Die Alamannen werden verklärt
Frühgeschichte soll die Gesinnung rechtsextremer Gruppen legitimieren.
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ELLWANGEN - Jürgen Heinritz ist Jorge der Wanderer. Das ist sein Künstlername, wenn er in die Rolle eines alamannischen Geschichtenerzählers schlüpft. Sozusagen ein Barde, der Geschichte vermittelt. In dieser Funktion arbeitet der 54-Jährige mit dem langen grauen Bart für Museen, wie zum Beispiel das Ellwanger Alamannenmuseum. Heinritz gibt Führungen oder geht selbst auf Tour. Auf Fotos von seinen Auftritten ist schnell erkennbar: das authentische Vermitteln von Geschichte macht ihm eine Menge Spaß. Doch es gibt auch eine weniger spaßige Seite.
Denn Heinritz trifft während seiner Arbeit immer öfter auf Besucher, die ihm Sorge bereiten. „Menschen mit schräger Gesinnung“, nennt er sie vorsichtig. Zum Beispiel als er für die Ausstellungen „Sie kamen und sie blieben – Alamannen und Franken im Südwesten“unterwegs war. Die Ausstellung der städtischen Museen Heilbronn hatte die Völkerwanderung als Thema und brachte sie bewusst in Verbindungen zu heutigen Zuwanderungsgeschichten.
„Früher hat man Migration nicht so tolerant hingenommen“, habe ihm ein Besucher gesagt. Auch wenn Heinritz nicht glaubt, dass sich dieser Mann selbst als rechtsextrem beschreiben würde, nehmen solche Begegnungen zu. Darum bezeichnet Heinritz den Lehrgang, den er am Samstag während der Ellwanger Tage „Lebendige Geschichte“gibt, als vorbeugend. „Umgang mit Besuchern aus dem rechten Spektrum“, heißt er. Immer wieder suchten Menschen in der Geschichte eine Bestätigung ihrer Ansichten. Das gäben die Fakten aber nicht her, sagt Heinritz.
Geschichte wird verklärt, um Gesinnung zu legitimieren
Dass die Geschichte verklärt wird, um Gesinnungen zu legitimieren, ist nichts Neues. Das weiß auch der Leiter des Alamannenmuseums, Andreas Gut. Im Ellwanger Museum ist derzeit eine Sonderausstellung mit dem Thema „Alamannen im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte“zu sehen. Eindrücklich wird dort erklärt, was beispielsweise die Nationalsozialisten aus der germanischen Geschichte und speziell der alamannischen gemacht haben. Bücher aus der Zeit des Nazi-Regimes wie „Germanenerbe“oder die Freiburger Zeitung „Der Alemanne“mit Hakenkreuzen auf dem Titel sind dort zu sehen. Dabei sei es historisch nicht möglich, aus den Germanen einen deutschen Nationalismus ableiten zu wollen. Die Germanen waren kein einheitliches Volk geschweige denn ein Staat, sagt Gut.
„Das ist eine Erfindung beziehungsweise grobe Vereinfachung Caesars. Für ihn gab es links des Rheins die Gallier und rechts die Germanen“, erklärt Museumsleiter Gut. Dabei habe es sich um viele einzelne Stämme und Völker, wie eben die Alamannen, gehandelt. Wobei die germanische Geschichtsdarstellung des Nationalsozialismus lediglich der Gipfel der Verklärung gewesen sei. Angefangen habe das schon mit dem deutschen Nationalismus im 18. Jahrhundert. „Da hat man Deutschland und die Germanen ganz eng zusammen gesehen und das führte dann irgendwann dazu, dass der Norden als die bessere Kultur galt.“
Warum aber können dann bis heute rechte Gruppierungen ins gleiche Horn stoßen? Auch dafür hat Gut eine Erklärung: „Das hat damit zu tun, dass nach dem Nationalsozialismus der Begriff Germanen lange Zeit einfach verbrannt war.“Historiker ließen die Finger von einer Auseinandersetzung mit dem Thema. Und nicht nur das. „Die Wissenschaft nutzte viele irrtümliche und mitunter auch gefährliche Forschungsergebnisse des 19. und 20. Jahrhunderts noch über Jahrzehnte hinweg nahezu unreflektiert“, schreibt der Historiker Niklot Krohn vom Alamannenmuseum Vörstetten. In eine Epoche, von der man nichts weiß, könne eben viel hineininterpretiert werden.
Mittelaltermärkte sind Fantasy
Nirgendwo werde das so deutlich wie auf Mittelaltermärkten. „Da bekomme ich Geschichte präsentiert, die nichts mit Geschichte zu tun hat. Das ist Fantasy“, sagt Heinritz. Diese Fantasy drifte manchmal unwissentlich, manchmal wissentlich ins Nationalsozialistische ab. So zum Beispiel beim Swastika-Zeichen. Es ist als Gravur auf germanischen Fundstücken nachgewiesen. Unklar bleibt jedoch dessen Bedeutung. Das Swastika-Zeichen ist aber gleichzeitig das Hakenkreuz, also das Symbol der Nationalsozialisten. Eine mehr als schwierige Gratwanderung.
Das prominenteste Beispiel für eine solche Gratwanderung ist die deutsch-polnische ReenacmentGruppe Ulfhednar. Die Gruppe ist international bekannt für ihre Interpretation von germanischen und keltischen Wolfskriegern. Sie ist bereits im öffentlich-rechtlichen Fernsehen aufgetreten und war auch schon in Ellwangen. Nach Aussagen ihres Gründers und Vorsitzenden, der den Künstlernamen Arian Zellox trägt, berufen sich die Mitglieder bei ihrer Darstellung auf authentische Quellen. Dennoch standen sie immer wieder in der Kritik, weil sie es mit dem Einsatz von Hakenkreuzen nach Ansicht von Historikern stark übertrieben haben. Zum Eklat kam es 2008, als ein Mitglied von Ulfhednar sein Tattoo unbeabsichtigt entblößte. Es war das verbotene SS-Motto „Meine Ehre heißt Treue“in gotischer Schrift. Ulfhednar distanzierte sich umgehend von dem Mann. Man habe nichts von seiner Gesinnung gewusst. Die Gruppe ist bis heute aktiv, bei deutschen Historikern und Archäologen aber wegen des exzessiven Hakenkreuzgebrauchs nicht mehr gern gesehen.
„Ich darf das, was auf solchen Märkten geboten wird, nicht mit echter Geschichte verwechseln“, zieht Heinritz eine klare Grenze. Dennoch weiß er ein Beispiel, wie beides vereinbar ist. Beim Mittelalterfest auf dem Ellwanger Schloss sei das Alamannenmuseum mit einem Stand vertreten. „Da kann man den Interessierten sagen: Hier hast du Fantasy. Wenn du dich wirklich informieren willst, komm ins Museum.“ Mehr zum Thema finden Sie unter schwaebische.de/el-alamannenund-rechte Bis 28. April ist im Alamannenmuseum die Sonderausstellung „Verehrt, verwendet, vergessen – Alamannen im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte“zu sehen. Sie beleuchtet den Alamannenbegriff im Wandel der Zeiten, auch im Nationalsozialismus.