Bauen und buddeln am Streckennetz
Bahn gibt elf Milliarden Euro für Reparaturen aus – Neue Software soll helfen, Staus an Baustellen zu vermindern
- Der Investitionsstau bei der Bahn lockert sich – wenn auch nur langsam. In diesem Jahr will das Unternehmen 10,7 Milliarden Euro in die Reparatur und die Modernisierung des Netzes stecken. Diese Summe markiert zwar einen neuen Rekord, sie liegt aber nach Ansicht von Experten immer noch zu niedrig. Die Unternehmensführung zeigt sich unterdessen optimistisch, den Kunden schon bald wieder eine höhere Zuverlässigkeit bieten zu können. „Die Investitionen zeigen Wirkung“, sagt Ronald Pofalla, das zuständige Vorstandsmitglied bei der Bahn.
Pofalla lässt nicht nur neue Gleise bauen und moderne Signaltechnik verlegen. Er setzt auch eine eigene Lieblingsidee um, um künftig mehr aus dem ächzenden Netz herauszuholen: In „Plankorridoren“kümmert sich ein Team von Fachleuten in einer eigenen Einsatzzentrale darum, die Züge möglichst glatt durch besonders überlastete Abschnitte zu schleusen. Bisher läuft das Projekt nur im Bereich Dortmund-Köln, andere Regionen sollen schon bald folgen. Pofalla selbst sieht bereits einen „riesigen Effekt“der neuen Einrichtung. Bis Januar 2019 konnte die Bahn damit bereits 7000 Verspätungsminuten vermeiden.
Der Streckenabschnitt von Dortmund nach Köln ist ein berüchtigter Engpass. Die alten Gleise werden bereits anderthalbmal intensiver genutzt, als sie es eigentlich vertragen – kein Wunder, dass die Züge sich dort stauen. Pofallas Plankorridor-Team von bis zu 80 Mitarbeitern aus unterschiedlichen Sparten sucht nun nach Wegen, um Verspätungen zu vermeiden. Denn jede Minute Verspätung hier am Engpass verzögert den Verkehr anderswo um zwei Minuten.
Fahrgäste irren umher
Die Leitstelle bremst daher beispielsweise die Einfahrt eines Zuges in den Korridor, wenn abzusehen ist, dass er andere Züge behindern wird. Es gehe jedoch auch um ganz simple Dinge, sagt Pofalla. Dazu gehört etwa eine bessere Ausschilderung im Bahnhof, wo Fahrgäste sich beim Umsteigen oft verlaufen und dabei Verzögerungen verursachen.
Beobachter sind indessen skeptisch, ob das Sonderprojekt wirklich so viel bringt. „Insgesamt merkt man davon noch nichts“, sagt Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn. Er verweist auf die Statistik: Die Bahn war 2018 wieder unpünktlicher als im Vorjahr. Auch der Januar 2019 sah schlechter aus als der Vormonat. Die 7000 eingesparten Verspätungsminuten durch den Plankorridor beeindrucken Naumann ebenfalls nicht. Schließlich schiebt die Bahn sieben Millionen Minuten Verspätung im Jahr vor sich her.
Trotz der Einzelkritik begrüßt der Fahrgastverband den Investitionsplan jedoch. „Das geht endlich ein Stück weit in die richtige Richtung“, so Naumann. Knappe elf Milliarden Euro Investitionen seien zwar allein zu wenig, um die kaputtgesparten Netze komplett auf Vordermann zu bringen. Doch wenn der Konzern dieses Niveau aufrecht erhalte, dann könne sich über die nächsten Jahre durchaus etwas tun. Trotz frischer Ideen, die Pofalla einbringe, sei der Apparat aber immer noch zu starr organisiert, kritisiert Naumann.
Pofalla setzt unterdessen auf moderne Technik, um die Wirkung der Baustellen abzufedern. Denn das Unternehmen steht hier vor der Quadratur des Kreises: Es muss viel bauen, um die Qualität der Netze zu verbessern. Doch die Baustellen bremsen den Verkehr und bringen erst einmal neue Verspätungen. An rund 800 Orten gleichzeitig werkeln die Arbeiter derzeit. Eine neue Software, die Pofalla einführen lässt, wirkt als „Verspätungs-Radar“. Sie simuliert die Folgen der Baustelle für das gesamte Netz schon vor dem ersten Spatenstich und hilft damit, Planungsfehler zu vermeiden. Das ist Teil einer „kundenfreundlicheren Baustellenplanung“– eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die bei der Bahn jedoch als wichtige Neuerung gilt.
Mitte Januar hatte Verkehrsminister Andreas Scheuer den Druck auf den Staatsbetrieb erhöht, endlich eine Trendwende zu schaffen. In einem Treffen hatte er dem Bahn-Vorstand die Leviten gelesen: Auch nach Jahren der Reformen hatte sich die Leistung des Transportunternehmens für die Fahrgäste nicht sichtbar erhöht. Im Rahmen der sogenannten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung des Bundes für die Bahn gibt es nun voraussichtlich ab 2020 mehr Geld – dafür muss die Bahn sich aber anstrengen, um wirklich Verbesserungen vorzuweisen. Im vergangenen Jahr lag Pofallas Etat für den Netzausbau noch bei 9,3 Milliarden Euro, er konnte also diesmal stolze 1,4 Milliarden mehr herausholen.