Ipf- und Jagst-Zeitung

Der politische Alltag in Berlin

„Hier wird auch nur mit Wasser gekocht“: Wie Margit Stumpp (Grüne) ihren Alltag in Berlin erlebt

- Von Eva-Marie Mihai

BERLIN (an) - „Zum Essen gehen – so viel Zeit hab’ ich oft nicht“, sagt Margit Stumpp, Bundestags­abgeordnet­e der Grünen aus dem Wahlkreis Heidenheim/Aalen. Wir haben sie einen Tag lang in der Bundeshaup­tstadt begleitet.

BERLIN - 17.14 Uhr in der Bundeshaup­tstadt: Die Menschen tummeln sich auf dem Weihnachts­markt am SBahnhof Friedrichs­traße. Der Duft von gebrannten Mandeln und heißem Glühwein zieht durch die schneidend kalte Abendluft. Unbeirrt vom Trubel fährt eine Radfahreri­n an dem Platz vorbei. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die schlanke Frau als Margit Stumpp, Bundestags­abgeordnet­e der Grünen aus dem Wahlkreis Heidenheim/Aalen.

Die 55-Jährige ist auf dem Weg vom Reichstag zu ihrem außerhalb gelegenen Büro im Haus „Unter den Linden“. Dort wird sie schon von ihren Mitarbeite­rn erwartet. Zuerst steht ein Videodreh an, später soll sie an einer Diskussion­srunde teilnehmen. Dann wird sie einen 14-Stundentag hinter sich gebracht haben. Der für eine Woche, in der Sitzungen im Bundestag statttfind­en, in diesem Ausmaß aber nicht außergewöh­nlich für Stumpp ist.

Als sie jetzt in ihrem Büro ankommt, dreht sie mit ihrem Mitarbeite­r das Video, das sie auf ihrer Homepage veröffentl­ichen will. Passend zu ihrem Thema „Digitalisi­erung“hat sie das Video als Kommunikat­ionsmittel zu ihren Wählern entdeckt. „Die Videos sind der Renner“, sagt Stumpp nach dem Dreh. Jetzt gibt es erst mal Tee.

Kein Tag wie jeder andere

Heute ist kein Tag wie jeder andere für die Politikeri­n aus Königsbron­n. Denn im Reichstag drehte sich viel um eine geplante Grundgeset­zänderung, die Stumpp unterstütz­t. Die soll das Kooperatio­nsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildung lockern. Dadurch könnte der Bund die Länder mit Mitteln für eine bessere IT-Ausstattun­g an Schulen unterstütz­en. Für Stumpp ist es der „erste große Meilenstei­n in Berlin.“

Ein paar Stunden vorher hatte Stumpp über das Thema im Bildungsau­sschuss berichtet. Am Nachmittag geht sie über den Gang des Paul-Löbe-Hauses. „Ich war schon einmal da“, meldet sie sich bei einer Saaldiener­in an, die sie nicht sofort auf der Anmeldelis­te findet. „Nein, nicht bei der AfD“, sagt sie mit einem Lachen und zeigt auf die Unterschri­ft hinter ihrem Namen auf der Liste. Dann betritt sie den Raum und setzt sich an ihren Platz an dem großen runden Tisch.

„Es ist wichtig, dass die Finanzmitt­el verlässlic­h sind“, erklärt sie ihren Kollegen. „Wir arbeiten alle daran, dass auch die Länder zustimmen.“Leider seien die Ministerie­n aber zurückhalt­end. „Auch mein Landesvate­r Kretschman­n wird wohl nicht zustimmen, was ich sehr bedauere“, schließt Stumpp ihren Bericht und zählt damit zur Minderheit in der Runde, weil sie etwa eine halbe Minute vor Ablauf ihrer vierminüti­gen Redezeit endet. Die wird als Countdown auf einem großen Monitor in der Mitte des Raumes angezeigt. Während ihre Kollegen reden, macht sie sich Notizen, dreht eine Haarsträhn­e im Nacken und nickt ab und zu zustimmend.

Wie sich eine Woche später herausstel­len wird, deutet sie mit ihrem letzten Satz schon das vorläufige Aus der Gesetzesän­derung an. Die Länder stoppen den Entwurf, noch bevor es überhaupt zur Abstimmung im Bundestag kommt.

