„Ich habe gerade Zeit“
Wie Leni Breymaier zu ihrem Namen kam und wie sie das Ende ihres Landesvorsitzes bei der SPD einordnet
- Vor einem Restaurant im Bundestag sitzt Leni Breymaier breitbeinig auf der Betontreppe. Sie wartet auf Siegfried Lingel, mit dem sie sich dort treffen will. „Wir hatten ausgemacht, dass wir uns vor dem Eingang treffen.“Sie will mit dem Aalener Honorargeneralkonsul der Republik Mosambik über die Stellung von Frauen in dem Land sprechen. Als der weißhaarige Mann kommt, die beiden sich begrüßt haben und schließlich bei einem Kaffee für ihn und einem frisch gepressten Orangensaft für sie sitzen, bietet Lingel, ein Mann der Tat, der Abgeordneten von der Ostalb direkt einen Platz in einem entsprechenden Beirat an. „Sie fragen an einem geschickten Tag, ich habe gerade Zeit“, sagt Breymaier in Anspielung auf das Ende ihres Landesvorsitzes. „Ach, seien Sie doch froh, dass Sie diesen Scheiß loshaben“, sagt Lingel. Breymaier lacht. Laut und schallend – auf die ihr eigene Art. Heute kann sie schon über die Situation witzeln. Vor wenigen Wochen war es noch weniger lustig zugegangen. „Sie haben einen harten Kampf hinter sich“, sagt Lingel. „Ja, es war anstrengend, das sag ich Ihnen.“Von der Gewerkschaft sei sie gewohnt, dass man sich intern zwar „fetzt“, nach außen aber zusammenstehe. „Das ist in der Politik nicht so.“Sie habe sich gewundert, dass die Gegenkandidaten zu diesem Zeitpunkt „aus den Löchern gekommen seien“, das habe sie überrascht.
Nach der SPD-Abstimmung: 50 Prozent der Termine abgesagt
Auswirkungen hat das auf ihre anderen Ämter nicht. Ihren Terminkalender muss sie aber erst mal neu planen. In ihrem Büro greift sie zum Hörer und telefoniert mit einer Assistentin. Termine, die für sie als SPD-Landesvorsitzende monatelang vorausgeplant wurden, müssen jetzt alle abgeklärt werden. „Wollen die mich denn noch?“, fragt sie die Frau am anderen Telefon zu einem Termin. Ansonsten solle da direkt der Andi Stoch hingehen – dann käme der auch gleich in den Schuh rein. Etwa 50 Prozent der Termine werden abgesagt, erzählt sie. Breymaier steht hinter ihrem höhenverstellbaren Schreibtisch, ein Stuhl steht da gar nicht. Außer einem kleinen schwarzen Sofa und einer Schrankwand unterscheidet sich ihr Büro nicht grundlegend von dem ihrer Mitarbeiter, die in den angrenzenden Räumen sitzen.
Auf ihrem Schreibtisch steht ein knallgelber Adventskalender der Post. Breymaier klärt ab, ob ihre Mitarbeiter auch einen haben. Nein? Dann gehe es der Reihe nach mit dem Türöffnen, sagt sie. Dann verlässt sie das Büro und geht durch die Unterführung in Richtung Reichstag. Unterwegs lächelt sie und grüßt im Vorbeigehen. „Ich bin eine Kampf-Grüßerin.“Sie müsse aufpassen, nicht versehentlich AfDler zu grüßen. In ihrem Wikipedia-Eintrag wird sie noch als Magdalena „Leni“Breymaier vorgestellt. Was eigentlich falsch ist. Seit dem Wahlkampf im vergangenen Jahr hat sie den Namen, den ihre Mutter und Großmutter ebenfalls trugen, abgelegt und heißt jetzt offiziell Leni. Auf den Wahlplakaten darf nämlich nur der eingetragene Name stehen. „Wenn ich da schreib: Magdalena Breymaier, dann weiß keine Sau, dass ich das bin.“Nach der Namensänderung habe sie interessanterweise Rückmeldung von anderen bekommen, die Schwierigkeiten hatten, ihren Namen zu ändern. Sie habe das aber mit ihrer politischen Karriere gut begründen können.
Im Plenum hat sie vier Minuten Redezeit zur Organspende. Dazu hat sie einen ganz besonderen Bezug. Ihr eigener Vater hatte seinen Körper der Uni Ulm vermacht, „seither hab ich einen Hau“, sagt die Politikerin mit einem Lachen. Die Beerdigung fand erst ein Jahr später statt. „Ich liebe Beerdigungen“, sagt Breymaier. Für die Gewerkschaft hat sie sogar einen Leitfaden geschrieben, wie sie sich bei Todesfällen von Mitgliedern verhalten sollte. Am Nachmittag telefoniert sie mit dem Patenkind ihres Mannes, einer Herzchirurgin, die bei Transplantationen im Hubschrauber mitfliegt. Und die habe ihr so detaillierte Auskünfte gegeben. Das Resümee: „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich nichts weiß.“Ihre Taktik sei jetzt, sich auf mehrere Aspekte vorzubereiten. Im Plenum sind dann anderthalb Stunden Redezeit zu dem Punkt eingeräumt, was ungewöhnlich viel ist. „Bis ich mit meinen vier Minuten Redezeit dran bin, haben so viele Leute schon etwas dazu gesagt, da pick ich mir heraus, was noch neu ist.“Eine sympathische Herangehensweise in einem Saal voller Menschen mit ausgeprägtem Rededrang.
