Am Ende der Brexit-Sackgasse
Die britische Premierministerin May scheitert krachend mit ihrem Deal zum EU-Austritt
- Großbritannien sieht sich mit der schwersten politischen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert: Mit der überwältigenden Mehrheit von 432 zu 202 Stimmen hat das Unterhaus am Dienstagabend das Verhandlungspaket der konservativen Minderheitsregierung von Premierministerin Theresa May über den EU-Austritt abgelehnt. Neben der Opposition lehnten damit auch mehr als 100 Tory-Abgeordnete den Austrittsvertrag sowie die politische Zukunftserklärung ab. Damit steuert das Land 73 Tage vor dem geplanten Austrittstermin Ende März auf einen chaotischen Brexit („no deal“) zu.
„Das Unterhaus hat gesprochen und die Regierung wird zuhören“, teilte die Regierungschefin unmittelbar nach der Abstimmung mit. Sie kritisierte aber die Opposition für die jetzt entstandene Unklarheit. Ausdrücklich forderte sie Labour und die anderen Oppositionsparteien dazu auf, die Misstrauensfrage zu stellen. Davor war Labour-Chef Jeremy Corbyn bisher zurückgeschreckt.
Labour will Misstrauensvotum
Der 69-Jährige antwortete unmittelbar: Das Unterhaus solle der „völlig inkompetenten“Regierung am Mittwoch das Misstrauen aussprechen. Allerdings haben die konservativen Rebellen sowie die nordirische Unionistenpartei DUP Theresa May bereits vorab ihre Unterstützung zugesagt – weshalb Corbyns Antrag wenig Aussicht auf Erfolg hat.
Wirtschaftsverbände reagierten entsetzt auf die Ablehnung des Austrittsvertrages. „Wir brauchen sofort einen neuen Plan“, forderte Carolyn Fairbairn vom Unternehmerverband CBI. Die Finanzstabilität des Landes dürfe nicht durch einen hochriskanten politischen Poker aufs Spiel gesetzt werden, sekundierte Catherine McGuinness von der City of London. Der Verband der Lebensmittelproduzenten FDF wünscht sich eine Verschiebung des Austrittstermins.
Die Niederlage der Regierung hat historisches Ausmaß. So deutlich war eine britische Regierung seit den 1920er Jahren nicht mehr gescheitert. Damals kämpfte eine kurzfristige Labour-Minderheitsregierung ums Überleben. Gegen LabourPremier Tony Blair rebellierten im März 2003 139 Fraktionsmitglieder, als es um die britische Beteiligung am Irak-Krieg ging. Damals rettete den Regierungschef aber die ToryOpposition.
In den Stunden vor der Abstimmung hatte vor dem Palast von Westminster beinahe Volksfeststimmung geherrscht. Tausende von EU-Freunden forderten auf der Grünfläche vor dem Parlament ein zweites Referendum zur Korrektur des Volksentscheids, der im Juni 2016 mit 52 zu 48 Prozent den Austritt verfügt hatte. Hunderte von Brexit-Befürwortern warben mit Slogans wie „Austritt bedeutet Austritt“(Leave means Leave) und „Kein Deal, kein Problem“