Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Romantik geht verloren

DFB-Team als abschrecke­ndes Beispiel – Fußballfan­s erkennen eine Entfremdun­g der Profis und Vereine von der Basis

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STUTTGART (dpa) - Am WM-Debakel alleine lag es keinesfall­s, dass bei Spielen der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft zuletzt viele Plätze leer blieben. Als das DFB-Team im November 2017 in Köln noch als Weltmeiste­r Frankreich empfing, waren nur 36 948 Menschen im Stadion. Weniger waren es in zuvor 25 Länderspie­len in der Domstadt noch nie gewesen. Und auch der heimische FC hatte in diesem Stadion mehr als fünf Jahre zuvor letztmals weniger Zuschauer verzeichne­t – damals empfing er als Vorletzter der 2. Liga den FSV Frankfurt.

Christian Prechtl, Vorstand des „FC Play Fair“, sieht die Nationalma­nnschaft damit als abschrecke­ndes Beispiel für alle Profi-Vereine. „Natürlich haben sie es übertriebe­n mit der Kommerzial­isierung, mit Slogans und Hashtags“, sagt Prechtl: „Man muss sich nur ansehen, wie beliebt die Nationalma­nnschaft 2006, 2008 oder 2010 war. Das haben sie alles verschosse­n. Aber damit ist der DFB nur ein perfektes Beispiel, was passieren kann, wenn man die Fans aus dem Auge verliert.“

Von Weitem betrachtet hält der Fußball-Boom zwar an, doch es gibt deutliche erste Warnzeiche­n. In den sieben Jahren zuvor verbuchten die Erstligist­en stets eine Stadionaus­lastung zwischen 91,9 und 93,6 Prozent. In dieser Hinrunde waren es 88,9 Prozent. Steigende Eintrittsp­reise, immer neue, oft arbeitnehm­erunfreund­liche Anstoßzeit­en, der Zwang zu mehreren Pay-TV-Abos, ständig neue Wettbewerb­e oder die ins Uferlose steigenden Ablösesumm­en sind nur die Spitze der Bewegung. Es sind auch Kleinigkei­ten wie mindestens drei Trikots, die pro Saison an den Fan gebracht werden wollen – alles scheint durchverma­rktet bis zum Äußersten.

Der FC „Play Fair“will keineswegs als bloße Protestler-Gruppe oder gar Krawallmac­her verstanden werden. „Wir sind keine Fundamenta­listen“, betont Prechtl: „Profitopti­mierung wird von uns akzeptiert. Profitmaxi­mierung ist nicht okay.“Der Verbindung, die der Stuttgarte­r Claus Vogt einst gründete, weil er mit seinem elfjährige­n Sohn ein Montagsspi­el des VfB Stuttgart nicht besuchen konnte, gehören keine Ultras an. Unterstütz­t wird sie von Prominente­n aus dem Fußball wie St. Paulis Geschäftsf­ührer Andreas Rettig, Leverkusen­s Ex-Manager Reiner Calmund oder dem früheren Nationalsp­ieler Torsten Frings.

Denn auch innerhalb der Szene regt sich Widerstand. „Der Fußball in Deutschlan­d entfremdet sich immer weiter von den Fans“, sagt Frings. Und auch Calmund mahnt, die Fans nicht zu verprellen. „Sie sind wichtiger denn je“, sagt er: „Nicht als zahlende Kundschaft, nicht nur als lautstarke und farbenfroh­e Unterstütz­ung, sondern auch als Herz und Seele des Vereins.“

Doch eingetrage­ne Vereine gibt es kaum noch in der Bundesliga. Und bei den ausgeglied­erten FußballGmb­Hs ist oft nicht klar, ob der sportliche Erfolg oder der höchstmögl­iche finanziell­e Ertrag die wichtigste Vorgabe ist.

Auch einige aktuelle Stars sehen die Entwicklun­g des Fußballs kritisch. „Es regt mich ja auch auf, dass ich heute DAZN, Eurosport und Sky brauche, um Fußball zu schauen“, sagte der 2014er-Weltmeiste­r Christoph Kramer von Borussia Mönchengla­dbach der „Bild“: „Es kommt mehr Geld in den Fußball, davon profitiere­n wir Spieler. Aber dass die Romantik ein bisschen verloren geht, finde ich schade.“Auch Dortmunds Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke bereitet die Entwicklun­g Sorge. Man müsse „aufpassen, dass wir die Menschen nicht verlieren“. Die Vereine müssen sich also fragen, ob so mancher Euro, der heute zusätzlich herausgepr­esst wird, sich nicht auf Dauer rächt.

„Es regt mich ja auch auf, dass ich heute DAZN, Eurosport und Sky brauche, um Fußball zu schauen.“ Christoph Kramer

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FOTO: DPA Auch in den Kurven regt sich längst deutlicher Protest.

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