Spannungen um Kurdengebiete in Syrien
Türkei will Kurdenmiliz vertreiben – Russland sucht Abstimmung mit Damaskus
ISTANBUL - In Syrien nehmen die militärischen Spannungen nach der Ankündigung des amerikanischen Truppenabzuges zu. Sowohl die syrische Armee von Präsident Baschar al-Assad als auch die Türkei ziehen in der Nähe der nordsyrischen Stadt Manbidsch starke Verbände zusammen. Beide Parteien wollen das Vakuum füllen, das durch den Rückzug amerikanischer Soldaten aus der Gegend entstehen könnte.
Die Türkei bekräftigte ihre Entschlossenheit, die syrische Kurdenmiliz YPG aus der Grenzregion östlich des Euphrat zu vertreiben. Unterdessen griff die israelische Luftwaffe erneut Munitionsdepots proiranischer Kräfte in der Nähe von Damaskus an.
Die YPG, ein Partner der USA im Kampf gegen den „Islamischen Staat“(IS), hatte den IS vor zwei Jahren aus Manbidsch vertrieben und kontrolliert seitdem die Stadt, die rund 20 Kilometer südlich der türkischen Grenze liegt. Ankara betrachtet die YPG als syrischen Ableger der Terrororganisation PKK und strebt deshalb die Entfernung der Kurdenmiliz aus der Gegend auf der syrischen Seite der Grenze an. Der von US-Präsident Donald Trump vorige Woche verkündete amerikanische Truppenabzug aus Syrien bedeutet, dass die YPG einer türkischen Militärintervention schutzlos ausgeliefert wäre.
Obwohl die in Manbidsch stationierten US-Soldaten noch nicht abgezogen sind, hat die Kurdenmiliz die syrische Regierung und die russischen Militärs gegen die Türkei zu Hilfe gerufen. Die russische Armee hat in dem Dorf Arima westlich von Manbidsch laut Medienberichten ein Koordinationszentrum eingerichtet, um sich mit syrischen Regierungsverbänden beim Marsch auf die Stadt abzustimmen. Regierungstreue syrische Kommentatoren berichteten am Mittwoch, erste syrische Soldaten seien in den Außenbezirken von Manbidsch angekommen. Gleichzeitig rückten auch protürkische Rebellenverbände auf Manbidsch zu. Die Schlacht werde bald beginnen, sagte Rebellensprecher Jussef Hamud der Nachrichtenagentur Reuters. An der türkischen Grenze zu Syrien trafen zusätzliche Panzer ein.
ISTANBUL - Das Jahr 2018 war ein gutes Jahr für autokratische Machtpolitiker im Nahen Osten. An ein demokratisches Aufbegehren wie im arabischen Frühling ist in den meisten Staaten der Region nicht zu denken – stattdessen bestimmen vielerorts Alleinherrscher die Geschicke der Weltgegend, zum Teil mit eiserner Faust. Ein Blick auf die wichtigsten Akteure:
Wladimir Putin
Der russische Präsident hat seine Schlüsselposition im Nahen Osten ausbauen können. Der 66-Jährige unterstützte den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, arbeitete eng mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan zusammen, führte Gespräche mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und solidarisierte sich mit dem umstrittenen saudischen Thronfolger Mohammed bin Salman. Putin untermauerte die neue Stärke Russlands im Nahen Osten, während die Bedeutung der USA in der Region zurückging. So profitiert Moskau unter anderem vom geplanten Truppenabzug der USA aus Syrien. Syrien ist so zu einem russischen Vorposten in Nahost geworden. Der Moskauer Einfluss reicht mittlerweile bis nach Ägypten und Libyen. Im neuen Jahr wird es jedoch auch für Putin schwerer. Er dringt darauf, den Konflikt in Syrien zu beenden – dürfte dabei jedoch auf Einzelinteressen verschiedener Akteure in der Region stoßen, die unter anderem seine Kooperation mit Erdogan auf eine harte Probe stellen könnten.
Baschar al-Assad
Auch der syrische Präsident darf sich zu den Gewinnern des Jahres rechnen. Mit Offensiven gegen RebellenHochburgen hat er mit russischer und iranischer Hilfe den seit 2011 anhaltenden Krieg militärisch zu seinen Gunsten entschieden. Die Provinz Idlib, die einzige Machtbastion der Assad-Gegner, ist umzingelt. Russlands Beistand wird dafür sorgen, dass Idlib keine ernsthafte Bedrohung für den 53-Jährigen im Präsidentenpalast von Damaskus mehr darstellt. Auch außenpolitisch konnte Assad punkten. Mehrere mit Assad verfeindete Golfstaaten wollen ihre Botschaften in der syrischen Hauptstadt wieder eröffnen. Zum ersten Mal seit 2011 empfing Assad kürzlich einen arabischen Staatschef: den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir, der wie Assad selbst international als Massenmörder gilt. Selbst die türkische Regierung, eine der schärfsten Kritikerinnen Assads in den vergangenen Jahren, deutete an, sie könne sich eine Zusammenarbeit mit dem syrischen Machthaber unter bestimmten Voraussetzungen wieder vorstellen. Ähnlich wie Putin wird Assad im neuen Jahr jedoch die Frage beantworten müssen, wie er seine Erfolge in praktische Politik umsetzen will. Bisher deutet nichts darauf hin, dass Assad auf seine Gegner zugeht, im Gegenteil: Viele der rund fünf Millionen syrischen Flüchtlinge im Ausland müssen damit rechnen, bei einer Rückkehr enteignet oder verhaftet zu werden. Niemand weiß, wie Assad die nach seinen Worten nötigen 400 Milliarden Dollar für einen Wiederaufbau des Landes auftreiben will.
