44 Schüler in einer Klasse
Ein Lehrer-Urgestein erzählt, was sich seit den Siebzigern am Hariolf-Gymnasium verändert hat
- Vor 43 Jahren hat Norbert Mühlich das erste Mal als Lehrer ein Klassenzimmer am HariolfGymnasium in Ellwangen betreten. Schweißgebadet sei er da gewesen, erzählt er. „Ich hatte mir extra ein Sakko gekauft, damit ich Autorität ausstrahle.“Den Schülern sei das am Ende ziemlich egal gewesen.
Norbert Mühlich ist jetzt 69 Jahre alt. Seit diesem Jahr hat er zwar keinen festen Vertrag mehr am HariolfGymnasium, steht aber auf Wunsch der Schulleitung immer noch auf Abruf bereit, falls einmal Not am Lehrer sein sollte. Ein Sakko für die Autorität hat der Mann, mit den vielen Lachfalten um die Augen längst nicht mehr nötig, auch wenn er sich immer noch sehr adrett kleidet. Vor drei Jahren wurde er pensioniert, machte aber einfach weiter. Denn er wurde gebraucht und wird immer noch sehr geschätzt. Im letzten Jahr vertrat er beispielsweise einen Lehrer in Elternzeit.
Am Anfang gab es noch die Sechs-Tage-Woche
Wenn man jemanden fragen sollte, was sich am Gymnasium in den letzten vier Jahrzehnten verändert hat, dann ihn. Flexible Arbeitszeitregelungen hat es zu seinen Anfangszeiten noch nicht gegeben, das Kollegium arbeitete Vollzeit, inklusive Samstag. Es bestand zum größten Teil aus Männern.
Das hat sich Mühlich auf einer Karteikarte notiert. Davon hat er mehrere zum Gesprächstermin mitgebracht. Zu jedem Jahrzehnt hat er sich Gedanken gemacht und diese in ordentlichster Schreibschrift notiert. Die wichtigsten Schlagworte sind entweder groß geschrieben oder unterstrichen, wie zum Beispiel die Zahl 44. So viele Schüler hatte Mühlich vor 40 Jahren durchschnittlich in einer Klasse. „Trotzdem haben alle Schüler ruhig auf ihrem engen Platz gesessen und ich konnte direkt anfangen.“
Ein ganz anderer Lärmpegel dank Teppichboden
Die Schule sei damals aber sowieso viel ruhiger gewesen. „Wir hatten noch Teppichboden in den Gängen. Das war so leise“, flüstert Mühlich bei seiner Erzählung und beugt sich dabei über den Tisch, als müsste er selbst aufpassen, nicht von einem Lehrer beim Schwätzen erwischt zu werden. Dann lehnt er sich wieder zurück und erklärt schmunzelnd warum der Teppichboden irgendwann weg musste: „Der blieb leider nicht so schön. Früher haben die Schüler viel mehr Milch getrunken.“
Dass die Schüler heute anders seien als damals, sei aber keinesfalls schlimm, findet Mühlich: „Es ist heute nicht besser oder schlechter. Es ist einfach anders.“Wie zum Beispiel die Organisation von Exkursionen. In den Achtzigern war Mühlich mit seinen Schülern auf Exkursion in der damaligen Regierungshauptstadt Bonn und die Schüler wünschten sich spontan die sowjetische Botschaft besuchen zu können. „Eine telefonische Anfrage reichte. Wir mussten an der Pforte noch eine Liste der Schüler abgeben und dann wurden wir wie Staatsgäste empfangen.“ Das wäre heute wohl undenkbar. Aber nicht nur bei Exkursionen sei der Aufwand, den ein Lehrer in seinem Beruf heute betreibt enorm gestiegen, sagt Mühlich.
„Die Reduzierung der Arbeitszeit in der Volkswirtschaft und auch dem öffentlichen Dienst während der letzten vier Jahrzehnte ist an den Lehrern vorbeigegangen.“Stattdessen würde ein Lehrer heute im Schnitt sogar vier Zeitstunden mehr unterrichten. „Das Lehrerbild an sich hat sich einfach stark gewandelt. Wir müssen mehr Erziehungsaufgaben übernehmen als früher“, sagt Mühlich.
Einzelne Schüler bräuchten mehr Zuwendung, sei es nun durch Einzelbetreuung oder Konferenzen mit dem Kollegium. Außerdem müsse das dann ja auch alles dokumentiert werden. „Die Verwaltungsarbeit ist trotz der Erleichterung durch die elektronische Datenverarbeitung mehr geworden“, erklärt Mühlich, der sich selbst einen Digital-Dino nennt. Was nicht heißt, dass er sich nicht in diesem Bereich weitergebildet hat. Das ist für ihn selbstverständlich. Dennoch mahnt er auch beim Thema Digitalisierung eine gewisse Gelassenheit zu bewahren.
Nicht jede Bildungsreform war sinnvoll
Er habe schließlich schon so viele Bildungs- und Lehrpläne, Curricula sowie Schulreformen erlebt. Manche seien geblieben, manche wurden zurückgefahren und bei manchen habe sich bloß der Name geändert.
„Da hieß es, die Schüler brauchen mehr Allgemeinbildung, um studierfähig zu werden, dann hieß es wieder, die Kinder sollen sich in gewissen Themenbereichen vertiefen, weil die Volkswirtschaft Spezialisten braucht“, so Mühlich. Das Pendel in der Bildungspolitik schlage eben häufig in beide Richtungen zu extrem aus.
Und da ist sie dann wieder, die Forderung nach mehr Gelassenheit in der Zukunft: „Man muss das Rad nicht ständig neu erfinden, aber man muss es schon ständig fort entwickeln.“
Wie seine eigene Zukunft sein wird, wenn er gar nicht mehr am Hariolf-Gymnasium unterrichtet weiß Mühlich nicht, denn damit habe er schließlich noch keine Erfahrung.