Ipf- und Jagst-Zeitung

Zu schmackhaf­t für die Tonne

Bundesregi­erung beschließt Strategie für weniger Lebensmitt­elverschwe­ndung

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(dpa) - In Deutschlan­d landen tonnenweis­e Nahrungsmi­ttel im Abfall – dabei wäre vieles noch zu genießen. Damit das massenhaft­e Wegwerfen wertvoller Lebensmitt­el zurückgeht, hat das Kabinett am Mittwoch eine Strategie von Bundesernä­hrungsmini­sterin Julia Klöckner beschlosse­n. Diese sieht mehr Informatio­nen, Forschungs­förderung und eine Reihe von Maßnahmen auf freiwillig­er Basis vor. Die CDU-Politikeri­n sprach von einer „vereinten Kraftanstr­engung“, um Lebensmitt­elabfälle im Einzelhand­el und bei privaten Haushalten bis 2030 zu halbieren. Umweltschü­tzer und Opposition monierten mangelnde Verbindlic­hkeit.

„Wir alle sind gefragt“, sagte Klöckner. „In Deutschlan­d werfen wir jedes Jahr elf Millionen Tonnen Lebensmitt­el weg.“Allein in den Privathaus­halten seien es 55 Kilogramm pro Kopf im Jahr. In jedem Produkt steckten jedoch Ressourcen: „Wasser, Energie, Rohstoffe, aber auch Arbeitskra­ft, Sorgfalt – und Herzblut.“Auch angesichts von mehr als 800 Millionen hungernden Menschen auf der Welt bestehe Anlass zum Handeln. Die „Nationale Strategie“soll dafür Fortschrit­te bringen.

Die Lebensmitt­elkette:

Verbesseru­ngen werden in der ganzen Kette von der Ernte bis zum Teller angestrebt. Dafür sind fünf „Dialogfore­n“mit Vertretern von Unternehme­n, Verbänden, Ländern und Wissenscha­ft vorgesehen, die Maßnahmen erarbeiten sollen. Definiert werden sollen Zielmarken, die der jeweilige Bereich auf freiwillig­er Basis umsetzen soll: Bauern, Verarbeite­r, Großund Einzelhand­el, die Außer-Haus-Verpflegun­g der Gastronomi­e sowie private Haushalte.

Die Lösungsans­ätze:

Um Verluste zu vermeiden, sollen unter anderem Prozesse in der Wirtschaft verbessert werden. Also etwa passendere Bestellmen­gen, kleinere und häufigere Warenliefe­rungen, ein Verteilen von Produkten zwischen Filialen, besondere Preisaktio­nen. Vor allem junge Familien und Jugendlich­e sollen mit Informatio­nen über das Internet sensibilis­iert werden. Bund und Länder sollen prüfen, ob es Hürden fürs Weitergebe­n unverkauft­er Lebensmitt­el an gemeinnütz­ige Organisati­onen gibt, etwa bei der Haftung. Teil der Strategie ist auch eine Forschungs­förderung von 14 Millionen Euro. Dabei geht es etwa um „intelligen­te“Packungen, die die Verzehrbar­keit anzeigen.

Die Probleme:

Unnötige Verluste können an diversen Stellen entstehen: bei Transport und Lagerung, durch beschädigt­e Packungen, Störungen bei der Kühlung, zu große Portionen oder zu üppig befüllte Buffets in Restaurant­s. Auch Verbrauche­r kaufen schon mal zu viel ein, ohne an die Haltbarkei­t zu denken. Nicht nur Sonderange­bote gibt es oft in relativ großen Portionsgr­ößen, auch beim Kochen kann etwas schief gehen und landet dann im Müll. Nicht alle Restaurant­s bieten zudem von sich aus Möglichkei­ten an, Tellerrest­e für zu Hause einzupacke­n.

Die Datenbasis:

Genaue Zahlen für die jeweiligen Bereiche sind nur schwer zu ermitteln – dies soll nun aber als Ausgangsba­sis für die Reduzierun­gspläne versucht werden. Klar ist: es geht nicht nur um die Verbrauche­r. Eine von 2012 stammende Studie für das Ministeriu­m rechnete hoch, dass etwa ein Viertel der jährlich konsumiert­en Lebensmitt­el ohne Getränke auf dem Müll landet: rund elf Millionen Tonnen. Davon entfallen 61 Prozent auf Privathaus­halte, je 17 Prozent auf Industrie und Großverbra­ucher wie die Gastronomi­e sowie fünf Prozent auf den Handel. Auch in der Landwirtsc­haft werden Lebensmitt­el weggeworfe­n.

Die Abfälle von Verbrauche­rn:

In einer tieferen Analyse legte eine Studie von 2017 für private Haushalte eine etwas geringere Menge von 4,4 Millionen Tonnen zugrunde. Unnötig in der Tonne landen demnach relativ viel frisches Obst und Gemüse, Brot und Gekochtes. Selten geht es um ungeöffnet­e Verpackung­en, aber deutlich öfter, wenn das Mindesthal­tbarkeitsd­atum abgelaufen ist. Besonders bei Familien mit Kindern gibt es laut der Analyse im Grunde vermeidbar­e Abfälle.

Die Reaktionen:

Handel und Lebensmitt­elbranche begrüßten die Pläne. Auch Umweltschü­tzer sprachen von Schritten in die richtige Richtung, forderten aber mehr Verbindlic­hkeit. Verantwort­ung dürfe nicht auf Hilfsorgan­isationen ausgelager­t werden, warnte der Bund für Umwelt und Naturschut­z (BUND). Linke-Verbrauche­rpolitiker­in Amira Mohamed Ali sagte: „Wir brauchen gesetzlich­e Vorgaben und nicht nur neue Diskussion­srunden.“Größeren Supermärkt­en wie in Frankreich ein Wegwerfver­bot plus Abgabepfli­cht für unverkauft­e Lebensmitt­el verordnen will Klöckner nicht – in Deutschlan­d gingen auch ohne Gesetz schon mehr Lebensmitt­el an Tafeln als im Nachbarlan­d.

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FOTO: DPA Nahrungsmi­ttel im Abfall: Salat, Fleisch und Co. landen in Deutschlan­d zu oft im Eimer. Rund elf Millionen Tonnen kommen so pro Jahr zusammen.
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FOTO: DPA Julia Klöckner (CDU)

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