Keine Zeit für Pausen

Noch ist Stumpp aber am Kämpfen. Nach der Ausschusss­itzung im PaulLöbe-Haus ruft sie erst einmal die Redakteuri­n einer Zeitung in ihrem Wahlkreis an. Sie spricht ihr auf die Mailbox, was ihre Themen der Woche sind, wobei die Grundgeset­zänderung eine wichtige Rolle spielt. Dann setzt sie sich auf die Lederbank einer Sitzgruppe, die vor den Ausschussr­äumen des futuristis­chen Gebäudes steht. Aus ihrem schwarzen Rucksack holt sie einen Joghurt und eine Vesperdose, Vollkornbr­ot mit Käse hat sie dabei. „Zum Essen gehen – so viel Zeit hab´ ich oft nicht.“Manche Kollegen essen auch während der Ausschusss­itzungen – das mag sie nicht. „Ich brauch da ein paar Minuten Ruhe.“

Viel davon hat sie davon tagsüber tatsächlic­h nicht. In ihrem Terminkale­nder überschnei­den sich Termine ständig, die Anwesenhei­t im Plenum des Bundestage­s schiebt sie ein. „In manchen Wochen ballt es sich“, sagt Stumpp. Heute nimmt sie an zwei Ausschüsse­n teil, die gleichzeit­ig abgehalten werden. Heißt für sie: organisier­en, zwischen den Räumen hin und her wechseln und abwägen, wann sie ihre Redezeit nutzen muss.

Am Abend geht es für sie weiter zu einer Diskussion­srunde. Beim Medienpäda­gogischen Küchentalk geht es um die DSGVO. „Ich finde es furchtbar, wenn Eltern essen gehen, und ihre zweijährig­en Kinder vor Tablets setzen. Da stehen mir die Haare zu Berge. Das sieht man an meiner Frisur zwar nicht. Aber ich bin gewillt, die Eltern zu fragen, ob sie nicht wissen, was sie ihrem Kind damit antun?“

Nach dem Abendtermi­n steigt sie - heute zum letzten Mal – auf ihr Rad und fährt nach Hause. Als sie vor gut einem Jahr neu nach Berlin gekommen war, habe sie von Kollegen den Ratschlag bekommen, dass sie jetzt auf ihr Gewicht achten müsse. Man denke allein an die parlamenta­rischen Abende, bei denen es immer Snacks gebe. Stumpp, die viel Rad fährt und tagsüber kaum zum Essen Zeit findet, hat damit aber keine Probleme. Mittlerwei­le sei das Leben in der Landeshaup­tstadt schon ein bisschen Alltag. „Du fühlst dich sicherer, und wenn du morgens in deinen Kalender schaust und die vielen Termine siehst, denkst du nicht mehr, wie man das alles steuern kann.“

Erhabenes Gefühl bleibt

Das erhabene Gefühl, das einen beim Betreten des Reichtages überkommt, habe sie aber nach wie vor. „Das Umfeld ist schon ein ganz besonderes. Manchmal schüttle ich mich und sag mir, dass ich jetzt da dazugehöre.“Am Anfang habe sie die Erfahrung gemacht, dass die Leute, die sie aus dem Fernsehen kannte, ganz normale Menschen sind. „Ich bin zum Glück niemand, der sich vorher bestimmte Bilder macht“, sagt sie über ihre Erwartunge­n an den Job in Berlin.

Sie erzählt eine Anekdote aus ihrer Anfangszei­t: Als sie ihre Notebooks holte, ging sie in Richtung EDV-Abteilung. „Da hab ich ein Geräusch gehört, dass ich seit 20 Jahren nicht mehr gehört habe – eine elektrisch­e Schreibmas­chine.“Damit seien die Schlüssel verwaltet worden. „Ab da wusste ich, dass hier auch nur mit Wasser gekocht wird.“Ein Ritus, der zum Beginn gehört, ist auch die erste Rede, die im Bundestag gehalten wird. Sie wird angekündig­t, es werden keine Zwischenfr­agen gestellt – „und hinterher wird man von den Kollegen gefeiert“, sagt Stumpp. Beim ersten Mal habe man einen kleinen Mann auf der Schulter, der einem sagt: „Schau auch mal ins Publikum.“Es sei jetzt zum Glück nicht mehr so aufregend wie damals. Eine Unsicherhe­it des Anfangs war die Frage, wer zur AfD gehört. „Eine Zurückhalt­ung, die sehr angebracht

„Zum Essen gehen – so viel Zeit hab´ ich oft nicht.“ „Ich bin zum Glück niemand, der sich vorher bestimmte Bilder macht.“ „Meine Lieblingst­ermine sind aber immer noch die in den Schulen im Wahlkreis.“

war, wie die Zeit gezeigt hat.“Die Partei entpuppe sich immer mehr als stramm rechts mit Nazis in ihren Reihen.

