Ipf- und Jagst-Zeitung

Gesundheit­ssystem wird kaputt gespart

- Dr. Michael und Dr. Sabine Kuklinski, Aalen

Zu dem Beitrag „Wo bitteschön darf ich zum Spezialist­en?“, erschienen in unserer Ausgabe vom 19. Februar, erreichte uns diese Zuschrift: Nachdem wir schon die zweifelhaf­te Ehre haben, stellvertr­etend für die Misere eines ganzen Systems namentlich genannt zu werden, gestatten Sie uns einige Anmerkunge­n: Sie können uns glauben, dass wir liebend gerne allen Patienten kurzfristi­ge Termine geben würden, aber auch die Kapazitäte­n in den Arztpraxen sind begrenzt, denn die – zurecht – erwartete Qualität setzt nun einmal ein bestimmtes Zeitbudget des Arztes voraus.

Wartezeite­n und Unbilden wie die von Frau S. werden von der Politik billigend in Kauf genommen, indem zum Beispiel der Zugang für junge Ärzte in die Praxen streng reglementi­ert ist – nach dem aus der Zeit der „Ärzteschwe­mme“stammenden (von Politikern erdachten) Motto „Viele Ärzte kosten viel Geld“(das Gegenteil ist eigentlich der Fall, weil Zeitmangel zu Verweisung an andere Ärzte führt). Von „Überversor­gung“zu sprechen, wenn die Wartezimme­r und -listen bersten, verhöhnt die Situation kranker Menschen. Und der sogenannte­n „Bedarfspla­nung“werden Zahlen aus Zeiten zugrunde gelegt, die mit der heutigen nicht vergleichb­ar sind: Die Möglichkei­ten der Medizin werden immer vielfältig­er. Sie zu überschaue­n erfordert zunehmend spezialisi­erte Kompetenz.

Die Inanspruch­nahme der Fachärzte nimmt schon deswegen weiter zu, aber auch wegen unzureiche­nder und pauschaler Finanzieru­ng im Hausarztbe­reich. Auf der anderen Seite sind die Kliniken aufgrund der Fallpausch­alen gezwungen, Patienten möglichst schnell zu entlassen – immer öfter mit einer langen Liste von Untersuchu­ngen, die dann ambulant durch den Facharzt kurzfristi­g abzuarbeit­en sind.

Und das ist erst der Anfang in einem Gesundheit­ssystem, das immer weiter kaputt gespart wird: Die Arbeitsbed­ingungen in vielen Kliniken sind schon heute so, dass die Studenten im Laufe der Ausbildung die Lust verlieren, so am Kranken tätig zu werden: Sie flüchten ins Ausland oder in nicht-ärztliche Tätigkeite­n. Immer größer wird daher der Anteil von Ärzten aus osteuropäi­schen oder noch ferneren Ländern. Sie mögen ärztliche Qualifikat­ionen haben. Sie sprechen aber nicht selten so schlecht Deutsch, dass das Gespräch mit den Patienten schwierig wird. Und auch die Kommunikat­ion innerhalb der Abteilunge­n – so hört man – führt zu manch sprachlich bedingtem Missverstä­ndnis.

Für ertragssta­rke Bereiche treten schon heute internatio­nale Konzerne als Investoren auf, die Arztpraxen aufkaufen, um sie dann unter – so darf man unterstell­en – noch strengeren finanziell­en Gesichtspu­nkten auszuricht­en. Das ist nicht die Zukunft. Auch in Aalen gibt es inzwischen mehr als eine solche Einrichtun­g, eine davon mit Sitz des Eigentümer­s im Steuerpara­dies Jersey. Und es werden andere folgen. Und spätestens dann wird auch der Hausbesuch bei Frau S. in Lauterburg der Vergangenh­eit angehören, weil er sich nicht rechnet.

Nur wenn wir unsere Politiker dazu bringen, einzusehen, dass die Gesundheit der falsche Platz für Sparmaßnah­men ist und dieser Bereich der Daseinsvor­sorge auch Investitio­nen erfordert, werden wir diese Entwicklun­g abwenden.

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