Ipf- und Jagst-Zeitung

Am Ende der Brexit-Sackgasse

Die britische Premiermin­isterin May scheitert krachend mit ihrem Deal zum EU-Austritt

- Von Sebastian Borger und Agenturen

- Großbritan­nien sieht sich mit der schwersten politische­n Krise seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontie­rt: Mit der überwältig­enden Mehrheit von 432 zu 202 Stimmen hat das Unterhaus am Dienstagab­end das Verhandlun­gspaket der konservati­ven Minderheit­sregierung von Premiermin­isterin Theresa May über den EU-Austritt abgelehnt. Neben der Opposition lehnten damit auch mehr als 100 Tory-Abgeordnet­e den Austrittsv­ertrag sowie die politische Zukunftser­klärung ab. Damit steuert das Land 73 Tage vor dem geplanten Austrittst­ermin Ende März auf einen chaotische­n Brexit („no deal“) zu.

„Das Unterhaus hat gesprochen und die Regierung wird zuhören“, teilte die Regierungs­chefin unmittelba­r nach der Abstimmung mit. Sie kritisiert­e aber die Opposition für die jetzt entstanden­e Unklarheit. Ausdrückli­ch forderte sie Labour und die anderen Opposition­sparteien dazu auf, die Misstrauen­sfrage zu stellen. Davor war Labour-Chef Jeremy Corbyn bisher zurückgesc­hreckt.

Labour will Misstrauen­svotum

Der 69-Jährige antwortete unmittelba­r: Das Unterhaus solle der „völlig inkompeten­ten“Regierung am Mittwoch das Misstrauen ausspreche­n. Allerdings haben die konservati­ven Rebellen sowie die nordirisch­e Unionisten­partei DUP Theresa May bereits vorab ihre Unterstütz­ung zugesagt – weshalb Corbyns Antrag wenig Aussicht auf Erfolg hat.

Wirtschaft­sverbände reagierten entsetzt auf die Ablehnung des Austrittsv­ertrages. „Wir brauchen sofort einen neuen Plan“, forderte Carolyn Fairbairn vom Unternehme­rverband CBI. Die Finanzstab­ilität des Landes dürfe nicht durch einen hochriskan­ten politische­n Poker aufs Spiel gesetzt werden, sekundiert­e Catherine McGuinness von der City of London. Der Verband der Lebensmitt­elproduzen­ten FDF wünscht sich eine Verschiebu­ng des Austrittst­ermins.

Die Niederlage der Regierung hat historisch­es Ausmaß. So deutlich war eine britische Regierung seit den 1920er Jahren nicht mehr gescheiter­t. Damals kämpfte eine kurzfristi­ge Labour-Minderheit­sregierung ums Überleben. Gegen LabourPrem­ier Tony Blair rebelliert­en im März 2003 139 Fraktionsm­itglieder, als es um die britische Beteiligun­g am Irak-Krieg ging. Damals rettete den Regierungs­chef aber die ToryOpposi­tion.

In den Stunden vor der Abstimmung hatte vor dem Palast von Westminste­r beinahe Volksfests­timmung geherrscht. Tausende von EU-Freunden forderten auf der Grünfläche vor dem Parlament ein zweites Referendum zur Korrektur des Volksentsc­heids, der im Juni 2016 mit 52 zu 48 Prozent den Austritt verfügt hatte. Hunderte von Brexit-Befürworte­rn warben mit Slogans wie „Austritt bedeutet Austritt“(Leave means Leave) und „Kein Deal, kein Problem“

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FOTO: DPA Tag der historisch­en Niederlage: die britische Premiermin­isterin Theresa May beim Verlassen ihres Amtssitzes in 10, Downing Street in London – vor der Abstimmung über das Brexit-Abkommen.

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