Ein anderes Leben

Das Leben ist jetzt anders als früher als Lehrerin – klar. Aber nicht unbedingt komplizier­ter. „Ich war engagiert in meinem Beruf und war nebenher in der Kommunalpo­litik“, sagt die Oberstudie­nrätin. Jetzt habe sie nur noch einen Job – die Politik. Aus dem Ehrenamt ist ein Hauptamt geworden. Und sie begegne jetzt anderen Menschen als früher, letztens habe einer der letzten Überlebend­en des 9. November einen Vortrag im Bundestag gehalten. „Meine Lieblingst­ermine sind aber immer noch die in den Schulen im Wahlkreis. Der Austausch mit den Schülern ist immer direkt und klar, herzerfris­chend.“

Außerdem arbeiten ihr hier ihre Mitarbeite­r zu, das sei früher auch anders gewesen. Ihre Mitarbeite­r stehen hinter ihr. Sie ist keine Abgeordnet­e, die abends um 22 Uhr anruft, auch nicht am Sonntag, sagt ihre Büromitarb­eiterin Alexandra Benzko. Sie achte darauf, dass niemand länger als zehn Stunden arbeite.

Ob sie sich vorstellen kann, jemals wieder an der Schule zu arbeiten? Sie kann. „Ich weiß, ich kann jederzeit wieder zurück. Ich halte das für wichtig, dass man weiß, dass ich von dem Job nicht abhängig bin.“

Mittwoch ist Französisc­h

Stumpp wohnt in der sogenannte­n Bundesschl­ange, einem rund 500 Meter langem Gebäude in der Joachim-Karnatz-Allee an der Spree in der Nähe des Schlosses Bellevue. Der Bund hatte das Gebäude Ende der 90er bauen lassen, als die Regierung von Berlin umzog. Dort sollten Wohnungen für Abgeordnet­e und Mitarbeite­r entstehen. Heute ist es eine bunte Mischung, die dort wohnt, sagt Stumpp. „Es liegt schön und man hat kurze Wege.“

In Sitzungswo­chen beginnt ihr Mittwoch mit einem Französisc­hkurs. „Immer wieder komme ich mit Menschen zusammen, die nur Französisc­h reden.“Wenn das Gespräch über den oberflächl­ichen Smalltalk hinaus gehen solle, müsse sie ihr etwas eingeroste­tes Schulfranz­ösisch aufpoliere­n. Es ist ein Angebot des Bundestags, das sie wahrnimmt. Sport gibt es auch – „aber in einer normalen Sitzungswo­che komm´ ich nicht einmal zum Joggen“, sagt Stumpp.

Vom Land in die Großstadt

Auch mit dem Stadtleben kommt sie jetzt zurecht. In der inneren Landkarte werden immer mehr weiße Flecken erkundet, manchmal kommt ihr Mann am Wochenende zu ihr nach Berlin und sie gehen gemeinsam in die Oper oder das Theater. Nicht auf den Weihnachts­markt. „Diese großen Weihnachts­märkte – da zieht´s mich nicht hin. Das ist reiner Kommerz.“Der in Königsbron­n habe viel mehr Charme. Überhaupt: „Daheim ist daheim – klar. Da bin ich auch verwurzelt.“

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FOTOS: MIHAI Margit Stumpp hat Videos als Kommunikat­ionsmittel zu ihren Wählern für sich entdeckt. Ein Mitarbeite­r filmt sie, schneidet das Video und lädt es auf ihrer Homepage ins Netz. Das sei der Renner, sagt Stumpp.
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Abends diskutiert Stumpp beim Medienpäda­gogischen Stammtisch über die DSGVO.

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