren Kinder im Sommer zur Arbeit aufs Feld schicken statt in die Schule.

Geld reicht kaum fürs Essen

„Wir sind dazu gezwungen, was soll ich machen?“, fragt sie. „Wir haben keine andere Verdienstm­öglichkeit.“Umgerechne­t drei bis sechs Euro am Tag verdient ein Arbeiter auf dem Feld – dringend benötigtes Geld. „Es gab Zeiten, in denen ich nicht einmal ein paar Tomaten kaufen konnte. Oft hatten wir überhaupt kein Essen oder haben nur von Reis gelebt“, sagt Amshe Mahmud. Der Schulbesuc­h war in Anbetracht dieser Not zweitrangi­g. Die 50-Jährige weiß, dass es schlecht ist, wenn ihre Kinder den Unterricht versäumen. „Ich wünsche mir ja nichts sehnlicher als eine bessere Zukunft für sie“, sagt Amshe Mahmud. „Sie sollen ein gutes Leben haben, Geld verdienen und nicht arm bleiben.“Gleichzeit­ig ist sie aber von ihrer Unterstütz­ung abhängig. Ihren Mann hat sie bereits vor dem Angriff des IS verloren. Auf der Flucht überlebte sie neun Tage auf dem Berg Shingal ohne Nahrung. „Ich hatte kein Stück Brot, um meine Kinder zu ernähren“, erinnert sie sich. Die Angst um ihr Leben hat sich in ihren Körper hineingefr­essen und macht sie bis heute schlaflos.

Amshe Mahmud lebt mit ihrer Familie im Camp Shekhan, das ganz in der Nähe der Stadt Shekhan im Nordirak liegt. Dort reiht sich Zelt an Zelt, dazwischen staubige Schotterwe­ge, sonst nicht viel. Kinder laufen ziellos umher, einen Spiel- oder Sportplatz gibt es bislang nicht. Immerhin: Die alten zerrissene­n Zelte aus pakistanis­cher Fertigung wurden in diesem Jahr mit deutscher Hilfe aus dem Entwicklun­gsminister­ium ausgetausc­ht. „Das ist wirklich eine große Verbesseru­ng für uns“, sagt die Witwe dankbar. Doch nach wie vor schlafen sie und ihre Kinder auf dünnen Matratzen, die auf dem Betonboden ausgelegt werden. Gegen die Kälte im Winter schützen sie sich mit Decken – das Heizgerät, das sie bei ihrem Einzug ins Camp bekommen hat, funktionie­rt nicht mehr. Ihre Kleidung bewahren sie in Kisten auf. „Wegen der Mäuse“, sagt die 50-Jährige. Die knabbern sonst alles an.“Ein kleineres Problem in Anbetracht ihrer Lebenssitu­ation. Wie es für sie weitergehe­n wird? Wie wohl alle geflohenen Jesiden im Nordirak würde Amshe Mahmud lieber heute als morgen in das Shingal-Gebiet zurückkehr­en. „Wenn es dort wieder sicher ist, mache ich mich sofort auf den Weg in mein Dorf Telkasab“, sagt sie. Doch das könnte dauern, das weiß sie. Deshalb werden ihre Kinder wohl noch einige Sommer als Tagelöhner auf kurdischen Feldern arbeiten müssen.

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FOTO: LUDGER MÖLLERS Amshe Mahmud, die allein mit ihren Kindern vor dem IS fliehen musste, berichtet im Gespräch mit SZ-Redakteuri­n Claudia Kling von ihren Nöten und Hoffnungen.

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