Koalition uneinig über Schülerbetreuung
Kultusministerin Eisenmann will Ganztagsangebote flexibler gestalten
(kab) - Lange schon warten Schulen, Eltern und Kommunen auf Reformen zur Ganztagsbetreuung an Grundschulen. BadenWürttembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hat nun ein Konzept erarbeitet, das sie bald im Kabinett vorlegen möchte. Dieses liegt der „Schwäbischen Zeitung“vor. Zuvor muss sie aber noch einen Konflikt mit dem grünen Koalitionspartner aus dem Weg räumen. Nach Eisenmanns Plänen soll sich das Land wieder finanziell an der Betreuung der Grundschüler vor und nach dem Unterricht beteiligen. Sie rechnet mit Kosten von 20 bis 25 Millionen Euro. Die grün-rote Vorgängerregierung hat sich aus der Finanzierung verabschiedet, als sie ein neues Ganztagskonzept für Grundschulen eingeführt hat. Dieses wird aber nicht in dem Maße angenommen wie erwartet. Viele Schulen beklagen den großen Verwaltungsaufwand. Für viele Eltern ist das Ganztagskonzept zu starr – sie fordern flexiblere Betreuungsmöglichkeiten.
Eisenmann will diesen Wunsch ab dem Schuljahr 2020/2021 bedienen – wenn gewünscht auch parallel zum pädagogischen Ganztag an derselben Grundschule. Das lehnen die Grünen im Landtag ab. Sie befürchten Einbußen bei der Qualität. „Der Dissens steht offen im Raum“, sagt die Bildungsexpertin der Grünen Sandra Boser mit Verweis auf den Koalitionsvertrag.
- Zum Schuljahr 2020/ 2021 will sich das Land wieder an den Kosten für die Betreuung von Grundschulkindern beteiligen. Das steht in einem Entwurf des Kultusministeriums, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt. Eltern und Kommunen im Land dürfte das freuen. Ein Konflikt mit dem Koalitionspartner bleibt: Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) will an derselben Grundschule Ganztag und Betreuung bezuschussen. Die Grünen lehnen dies ab.
Über Jahrzehnte sind im Land unterschiedlichste Ganztagsangebote entstanden – an allen Schularten. Die grün-rote Landesregierung hat zum Schuljahr 2014/2015 ein einheitliches Konzept für Grundschulen eingeführt. Es sieht vor, dass Schüler an drei oder vier Tagen pro Woche je sieben oder acht Stunden Unterricht haben. Der Tag soll pädagogisch sinnvoll strukturiert sein, Lernen und Entspannung – etwa durch Sport – sollen sich abwechseln. Dafür kooperieren die Schulen auch mit Vereinen vor Ort. Bis 2023 sollten 70 Prozent der Grundschulen auf den Ganztag umstellen. Als Anreiz hat sich das Land zugleich davon verabschiedet, neue Betreuungsgruppen an Grundschulen mitzufinanzieren. Nur solche Angebote, die es bereits im Schuljahr 2014/2015 gab, hatten Bestandsschutz.
Die Realität sieht anders aus. Im Schuljahr 2018/2019 gab es laut Kultusministerium nur an 450 öffentlichen Grundschulen (19 Prozent) ein Ganztagsangebot. Fast alle Schulen bieten parallel weiter den Halbtag an. Bis zu 45 Prozent aller Grundschüler im Südwesten nutzen indes Betreuungsangebote, die es schon vor 2015 gab und die das Land mit 77 Millionen Euro bezuschusst. In einer aktuellen Erhebung kommunaler Spitzenverbände ist von einer Quote von bis zu 50 Prozent die Rede, wie Bildungsdezernent Norbert Brugger vom Städtetag auf Nachfrage erklärt. Getragen werden die neueren Angebote von den Kommunen sowie von Gebühren, die die Eltern zahlen. Wie teuer die Betreuung ist, hängt also stark von der jeweiligen Kommune ab.
