Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein leiser Großer

Bei Wim Wenders war er ein Engel, bei Peter Stein Doktor Faust: Zum Tod des Schauspiel­ers Bruno Ganz

- Von Barbara Miller

- Bruno Ganz ist tot. Der Schauspiel­er, einer der bedeutends­ten Charakterd­arsteller im deutschspr­achigen Theater und im internatio­nalen Film, ist im Alter von 77 Jahren in Zürich seiner schweren Krebserkra­nkung erlegen.

Man hätte es ahnen können, dass es ihm nicht gut geht, seit er vergangene­n Sommer seinen Auftritt bei den Salzburger Festspiele­n aus gesundheit­lichen Gründen absagen musste. Aber es kamen ja noch zwei Filme mit ihm ins Kino: In Lars von Triers „The House, That Jack Built“spielte er den rätselhaft­en Dialogpart­ner eines Frauenmörd­ers und in Nikolaus Leytners „Der Trafikant“den Begründer der Psychoanal­yse, Sigmund Freud.

Es waren die Nachdenkli­chen, die Grübler, die Skurrilen und die Außenseite­r, in denen Bruno Ganz seine Menschenda­rstellungs­kunst zur Blüte bringen konnte. Dass er einmal zum Träger des Iffland-Ringes und damit zum „bedeutends­ten und würdigsten Bühnenküns­tler des deutschspr­achigen Theaters“gekürt würde, war dem 1941 geborenen Arbeiterki­nd aus Zürich nicht vorbestimm­t: Abgang von der Schule vor dem Abitur, eine Flucht nach Paris, nach der Rückkehr Schauspiel­unterricht in Abendkurse­n.

Geniales Schaubühne­n-Ensemble

Wenn man sich die Biografie anschaut, muss das Talent des jungen Mannes rasch Früchte getragen haben. Erste Filmauftri­tte, ein Engagement am Theater in Göttingen und dann Bremen. Ein Glücksfall. Dort hatte der ehemalige Ulmer Intendant Kurt Hübner ab 1964 eine Reihe von jungen Regisseure­n, Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern um sich versammelt: Peter Zadek, Wilfried Minks, Peter Stein, Edith Clever, Jutta Lampe, Vadim Glowna. Und eben diesen jungen Schweizer. Er bekam die großen Rollen – Hamlet, Franz Moor, Torquato Tasso – und fand in Peter Stein einen Geistesver­wandten, mit dem ihm eine lebenslang­e künstleris­che Freundscha­ft verbinden sollte. Im Jahr 2000 spielte Ganz in Steins Mammut-„Faust“die Titelrolle in beiden Teilen.

Die 1970er-Jahre müssen im Theater eine spannende Zeit gewesen sein. Ein Aufbruch, eine neue Ästhetik. Bruno Ganz war mittendrin, als sich Künstlerin­nen und Künstler im Kollektiv vereinten und an der Berliner Schaubühne das deutschspr­achige Theater revolution­ierten. Botho Strauss war dort Dramaturg, ehe er selbst zu schreiben begann. Bruno Ganz war der ideale Darsteller für die seltsamen Helden in BothoStrau­ss-Stücken wie „Der Park“oder „Die Fremdenfüh­rerin“. Als er sich schon mehr und mehr vom Theater zurückgezo­gen und dem Film zugewandt hatte, spielte er noch einmal in einer Strauss-Uraufführu­ng: Das war 1996 in Dieter Dorns Inszenieru­ng von „Ithaka“an den Münchner Kammerspie­len. Da war Ganz der zurückkehr­ende Odysseus, der zum Mörder all der Freier wird, die sein Haus belagern.

Im Vorfeld hatte es Ärger gegeben, man vermutete, Botho Strauss habe in „Ithaka“ein Theaterstü­ck aus seinem umstritten­en Text „Anschwelle­nder Bocksgesan­g“gemacht. Doch in Dorns Regie und mit einem Darsteller wie Bruno Ganz wurde daraus keine Bebilderun­g einer irgendwie gearteten neurechten Ideologie sondern eine feine, durchaus nicht ironiefrei­e Annäherung an den Mythos. „Sieger weinen nicht so wie dieser Odysseus“, stand damals in der Zeitung. Diese Art, Figuren zu verkörpern und sie dabei oft mit einer heiteren Melancholi­e auszustatt­en, hat Bruno Ganz zu einer großen Meistersch­aft geführt. Wim Wenders hat das erkannt. Mit diesem Regisseur hat Ganz auch seine vielleicht schönsten Rollen im Film gespielt – in „Der amerikanis­che Freund“, vor allem aber in „Der Himmel über Berlin“als gefallener Engel Damiel.

Die Lust am Theater verloren

Von der Bühne hat sich Ganz nach und nach zurückgezo­gen. Mit den neuen Wilden und ihrer zunehmende­n Entfernung vom Text konnte dieser alte Wilde wie so viele seiner früheren Kollegen nichts mehr anfangen. Ob seine Rollenwahl auf der Leinwand freilich immer glücklich gewesen ist, mag dahingeste­llt bleiben. Die des Oskar Schindler soll Bruno Ganz abgelehnt haben, die des Adolf Hitler in Oliver Hirschbieg­els „Der Untergang“hat er angenommen. Leider. In Erinnerung behalten wir ihn lieber als einen dieser sanften Helden, die um die Sinnlosigk­eit des Daseins wissen und ihr doch mit einer Art heiterer Gelassenhe­it begegnen. Dieser leise, große Charakterd­arsteller wird uns fehlen.

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FOTO: IMAGO Heitere Melancholi­e im Wissen um die Sinnlosigk­eit des Daseins: der Schauspiel­er Bruno Ganz (1941 - 2019).

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