Recep Tayyip Erdogan
Der türkische Präsident konnte im ablaufenden Jahr einen seiner größten Erfolge feiern. Bei der Wahl im Juni wurde der 64-Jährige als Staatsoberhaupt mit weitreichenden Machtbefugnissen im Amt bestätigt. Das Amt des Ministerpräsidenten wurde abgeschafft, das Parlament verlor wichtige Befugnisse zur Kontrolle der Regierung. Erdogan ist nicht nur Präsident, sondern gleichzeitig auch Regierungschef, Vorsitzender der Regierungspartei AKP, Oberbefehlshaber der Streitkräfte sowie Chef eines 200-MilliardenDollar-Fonds aus Staatsunternehmen. Viele innenpolitische Gegner sitzen im Gefängnis. Erdogans Beziehungen zum Westen blieben zwar schwierig, doch konnte er sein Verhältnis zu Europa und zu den USA zumindest etwas entspannen. Gleichzeitig leitete er mit Putin die bislang engste Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Russland ein. Dabei ging es nicht nur um Syrien, sondern auch um wirtschaftliche und militärische Kooperation. Die Türkei ist eine wichtige Zwischenstation für russische Gaslieferungen nach Westeuropa und will zum Ärger ihrer NatoPartner ein russisches Raketenabwehrsystem kaufen. Das neue Jahr könnte weniger rosig für Erdogan werden. Die Wirtschaft steckt in der Rezession. Einige Wirtschaftsexperten rechnen damit, dass sich die Erdogan-Regierung mit der Bitte um Wirtschaftshilfe an den Internationalen Währungsfonds wenden wird.
Abdel Fattah al-Sisi
Auch Ägyptens Präsident wurde im zu Ende gehenden Jahr wiedergewählt – allerdings in einer Wahl, die noch viel umstrittener war als die in der Türkei: Selbst Sisis Gegenkandidat war ein Anhänger des Präsidenten. Inzwischen fordern seine Gefolgsleute, die bestehende Begrenzung auf zwei Amtsperioden für den Staatschef aufzuheben – der 64-jährige Sisi könnte dann Präsident auf Lebenszeit werden. Die Regierung des Ex-Generals, die 2013 mit einem Militärputsch an die Macht kam, geht mit Härte gegen innenpolitische Kritiker vor. Außenpolitisch hat sich Sisi eng mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten verbündet und ist damit ein politischer Gegner der Türkei und Katars. Ungeachtet des traditionellen Bündnisses mit den USA – Washington gewährt Kairo jährlich 1,3 Milliarden Dollar an Militärhilfe – schloss Sisi mit Putin eine Vereinbarung über eine strategische Partnerschaft mit Russland. Im neuen Jahr wird sich Sisi um die Wirtschaft im mit 100 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten arabischen Land kümmern müssen. Die Bevölkerung wächst jedes Jahr um zwei Millionen Menschen – es gibt längst nicht genügend Wachstum und Arbeitsplätze, um sie zu versorgen.
Mohammed bin Salman
Für den saudischen Kronprinzen, der allseits MBS genannt wird, hielt das Jahr 2018 wichtige Erfolge bereit, endete aber mit wachsenden Zweifeln an seiner Fähigkeit, das Königreich in die Moderne zu führen. Der 33-jährige Königssohn hatte im Vorjahr seine Position als Thronanwärter mit der Festnahme potenzieller Konkurrenten gefestigt, und auch nach dem Jahreswechsel lief zunächst alles gut für MBS. Er erhielt internationalen Zuspruch für die Lockerung rückständiger sozialer Regeln. Doch schon bald zeigten sich die Schattenseiten der Politik von MBS. Um klarzustellen, dass er keinerlei Widerspruch duldet, ließ der Prinz einige bekannte Frauenrechtlerinnen einsperren und laut Menschenrechtlern sogar foltern. Den brutalen Krieg im Jemen trieb er trotz vieler ziviler Opfer weiter voran. Dann folgte der Mord an dem regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul am 2. Oktober durch Vertraute von MBS – das Entsetzen über das Verbrechen ließ die internationale Stimmung gegen Saudi-Arabien endgültig kippen. Auf MBS wartet deshalb ein schwieriges neues Jahr. Obwohl sein Vater, König Salman, weiter zu ihm steht, wächst Medienberichten zufolge am Hof in Riad der Unmut über den Thronfolger. Im Westen will ihm kaum noch ein Politiker die Hand schütteln.