Städtetag fordert mehr Geld
Diese sowie neue Betreuungsgruppen will das Land künftig auch fördern. In ihrem Entwurf geht Eisenmann von 20 bis 25 Millionen Euro zusätzlich aus. Als Grundlage für die Prognose dienten Bayern und Hessen mit Betreuungsquoten von 65 und 70 Prozent. Für Brugger steht fest: Die geplanten Mittel reichen nicht. „Es fehlt die Anpassung der Fördersätze.“Seit dem Jahr 2000 habe sich daran nichts geändert. Nach seinen Berechnungen wären weitere 40 Millionen Euro jährlich erforderlich, um gestiegene Personalkosten aufzufangen. „Das Land spart derzeit sehr viel Geld, weil sein Ganztagsangebot nicht fruchtet“, betont er. Statt 150 Millionen Euro jährlich bis 2023 zahlt das Land für die Ganztagsschulen aktuell 40 Millionen Euro pro Jahr, bestätigt eine Sprecherin von Ministerin Eisenmann. Würde das Land die Fördersätze anpassen, müssten die Eltern weniger zahlen.
Erfreut zeigt sich Brugger darüber, dass Eisenmann für jedes betreute Kind eine Pauschale zahlen möchte. „Wir wollten die Kommunen durch ein einfacheres Fördersystem entlasten, da das bisher zu kompliziert und aufwendig ist“, sagt die Ministerin auf Anfrage. Der Verwaltungsaufwand sei immens, Kosten könnten eingespart werden, erklärte auch der Normenkontrollrat des Landes im ersten Empfehlungsbericht im Dezember.
Kommunen und Eltern dürften erleichtert sein, dass das Land sich wieder in der Schülerbetreuung engagiert. 2016 und 2017 hatte Eisenmann alle betroffenen Gruppen zu Gipfeln geladen, um über die Weiterentwicklung des Ganztags zu sprechen. Der Ruf nach Landesgeld für die flexiblere Betreuung war unüberhörbar. Laut einer Studie von 2016 wünschen sich nur 27 Prozent der Eltern im Land ein verpflichtendes Ganztagsangebot.
Eisenmann wolle ihre Vorlage zügig ins Kabinett einbringen, sagt ihre Sprecherin. „Allerdings müssen die politischen Beratungen erst abgewartet werden.“Das könnte schwierig werden. Mit den Grünen gibt es einen „offenen Dissens“, wie Bildungsexpertin Sandra Boser sagt. In der Vorlage steht, „dass an Ganztagsstandorten (...) zugleich ein vom Land bezuschusstes flexibles Betreuungsangebot bestehen kann.“Für Eisenmann ist klar: „Ganztagsschule und Betreuung sollen sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern sich vielmehr ergänzen.“
Die Grünen sehen das anders. „Da dies aufgrund des hohen organisatorischen Aufwands zu Lasten der Qualität gehen kann und dies nur bei großen Schulen überhaupt umsetzbar ist, sehen wir dies kritisch“, sagt Boser. Sie verweist auf den Koalitionsvertrag. Darin heißt es, das Land beteiligt sich wieder an denjenigen Grundschulen an der Betreuung, die kein Ganztagsangebot haben. „In erster Linie muss es darum gehen, dass Eltern in Kommunen, die noch keine Ganztagsschule oder Nachmittagsbetreuung initiiert haben, überhaupt erst mal ein entsprechendes Angebot vorfinden“, sagt Boser. Die Schulkonferenz vor Ort solle entscheiden.
Konzept für Sekundarstufe fehlt
Mit diesem Konzept für die Grundschulen dürfe nicht Schluss sein, mahnt Brugger vom Städtetag. Schließlich hat die Landesregierung im Koalitionsvertrag auch versprochen, an weiterführenden Schulen ein Ganztagsangebot gesetzlich zu verankern – primär in der Unterstufe bis Klasse 7. Er berichtet von verunsicherten Bürgermeistern, die gerne an Schulen Angebote schaffen wollen. Aber auf welcher Grundlage? Dass diese nach drei Jahren Grün-Schwarz fehle, mahnt auch SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei an. Er kritisiert: „Dass die Grünen auch hier tatenlos zuschauen, zeigt, wie sehr sich die Öko-Partei in einem bildungspolitischen Wachkoma befindet.“Gespräche hierzu liefen derzeit, erklärt Eisenmanns Sprecherin. Ziel der Umsetzung: Zum Schuljahr 2020/21.