Mia san mia, weichgespült
Fast auf den Tag genau vor vier Monaten hat ein Erdbeben Bayern erschüttert – die Landtagswahl, der Absturz der CSU, der Triumph von Grünen und Freien Wählern. Heute, 100 Tage nach Amtsantritt der Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern, ist festzustellen: Bayern ist trotzdem ein Sonderfall geblieben. Aber es ist ein politisch spannenderes Land geworden. Denn in Bayern findet seit 100 Tagen eine Art Live-Experiment statt für einen modernen Konservatismus.
Ein Sonderfall bleibt Bayern, weil es weiter das einzige Bundesland mit rein konservativer Regierung ist. Der CSU-Koalitionspartner ist im ländlichen Bayern verwurzelt. Hier stellen die Freien Wähler Dutzende Bürgermeister und Landräte. Sie treten traditionell-bayerisch auf, halten christliche Werte hoch. Doch die CSU-eigene Selbstherrlichkeit, der Hang zum krachledernen Populismus, ist den meisten von ihnen fern. Und dieser Politikstil hat auf die CSU abgefärbt. Die Gleichung CSU = Bayern stimmt nicht mehr. Die Gleichung Bayern = konservativ, sie geht an den meisten Orten schon noch auf.
Doch es ist ein anderer Konservatismus als jener der CSU-Alleinherrschaft. Ein lebendes Symbol für diesen Wandel ist Ministerpräsident Markus Söder. Jahrelang hat er sich mit Haudrauf-Zitaten von Asyltourismus bis Kruzifixpflicht profiliert. Seit der Wahl hat Söder die Opposition gelobt. Die Partei tritt europafreundlich auf. Und Söder hat einen Koalitionsvertrag verantwortet, in dem es auf sieben von 59 Seiten um Ökologie geht.
Bayern unter Schwarz-Orange, das ist nach wie vor „Mia san mia“. Doch diese Regierung steht für weichgespülten Regionalpatriotismus, grün gesprenkelt, ohne scharfe Parolen. Der Konservatismus in Schwarz-Orange scheint den Bayern zu gefallen – darauf deuten Umfragen hin. Funktioniert er weiter, kann er andernorts als Vorbild dienen. Konservative Haltung und grünen Zeitgeist zu vereinen, daran versucht sich ja auch die CDU im Südwesten. s.heinrich@schwaebische.de