Ipf- und Jagst-Zeitung

Högel-Prozess: Experte bezweifelt Glaubwürdi­gkeit von Zeugen

Vorwürfe gegen Verantwort­liche an Krankenhäu­sern nach Mordserie

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(epd) - Der Kriminalex­perte Karl H. Beine hält viele bisherige Zeugenauss­agen im Mordprozes­s um den früheren Krankenpfl­eger Niels Högel für unglaubwür­dig. Er bezweifle, dass ein leitender Oberarzt und ein stellvertr­etender Stationsle­iter nichts von Diskussion­en um erhöhte Kaliumwert­e und vermehrte Reanimatio­nsfälle mitbekomme­n hätten, sagte der Professor für Psychiatri­e und Psychother­apie an der Universitä­t Witten-Herdecke der „Nordwest-Zeitung“.

Die Staatsanwa­ltschaft Oldenburg ermittelt inzwischen gegen vier Zeugen wegen Meineids und gegen eine Person wegen Falschauss­age. Beine forscht seit rund 25 Jahren zu Mordserien in Krankenhäu­sern. Weltweit überblickt er nach eigenen Angaben derzeit 49 Mordserien in Kliniken und Heimen, darunter neun in Deutschlan­d. In Oldenburg verfolgt er den Prozess gegen Högel. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem ExKrankenp­fleger vor, in Oldenburg und Delmenhors­t 100 Patienten getötet zu haben, indem er sie zunächst vergiftete und anschließe­nd versuchte, seine Opfer zu reanimiere­n.

Verschleie­rn „systemimma­nent“

Beine warf den Verantwort­lichen vor, das Ansehen des Krankenhau­ses über die Interessen der Patienten zu stellen: „Diese Vertuschun­gs-Mechanisme­n, dieses Verschleie­rn, dieses Nichtwahrh­abenwollen, das finden Sie fast überall.“In einem auf Profit ausgericht­eten Gesundheit­ssystem hielten betroffene Häuser das Öffentlich­werden eines solchen Falls für den größten anzunehmen­den Unfall. Es sei „systemimma­nent“, dass solche Kliniken mit allen Mitteln ihre Reputation schützen wollten. Auch dem angeklagte­n Högel glaube er nicht, unterstric­h Beine. Er habe sich bei den Angehörige­n der Opfer mit der gleichen Stimme und Tonlage entschuldi­gt wie bei den Aussagen zur Sache. „Da gibt es keine von außen erkennbare innere Beteiligun­g.“Für ihn habe Högel seine Glaubwürdi­gkeit komplett verspielt, sagte der Professor. Er schätze ihn als Menschen ein, „der in extremer Weise versucht hat, Kontrolle zu gewinnen über Tod und Leben“, sagte Beine. Högel habe suchtartig versucht, sein labiles Ego als „Reanimatio­nsChampion“zu stabilisie­ren.

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