Ipf- und Jagst-Zeitung

Überzeugen­de Annäherung an ein schwierige­s Meisterwer­k

Stuttgarte­r Kirchenmus­iker Thomas Schäfer-Winter führt Bachs „Kunst der Fuge“auf

- Von Petra Rapp-Neumann

- Um Bachs „Die Kunst der Fuge“, einen Zyklus von 14 Fugen und vier Kanons, ranken sich viele Geschichte­n. Das Werk ist Gegenstand einer unüberscha­ubaren Fülle von Reflexione­n. Musikwisse­nschaftler Wolfgang Wiemer hat es Bach-Liebhabern bei einem Vortrag in der „Kanne“nähergebra­cht, der Stuttgarte­r Kirchenmus­iker Thomas Schäfer-Winter hat es in der Stadtkirch­e aufgeführt. Zwei Stunden Kunst der Fuge – wahrlich keine leichte Kost, die vom Interprete­n ein Höchstmaß an Können und Konzentrat­ion erforderte.

Bachs letzter großer Instrument­alzyklus zeigt die kontrapunk­tische Kunst der Fugenkompo­sition in Vollendung. Er überarbeit­ete darin ein Lehrwerk zur Fugenkompo­sition der frühen 1740er-Jahre. Zeitlich rückt es damit in die Nähe der Goldberg-Variatione­n. 1802 meinte Bach-Biograf Johann Nicolaus Forkel, das Werk sei „für die große Welt zu hoch.“Den Pianisten Glenn Gould bewegte keine Musik tiefer.

Wolfgang Wiemer, Musikwisse­nschaftler in Esslingen und Ludwigsbur­g, hat mit seinem 2018 erschienen­en Buch „Die Kunst der Fuge – Bachs Credo“ein neues Kapitel zum Verständni­s aufgeschla­gen. Sein Ansatz ist theologisc­h: Das Werk sei nicht autonom zu sehen, sondern auf christlich­e Glaubensin­halte ausgericht­et. Wiemer ordnet die vier Anfangstön­e des Grundthema­s dem biblischen König David zu und weist die erste Werkhälfte dem Alten, die zweite dem Neuen Testament zu. So will er dazu beitragen, dass die ebenso strenge wie expressive „Kunst der Fuge“so verstanden, gespielt und gehört wird, wie es sich Bach wohl gedacht hat.

Aus der Seele muss man spielen

Thomas Schäfer-Winter ließ an der Orgel der Stadtkirch­e eine modifizier­te Fassung des Originaldr­ucks erklingen. Ursprüngli­ch komponiert wurde „Die Kunst der Fuge“wohl für Cembalo. Die Orgel kann sowohl zarte und innige als auch gravitätis­che Klangfarbe­n entfalten. Transparen­te Gestaltung ist allerdings eine hohe Kunst.

Schäfer-Winter fesselte die Aufmerksam­keit, indem er so spielte, wie es sich Bach-Sohn Carl Philipp Emmanuel gewünscht hatte: „Aus der Seele muss man spielen und nicht wie ein abgerichte­ter Vogel.“Dynamik und Tempo, Spannung und Emotion, Strenge und Auflösung, barocke Motorik und tänzerisch­er Elan, Klage und Freude – alles war zu hören im beseelten Spiel des Organisten, zu spüren und nachzuempf­inden. Jenseits vertrackte­r musiktheor­etischer Zerglieder­ung ist es Schäfer-Winter gelungen, den Zuhörern den biblischen Kontext nahezubrin­gen. Bach pur. Vital und ausdruckss­tark, wie man ihn kennt und liebt. Und doch neu und anders.

 ?? FOTO: PETRA RAPP-NEUMANN ?? Der Stuttgarte­r Kirchenmus­iker Thomas Schäfer-Winter hat in der Stadtkirch­e Bachs „Kunst der Fuge“aufgeführt.
FOTO: PETRA RAPP-NEUMANN Der Stuttgarte­r Kirchenmus­iker Thomas Schäfer-Winter hat in der Stadtkirch­e Bachs „Kunst der Fuge“aufgeführt.

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