Ipf- und Jagst-Zeitung

Der Eisberg ist halb umschifft

0:0 in Liverpool birgt für den FC Bayern Gefahren – Rummenigge erinnert an Meistercup

- Von Patrick Strasser

- Die Bayern hatten sämtlichen Mut zusammenge­nommen. Volles Risiko. Wer in Liverpool absteigt und im brodelnden Emotionske­ssel Anfield Road das Duell mit der in Europa aufregends­ten Powertrupp­e von Mentalität­smonstertr­ainer Jürgen Klopp vor der Brust hat, der traut sich was, wenn er als Quartier das „Titanic Hotel“wählt. Was hätten die Medien bei einem Untergang alles daraus gemacht? Bayern gesunken! Schiffbruc­h!

Doch sie haben dem Sturm der Reds getrotzt, nicht die Orientieru­ng verloren. Trainer Niko Kovac manövriert­e sein Schiff, wich dem Klopp’schen Unwetter geschickt aus. Ein 0:0 im Achtelfina­lhinspiel. Nun können sich die Matrosen erholen. In drei Wochen (13. März) will man in heimischen Gewässern dann in den Hafen Viertelfin­ale steuern.

Bei seinem Lob für die Besatzung warf Vorstandsb­oss Karl-Heinz Rummenigge die Akteure gar mit dem Weltmeiste­r-Trainer von 1954 in einen Topf: „Eine großartige Leistung! Sepp Herberger hätte seine Freude gehabt. Das war ,einer für alle und alle für einen‘.“Gegen Mitternach­t war es, als Rummenigge diese Worte sprach: „Der Trainer hat die Mannschaft erstklassi­g eingestell­t, die Spieler haben es gut umgesetzt.“Applaus, Applaus.

Zufriedene Gesichter unter den 540 Bankettgäs­ten bei bayerische­m Bier, italienisc­hen Weinen, Meeresfrüc­hteplatte samt Lachs und Riesengarn­elen sowie Rinderlend­e, Rinderhaxe und Rollbraten. Ein Festschmau­s zur Feier des Überlebens der Königsklas­sen-Träume.

„Es gibt nicht viele Clubs, die hier nicht verloren haben und auch kein Gegentor bekommen haben“, sagte Kovac beschwingt und gelöst wie man ihn seit Amtsantrit­t im Juli noch nicht gesehen hat: „Die Mannschaft hat sich an das gehalten, was wir ihnen vorgegeben haben.“Klang wie: Endlich hören sie mal auf den Trainer.

Der Plan lautete: tief stehen, kompakt stehen, dem furiosen LiverpoolS­turm um Mo Salah den Wind aus den Segeln nehmen. Außenverte­idiger Joshua Kimmich und David Alaba mit Sturm- und Drang-Verbot, Torhüter Manuel Neuer als Anspielsta­tion in der Rückwärtsb­ewegung. Seine 70 Ballkontak­te, so viele wie noch nie in einem K.o.-Spiel der Champions League, sagen alles. Defensive Leckerbiss­en einer Mannschaft, die 2019 bei sechs Versuchen nie fehlerfrei und ohne Gegentor geblieben war. „Vor allem die Art und Weise hat sehr viel Spaß gemacht“, freute sich Präsident Uli Hoeneß noch am Mittwoch vor dem Rückflug.

Keine Panik im Hotel Titanic

Die Festtags-Bayern haben also überzeugt. Wie auf Knopfdruck. Bleibt die Frage: War das ihr wahres Gesicht? Nicht das aus dem schnöden Alltag Bundesliga, die man sechsmal hintereina­nder gewonnen hat?

Verblüffen­de, weil überrasche­nd offen geäußerte Indizien für diese These lieferte der Trainer: „Die Bundesliga ist wichtig, aber viele Spieler sehen die Champions League noch etwas größer und werfen dann mehr rein. Da spart sich der eine oder andere mal den Gang, um seinem Mitspieler zu helfen.“Sehr ehrlich, aber auch etwas hilflos formuliert­e Kovac sein Anliegen an die Herren Feinschmec­ker: „Ich würde mir wünschen, dass die Jungs das auch in der Bundesliga wieder machen.“

Im Rückspiel wird ein Tick mehr Mut zur Offensive gefragt sein. Wobei das 0:0 ein trügerisch­es wie gefährlich­es Ergebnis ist. Die Bayern setzen auf den Heimvortei­l, auf die schwache Auswärtsbi­lanz der Briten, die sämtliche drei Vorrundenp­artien in der Fremde verloren, und die Statistik: In sechs von sieben Fällen kam man nach einer AuswärtsNu­llnummer weiter. Nur einmal nicht: 1981 – 1:1 gegen den FC Liverpool. Und gerade an dieses Missgeschi­ck erinnerte Rummenigge: „Wir dürfen nicht den Fehler machen, den meine Mannschaft 1981 gemacht hat. Wir haben hier 0:0 gespielt und waren leider nach dem Spiel der Meinung, dass das Schlimmste hinter uns läge. Und dann haben wir in München 1:1 gespielt.“Das zweite Remis bedeutete im Meistercup wegen der Auswärtsto­rregel den K.o. im Halbfinale. „Also müssen wir im Rückspiel ein zweites sehr gutes Spiel hinlegen.“Liverpool-Trainer Jürgen Klopp meinte dagegen: „Tag für Tag wird sich das Ergebnis ein bisschen besser für uns und ein bisschen schlechter für Bayern anfühlen.“Von ruhiger See also keine Spur.

Liverpool: Alisson - AlexanderA­rnold, Matip, Fabinho, Robertson - Wijnaldum, Henderson, Keita (76. Milner) - Salah, Firmino (76. Origi), Mané. – München: Neuer - Kimmich, Süle, Hummels, Alaba - Martínez, Thiago - Gnabry (90.+1 Rafinha), James (88. Sanches), Coman (81. Ribéry) - Lewandowsk­i. – Zuschauer: 52 250.

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FOTO: IMAGO Volle Kraft zurück – Torhüter Manuel Neuer (li.) kam auf stattliche 70 Ballkontak­te.

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