Kleiderauswahl steigert sich im Lauf der Woche
Sich in Themen einarbeiten gehört zum täglichen Geschäft. „Ich fand die Politiker immer blöd, die gesagt haben, dass sie da nicht zuständig sind, wenn ich etwas hatte.“Außerdem bekomme sie im Bundestag so viel Zuarbeit wie nie zuvor. Und wenn sie schon den ganzen Tag im Plenum sitze, könne sie auch manchmal etwas nebenher bearbeiten. Zum Beispiel Weihnachtskarten unterschreiben – was sie heute macht.
Ihre Kleiderwahl steigere sich im Lauf der Sitzungswoche. Gegen Ende der Woche, wenn es dann ins Plenum geht, werde es schicker. Allerdings sei es schon lange so, dass sie nicht mehr morgens die Kleiderauswahl an anstehende Termine anpasse. Mittlerweile muss sie immer vorzeigetauglich sein. „Immer wieder kommt dann doch noch eine Interviewanfrage.“Wenn sie im Fernsehen zu sehen war, bekommt sie Rückmeldung. Immer und ungefragt – auch aus ihrem privaten Umfeld. „Niemand weiß, was ich gesagt habe, aber alle haben Tipps zu den Kleidern oder dem Schmuck.“Was sie sich anfangs noch zu Herzen genommen habe, im Lauf der Zeit aber gemerkt habe: „Ich bin am besten, wenn ich mich wohlfühle.“Daher bleibe es bei gedämpften Farben und bei dem „Schlabberzeug“, wie sie sagt. Wenn sie farbige Akzente setzt, dann in Rot. Sie habe eine knallgelbe Jacke, die bei den Kollegen verschrien sei. Ebenso der Dialekt, den sie gar nicht erst versuche zu verleugnen, sagt Breymaier. „Schwäbisch ist meine Gassensprache.“Natürlich rede sie nicht urschwäbisch, wenn sie bei Markus Lanz sitze, aber als 17-Jährige habe sie in einem Rhetorik-Seminar mal Hochdeutsch geredet. „Das war so lächerlich.“
Lieber Schneeschuhlaufen statt Langlaufen
Urlaubstage gibt es nicht bei ihr – die muss sie sich selbst einplanen. Was sie auch macht. Alle zwei Jahre geht sie mit „ihren Mädels“weg. Dieses Jahr nach Schottland, erzählt sie und zeigt auf ihre pinken Handschuhe und einen rosaroten Schal – beides hatte sie in dem Urlaub erworben. Die hatten bei einer Veranstaltung gegen Diskriminierung von Frauen schon Anklang gefunden. Mit ihrem Mann geht sie ab und an Radfahren oder übers Wochenende wandern. Das sei sehr schön, da bei mehreren Freunden wieder auf den neuesten Stand der Dinge zu kommen.
Mit Freunden will sie auch die Weihnachtsfeiertage verbringen. Zum ersten Mal nicht zu Hause, sondern in einer Hütte im Allgäu. Dort will sie Schneeschuhlaufen gehen – „da ist man nicht so an die Spur gebunden wie beim Langlaufen“, erklärt sie – und Doppelkopf spielen. Wenn sie in Berlin ist, wohnt Breymaier mit zwei Freundinnen in einer WG im Berliner Ortsteil Wilmersdorf, einer Journalistin und einer Fotografin, die sie von früher kennt. Das habe den Reiz, dass sie sich nicht alles neu zulegen müsse. Eine Decke, ein Kissen und ein paar Sachen habe sie doppelt gekauft, zum Beispiel Unterwäsche. Das erspart ihr das ewige Packen. Unterwegs ist sie oft mit dem Rad. „Als Abgeordnete sitzt du und sitzt und sitzt und sitzt – mit dem Fahrrad bewegst du dich wenigstens noch ein bisschen.“Zu Beginn ihrer Zeit in Berlin schrieb sie sich Zettel mit Weganweisungen und Straßennamen. „Das Handy ist immer so schnell leer, wenn man das Navi an hat.“Mittlerweile geht es auch so.
Andere Frauen würden sich jetzt eine neue Frisur zulegen
„Ich bin eine Kampf-Grüßerin.“
Nach Berlin kommt sie entweder mit dem Zug oder dem Flugzeug, je nachdem, von wo sie startet. Von ihrem Zuhause in Eislingen, wo sie mit ihrem Mann wohnt, ist es ein Katzensprung auf den Stuttgarter Flughafen. Wenn sie in ihrem Wahlkreis unterwegs ist, fährt sie auch gerne Zug. Von Aalen über Nürnberg nach Berlin sind es gerade mal knapp fünf Stunden. Da habe sie dann Zeit zum Arbeiten, Lesen oder Pennen. Oder am Handy spielen.
Am Abend macht sie sich auf den Weg von ihrem Büro zum Pariser Platz. Dorthin hat Lingel sie zu einer Preisverleihung für afrikanische Naturschützer eingeladen. Sie gibt ihren Mantel an der Garderobe ab und sucht sich einen Platz. „Ich sitze gerne außen“, sagt sie. Sie setzt sich neben eine Frau, unterhält sich kurz mit ihr und nimmt sich ein Lutschbonbon aus ihrer Schultertasche, die sie auf den Boden gestellt hat.
Sie steht an einem Wendepunkt ihrer Karriere. Ein wichtiger Punkt in ihrem Leben, an dem andere Frauen sich eine neue Frisur zulegen würden, mutmaßt sie. „Haare schneiden geht bei mir nicht mehr“, sagt Breymaier. „Aber ich werd mir eine neue Brille kaufen.“