Überzeugendes Zeitgemälde
„Mary Shelley“: Filmischer Blick auf das Leben der Schöpferin von „Frankenstein“
Wenn eine Geschichte schon sehr oft verfilmt wurde, versuchen Filmemacher gerne, mit einem neuen Zugang für Aufmerksamkeit zu sorgen. Derzeit sehr angesagt ist die Variante, bei der nicht das Werk an sich im Mittelpunkt steht, sondern vielmehr dessen Entstehung. Gerade erst bekam Charles Dickens’ Weihnachtgeschichte diese Behandlung, nun steht, nicht ganz so besinnlich, Mary Shelleys Frankenstein an. Dabei wird die Geschichte des „modernen Prometheus“, so der weniger bekannte Untertitel des Buches, vor allem als Spiegel der Lebenserfahrungen der Autorin interpretiert. Und davon hatte Shelley reichlich vorzuweisen, obwohl sie zum Zeitpunkt der – zunächst anonymen – Veröffentlichung am 1. Januar 1818 gerade einmal 20 Jahre alt war.
Dieses ungewöhnliche Leben einer starken Frau dürfte es auch gewesen sein, was Haifaa Al-Mansour an dem Stoff gereizt hat. Schließlich kennt sich die saudi-arabische Regisseurin, Drehbuchautorin und Filmemacherin mit dem Kampf gegen gesellschaftliche Widerstände bestens aus: Mit „Das Mädchen Wadjda“drehte sie den ersten saudi-arabischen Spielfilm und musste als Frau bei der Arbeit in dem Land besondere Einschränkungen erfahren.
Auch die 16-jährige Mary Godwin (Elle Fanning) will sich nicht mit starren Konventionen und Rollenverteilungen abfinden. Rebellischer Geist wurde ihr schließlich durchaus in die Wiege gelegt: Ihre kurz nach der Geburt verstorbene Mutter war eine bedeutende frühe Feministin und Verfasserin der Schrift „Verteidigung der Rechte der Frau“. Ihr Vater, der Sozialphilosoph und Anarchist William Godwin (Stephen Dillane, Stannis aus „Game of Thrones“) legt Wert auf eine umfassende Bildung seiner Tochter – und rümpft entsprechend die Nase über deren Faszination für Schauergeschichten.
Ein unkonventionelles Leben
Als die Spannungen zwischen seiner zweiten Frau Mary Jane Clairmont (Joanne Froggatt) und Mary zunehmen, schickt er das Mädchen zu einer befreundeten Familie nach Schottland. Doch dort bleibt es nicht bei der vorgesehenen Zeit der Muße und Reflexion – Mary trifft auf den fünf Jahre älteren Dichter Percy Shelley (Douglas Booth) und ist schnell von ihm fasziniert. Auch nach ihrer Rückkehr nach London treffen sich die beiden, obwohl Mary herausfinden muss, dass Shelley bereits Frau und Kind hat, von denen er getrennt lebt. Dennoch werden die beiden ein Paar und führen gemeinsam mit Marys Stiefschwester Claire Clairmont (Bel Powley) ein unkonventionelles Leben, das allerdings nicht frei von erheblichen Spannungen bleibt…
Die zur damaligen Zeit skandalöse Verbindung samt dem Konzept der freien Liebe verleiht dem Film seinen Reiz. Fanning spielt ihre Figur als nachdenkliche junge Frau, die schnell erwachsen werden und Schicksalsschläge wie den Verlust zweier Kinder hinnehmen muss. Nicht ganz so überzeugend ist Douglas Booth als leichtlebiger Dichter, was sich auch auf die Leinwand-Chemie der beiden Figuren niederschlägt. Tom Sturridge hat dagegen sichtlich Spaß an der Rolle des verrufenen Dichter-Dandys Lord Byron, den er als eine Mischung aus Johnny Depps „Captain Sparrow“und Keith Richards anlegt. Bei einem Besuch in Byrons Anwesen am Genfer See entwickelt Shelley schließlich das Konzept für ihren „Frankenstein“-Roman.
Zwar zeigt der Film immer wieder Verbindungen zum späteren Werk der Autorin, diese hätte man aber durchaus noch nachvollziehbarer herausarbeiten können – schließlich dürften vielen eher die „Frankenstein“-Filme bekannt sein, bei denen die tiefergehenden Motive der Erzählungen oft dem oberflächlichen Horror geopfert wurden. Als Zeitgemälde kann „Mary Shelley“aber überzeugen und streckenweise auch faszinieren.
Mary Shelley. Regie: Haifaa AlMansour. Mit: Mit Elle Fanning, Douglas Booth, Tom Sturridge. GB 2017. 120 Minuten.