Gesundheitssystem wird kaputt gespart
Zu dem Beitrag „Wo bitteschön darf ich zum Spezialisten?“, erschienen in unserer Ausgabe vom 19. Februar, erreichte uns diese Zuschrift: Nachdem wir schon die zweifelhafte Ehre haben, stellvertretend für die Misere eines ganzen Systems namentlich genannt zu werden, gestatten Sie uns einige Anmerkungen: Sie können uns glauben, dass wir liebend gerne allen Patienten kurzfristige Termine geben würden, aber auch die Kapazitäten in den Arztpraxen sind begrenzt, denn die – zurecht – erwartete Qualität setzt nun einmal ein bestimmtes Zeitbudget des Arztes voraus.
Wartezeiten und Unbilden wie die von Frau S. werden von der Politik billigend in Kauf genommen, indem zum Beispiel der Zugang für junge Ärzte in die Praxen streng reglementiert ist – nach dem aus der Zeit der „Ärzteschwemme“stammenden (von Politikern erdachten) Motto „Viele Ärzte kosten viel Geld“(das Gegenteil ist eigentlich der Fall, weil Zeitmangel zu Verweisung an andere Ärzte führt). Von „Überversorgung“zu sprechen, wenn die Wartezimmer und -listen bersten, verhöhnt die Situation kranker Menschen. Und der sogenannten „Bedarfsplanung“werden Zahlen aus Zeiten zugrunde gelegt, die mit der heutigen nicht vergleichbar sind: Die Möglichkeiten der Medizin werden immer vielfältiger. Sie zu überschauen erfordert zunehmend spezialisierte Kompetenz.
Die Inanspruchnahme der Fachärzte nimmt schon deswegen weiter zu, aber auch wegen unzureichender und pauschaler Finanzierung im Hausarztbereich. Auf der anderen Seite sind die Kliniken aufgrund der Fallpauschalen gezwungen, Patienten möglichst schnell zu entlassen – immer öfter mit einer langen Liste von Untersuchungen, die dann ambulant durch den Facharzt kurzfristig abzuarbeiten sind.
Und das ist erst der Anfang in einem Gesundheitssystem, das immer weiter kaputt gespart wird: Die Arbeitsbedingungen in vielen Kliniken sind schon heute so, dass die Studenten im Laufe der Ausbildung die Lust verlieren, so am Kranken tätig zu werden: Sie flüchten ins Ausland oder in nicht-ärztliche Tätigkeiten. Immer größer wird daher der Anteil von Ärzten aus osteuropäischen oder noch ferneren Ländern. Sie mögen ärztliche Qualifikationen haben. Sie sprechen aber nicht selten so schlecht Deutsch, dass das Gespräch mit den Patienten schwierig wird. Und auch die Kommunikation innerhalb der Abteilungen – so hört man – führt zu manch sprachlich bedingtem Missverständnis.
Für ertragsstarke Bereiche treten schon heute internationale Konzerne als Investoren auf, die Arztpraxen aufkaufen, um sie dann unter – so darf man unterstellen – noch strengeren finanziellen Gesichtspunkten auszurichten. Das ist nicht die Zukunft. Auch in Aalen gibt es inzwischen mehr als eine solche Einrichtung, eine davon mit Sitz des Eigentümers im Steuerparadies Jersey. Und es werden andere folgen. Und spätestens dann wird auch der Hausbesuch bei Frau S. in Lauterburg der Vergangenheit angehören, weil er sich nicht rechnet.
Nur wenn wir unsere Politiker dazu bringen, einzusehen, dass die Gesundheit der falsche Platz für Sparmaßnahmen ist und dieser Bereich der Daseinsvorsorge auch Investitionen erfordert, werden wir diese Entwicklung abwenden.