Eine Familie testet Spiele
Bei einem guten Gesellschaftsspiel müssen Ablauf, Geschichte und Design stimmen
RAVENSBURG (lsw) - Klara sitzt jetzt auf dem Esstisch. Die Sechsjährige kann so das Spielbrett am besten überblicken und Wege auskundschaften. Bruder Mika macht Verrenkungen, beugt sich weit über das Spiel, genauso wie die Eltern. Mit am Tisch sitzt Philipp Sprick – er beobachtet Familie Hesse genau. Der 39Jährige arbeitet für den Ravensburger Spieleverlag – die Hesses aus Grünkraut bei Ravensburg sind Testfamilie für eine neue Entwicklung.
„Dieses Spiel gibt es genau einmal auf der Welt – und das ist hier in der Schachtel“, sagt Sprick zu Beginn des Abends. Staunende Kinderaugen, offene Münder. Nun fängt er an, die Spielregeln zu erklären, das gehört zu seiner Arbeit als Spieleredakteur. So macht er es in Kindergärten, Schulklassen oder vor Freunden, die sich auch als Spieletester zur Verfügung stellen.
„Wer als Erstes alle Schätze gefunden hat, gewinnt.“Das Spielprinzip kennt schon jeder am Tisch: „Das verrückte Labyrinth“ist seit 1986 auf dem Markt und wurde nach Angaben des Verlags Ravensburger mehr als 20 Millionen Mal verkauft. Auch bei den Hesses steht eine Version im Regal. Doch bei der neuen Variante sind die Wege ungewohnt, das Spielbrett sieht ganz anders aus. Damit vor der Veröffentlichung keine Details bekannt werden, müssen Tester Verschwiegenheitserklärungen unterschreiben.
Nicht länger als eine Stunde
Die Ideen liefern Autoren. Auf Messen wie in Nürnberg oder Essen präsentieren sie selbst gebaute Prototypen. Oder sie schreiben die Verlage an. „Im Bereich der Familien- und Erwachsenenspiele erreichen uns etwa drei Spielideen pro Tag“, sagt Thorsten Gimmler, Product Manager bei Schmidt Spiele. Nur etwa 30 Spiele erscheinen dort aber im Jahr. Der Prozess von der Idee bis zum fertigen Spiel dauere etwa ein bis zwei Jahre, meint Gimmler. „Es wird immer wieder getestet und angepasst, so lange bis das Spiel rundum überzeugt.“
Das betrifft Anleitung, Thema, Grafik und die Story: „Das Familienspiel muss einen Spannungsbogen haben wie jeder gute Roman“, erläutert Jens Junge, Direktor des Instituts für Ludologie – also Spielwissenschaft. Es dürfe lange nicht feststehen, wer gewinne. Aber der Spannungsbogen müsse auch rechtzeitig zu einem Ende kommen: „Das klassische Familienspiel sollte nicht länger als eine Stunde dauern.“
Bei Familie Hesse hat Redakteur Sprick den Startschuss zum Test gegeben: „Spiel läuft.“Die kleine Klara spielt gemeinsam mit Papa Tim, zusammen wollen sie den zehnjährigen Mika und auch Mama Kattrin schlagen. „Ach Mann, war alles so schön“, ärgert sich die Mutter zeitweise. Am Ende wird sie doch gewinnen. „Bei Spielen können in Familien auch Machtverhältnisse umgekehrt werden“, erklärt der Forscher. „Memory ist ein gutes Beispiel: Selbst wenn sich Erwachsene anstrengen, können die Kinder besser sein. Sie haben ein gutes visuelles Gedächtnis.“Absichtlich gewinnen lassen, ist dann gar nicht nötig, Eltern verlieren gegen ihre Kinder auf Augenhöhe.
Eintauchen in andere Welten
Für Tim Hesse bedeutet Spielen mit der Familie zusammenzukommen und viel miteinander zu sprechen: „Da sind die Geschichten gut. Jetzt hat dich der Drache erwischt, das ist aber nicht schlimm. Man erzählt in der Welt, in der man spielt.“Das Eintauchen in eine andere Welt ist ein entscheidender Punkt, sagt Spielforscher Junge. „Dort darf ich in eine Rolle reinschlüpfen, darf mal anders sein, als ich normal bin.“Erwachsene wie Kinder könnten dann Charakterzüge ausprobieren, die sie sich in der Realität nicht trauten.
„Noch mal! Noch mal!“, ruft Klara nach der Runde. Für den Spieleredakteur ist das sozusagen die Bestnote. Sprick erklärt: „Macht das Spiel so viel Spaß, dass man es immer wieder spielen will? Dann ist es ein gutes Produkt.“Knapp 50 Testern hat er das abgewandelte Labyrinth schon vorgelegt. Der Abend bei den Hesses wird nicht die letzte Testrunde sein.