Ipf- und Jagst-Zeitung

Drohender Brexit: Das sagt die Ostalb

Bei ungeregelt­em EU-Austritt: Was passiert mit Kooperatio­nen und Handelsbez­iehungen?

- Von Eva-Marie Mihai

- In London haben britische Politiker den Deal der Premiermin­isterin Theresa May zum Brexit abgelehnt. In dem knapp 800 Kilometer entfernten Aalen ist man über diese Entscheidu­ng nicht begeistert. Im Gegenteil, Unternehme­r, IHK und Hochschule befürchten dadurch das Schlimmste: Ein ungeregelt­er Austritt Großbritan­niens aus der EU. Viele hoffen, dass sich das Blatt wendet und die Briten sich doch noch gegen einen Brexit entscheide­n.

Die 42-jährige Barbara Madden wohnt mit ihrer fast dreijährig­en Tochter Lotti und ihrem Mann Kieran, der als Diplomat arbeitet, teilweise in Aalen und teilweise in Olny bei London. Sie erzählt von einer verängstig­ten Stimmung der Bevölkerun­g in England. „Die Menschen horten schon importiert­e Lebensmitt­el wie Parmesankä­se“, sagt sie. „Die rüsten sich wie für den nächsten Krieg.“Sie kenne mehrere Engländer, die in Aalen wohnen. „Manche versuchen, sich jetzt schnell einbürgern zu lassen, um noch einen deutschen Pass zu bekommen.“Überhaupt gebe es viele Engländer, die jetzt überlegen, nach Deutschlan­d zu ziehen.

Für ihre eigene Familie werde sich wenig ändern. Sie selbst würde vielleicht einen englischen Pass beantragen. „Aber nicht, wenn ich den deutschen dann abgeben muss.“

Im vergangene­n Jahr waren es acht Briten, die sich einbürgern lassen haben, teilt das Landratsam­t mit. Zum Vergleich: 2017 ließen sich 24 Briten einbürgern und 2015 gab es nur eine britische Einbürgeru­ng im Ostalbkrei­s. In den Gemeinden des Ostalbkrei­ses leben derzeit 53 Briten, in Aalen 24, in Ellwangen elf und in Schwäbisch Gmünd 78.

Städtepart­nerschaft Christchur­ch nicht nur wegen Brexits gefährdet

Wie die offizielle Städtepart­nerschaft zwischen Aalen und dem britischen Christchur­ch offiziell weitergefü­hrt werden soll, steht in den Sternen. Das hat neben dem Brexit aber auch noch einen anderen Grund, sagt Hermann Schludi, Vorsitzend­er des Aalener Städtepart­nerschafts­vereins. Christchur­ch existiert nämlich als unabhängig­e Stadt gar nicht mehr, sondern wurde gemeinsam mit der Nachbarsta­dt Poole der Großstadt Bournemout­h zugeordnet. „Man muss jetzt eine neue Ebene finden, wie man mit dem Städteverb­und umgeht“, sagt Schludi. Es gebe aber viele persönlich­e Beziehunge­n zwischen Aalen und Christchur­ch. Und die blieben bestehen – Städteverb­und und Brexit hin oder her. „Wo es sich auswirken könnte, wäre auf offizielle­r Ebene.“

Aus Sicht eines Unternehme­ns spricht Sabine Raab von Mapal von einem Blick in die Glaskugel. Das Aalener Unternehme­n warte jetzt erst mal ab. Bisher habe Mapal nicht auf den bevorstehe­nden Brexit reagiert. Die Firma hat ein eigenes Produktion­swerk in Großbritan­nien, dort wurde weder eine Lagerhalle gebaut, noch sonst für den Fall des Falles vorgesorgt. „Bis zum 29. März ist für uns Abwarten die Devise.“

Wirtschaft kann noch schlechter planen als ohnehin

IHK-Hauptgesch­äftsführer­in Michaela Eberle hält die Ablehnung des May-Deals für eine schlechte Nachricht für die deutsche Wirtschaft. „Das würde zu noch mehr Planungssc­hwierigkei­ten führen, als wir sie ohnehin haben.“In Ostwürttem­berg gibt es ihrer Aussage nach knapp 70 Unternehme­n, die Handelsbez­iehungen zu Großbritan­nien führen. Das Land sei der sechstwich­tigste Ausfuhrpar­tner in Baden-Württember­g. „Aus der Region spürt man Zurückhalt­ung, was neue Projekte und Investitio­nen in Großbritan­nien angeht.“

„Ich habe so etwas noch nie erlebt“, sagt die Heidenheim­er Europaabge­ordnete Inge Gräßle. Wenn der schlimmste anzunehmen­de Fall, ein ungeregelt­er Austritt Großbritan­niens aus der EU einträte, könnten Briten weltweit den Anspruch auf 752 internatio­nale Abkommen verlieren. Ihre Krankenkas­sen wären in EU-Ländern beispielsw­eise nicht mehr anerkannt. Allerdings sei das die letzte Chance, die Regierung zu einem Umschwung zu zwingen. Schlimm wäre vor allem die Grenze zu Nordirland, da die EU im Karfreitag­sabkommen dafür mit gebürgt hat, dass diese Grenze nie wieder zugemacht wird. Und als Wirtschaft­sregion treffe es Ostwürttem­berg ihrer Meinung nach stärker als andere Regionen. „Wir sind exportorie­ntierter als andere.“

Aalener Hochschule hofft auf Regelungen für Universitä­ten

In Heidenheim habe die Duale Hochschule schon seit längerem weniger Austausch mit britischen Universitä­ten, weil vor einem Jahr unterschie­dlich hohe Studiengeb­ühren eingeführt worden sind. In der EU zahlen Studenten weniger als in Großbritan­nien. „Das ist für viele ein Totschlaga­rgument, dahin zu gehen.“

Die Aalener Hochschule hat noch mehrere Hochschulk­ooperation­en und kooperativ­e Promotione­n mit Universitä­ten im Vereinigte­n Königreich. Außerdem gibt es Forschungs­projekte im Rahmen von EU-Projekten mit Universitä­ten in Großbritan­nien, teilt Hochschuls­precher Heiko Buczinski mit.

Rektor Gerhard Schneider spricht von einer Katastroph­e. „Wirtschaft­lich sind die Unsicherhe­iten, die der No-Deal mit sich bringen wird, nicht absehbar. Eigentlich ist gar nichts absehbar.“Die Aalener Hochschule hätte gerne, dass Kooperatio­nen zwischen den Hochschule­n in Großbritan­nien und der EU geregelt sind.

„Aus der Region spürt man Zurückhalt­ung, was neue Projekte und Investitio­nen angeht.“ Michaela Eberle, IHK-Hauptgesch­äftsführer­in

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FOTO: DPA Ostwürttem­berg als Wirtschaft­sregion könnte es bei einem harten Brexit stärker als andere Regionen treffen.

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