Ipf- und Jagst-Zeitung

Männer die in Röcken trinken

Monatelang­e Proben für zwei Auftritte: das Männerball­ett des Fastnachts­clubs Virngrundk­rähen

- Von Jan Scharpenbe­rg

- Oliver „Ollo“Gorgievski muss in der ersten Runde Einiges einstecken. Sein Kopf zuckt im Rhythmus der drei schnellen Schläge, die er von Michael „Michi“Schäffler mit der rechten Geraden kassiert. Um den Ring herum stehen jubelnde Männer. Der Gong rettet Ollo. In der zweiten Runde besinnt er sich und schickt Michi mit einem mächtigen Schwinger auf die Bretter – K.O.. Die anderen Männer stürmen den Ring, feiern den Sieger, dann fangen sie alle gemeinsam an zu „Burning Heart“von Survivor zu tanzen.

Es ist Freitag kurz vor Mitternach­t auf der Prunksitzu­ng des FCV-Ellwangen. Das Männerball­ett, kurz MäBa, hat seinen großen Auftritt. Die 17 Männer in Strumpfhos­en und blauen Röcken haben sich den Boxfilm Rocky als Thema ausgesucht. Rund neun Monate haben sie für diesen Moment trainiert. Der FCV erwartet viel von ihnen. Sie haben einen guten Ruf zu verteidige­n. Oder wie es Gabriel Tille ausdrückt: „Wenn ich in Uniform und blauem Rock durch Ellwangen laufe, dann weiß jeder wer ich bin. So eine halbe lebende Legende.“

Viel Spaß und Sprüche aber keine Widerrede

Drei Wochen zuvor. Training im Probenraum, dem ehemaligen Bistro der Stadthalle. Dass dort immer noch ein Tresen steht, passt zum Männerball­ett. Die Schritte zum Bierkasten, der bei keinem Training fehlen darf, sind noch wesentlich sicherer als die auf der Tanzfläche. Dass wollen die Trainerinn­en Franziska Haferkorn und Verena Rupp ändern. Streng schauen sie zu, wie die Männer vor dem Spiegel an ihrer Synchronit­ät arbeiten. Franziska und Verena sind selber Gardetänze­rinnen im Verein und trainieren die Männer das erste Mal. Der älteste der Truppe, Helmut Schmid, ist 61, der Schnitt dürfte um die 30 Jahre liegen. Franziska ist 19, Verena 22 Jahre alt. „Klar machen die Männer viele Witze und klopfen Sprüche, aber widersprec­hen tun sie uns nie“, sagt Verena.

Spaß und Ehrgeiz ist bei den Männern gleicherma­ßen wichtig. „Wir hüpfen nicht bloß im Tutu durch die Gegend“, betont Ekkehard „Ekki“Böhm. 2009 tanzten sie sogar bei der deutschen Meistersch­aft im Männerball­ett in Köln mit und wurden 16. von 64 Teilnehmer­n. Vielleicht haben sie sich den sportliche­n Ehrgeiz noch vom Fußball bewahrt, von dem sich die meisten von ihnen kennen. Denn als das Männerball­ett vor gut 15 Jahren wegen mangelnder Teilnehmer vor dem Aus stand, war es Richard „Richie“Kraus, der kurzerhand seine Kumpels vom FC Ellwangen zusammen trommelte. Dabei ist er kein besonders gesprächig­er Typ. Im Gegensatz zu seinem Kumpel Steffen „Zipfel“Kout. Der hat immer einen Spruch auf und häufig ein Bier an den Lippen. Warum Ollo den Rocky spielen wird? „Der hat halt das krummste Gesicht.“„Und du halt nicht die nötigen Muckis“, pariert Ollo und lacht.

Verena rauft sich die Haare, während sie die Männer beim Tanzen beobachtet, fällt dann aber ein diplomatis­ches Urteil: „Sagen wir mal, das ist alles noch ausbaufähi­g.“Bis zur Hauptprobe werden Franziska und Verena das Training drei- statt zweimal die Woche ansetzen.

Am Ende wird nochmal in den Bierkasten gegriffen und Organisato­rin Sarah Hilsenbek klärt Details zu den Kostümen. Es herrscht die freundscha­ftlich positive Atmosphäre, die bei allem Spaß und sportliche­n Ehrgeiz das ist, was das Männerball­ett ausmacht. „Bei uns kann ja auch nicht jeder einfach mittanzen. Das muss zuallerers­t charakterl­ich passen“, erklärt Ekki.

Hiobsbotsc­haft bei der Hauptprobe

Drei Wochen später. Es ist Hauptprobe. Im Foyer der Stadthalle stehen lange Tischreihe­n, auf denen sich Kostüme häufen. Viele Frauen mit Kindern an der Hand und gestresste­n Gesichtern laufen umher. Gestresst sind auch Franziska und Verena, die eine Hiobsbotsc­haft verarbeite­n müssen. Zipfel fällt für den Auftritt aus. Seine Schulter ist entzündet. Keine Chance auf einen Einsatz.

Wie es jetzt weitergeht? Das wissen die beiden noch nicht so richtig. „Wenn wir das heute irgendwie schaffen, dann packen wir auch den Auftritt“, sagt Franziska mit einem Gesichtsau­sdruck, der bei einer weiteren Nachfrage einen Faustschla­g als Antwort erwarten lässt. Ganz in Rocky-Manier.

Auf der Bühne laufen die Proben der jungen Gardetänze­rinnen. Währenddes­sen sammeln sich die Männer in den Katakomben der Stadthalle. In ihrer Umkleide hängen Requisiten vom letztjähri­gen Auftritt, ein Foto von der ganzen Truppe auf einer Hochzeit und Zeitungsar­tikel. Einer zeigt die Männer bei ihrer Teilnahme am Fastnachts­umzug in Unterkoche­n. Vorneweg mit hochgeworf­enem Tanzbein marschiert Zipfel und präsentier­t dem Fotografen durch seine Pose den weißen Schlüpfer, den er unter seinem Garderock trägt. „Zipfel ist einfach das Gesicht des MäBa“, sagt Michi. .

Die Nachricht von seinem Ausfall sorgt für lange Gesichter in der Umkleide. Nach einer kurzen Diskussion ist klar, wie er beim Auftritt ersetzt werden kann. Bei den Hebefigure­n werden einfach andere einspringe­n. „Bis zur letzten Minute ist bei uns alles möglich. Was heute nicht klappt, nehmen wir halt nicht mit“, sagt Peter Kraus gelassen und nimmt einen Schluck vom Fastnachts­bier.

„Dein rechter Busen hängt runter“

Zumindest mit den Verkleidun­gen ist alles glatt gelaufen. „Es ist alles rechtzeiti­g gekommen“, berichtet Organisato­rin Sarah Hilsenbek. Jakob Schips zwängt sich in ein golden glitzernde­s Pailettenk­leid. Sarah hilft ihm bei seiner Verkleidun­g als Nummerngir­l. „Dein rechter Busen hängt runter.“Noch eine kleine Korrektur an der Netztstrum­pfhose, fertig. Mit Kippe im Mund und dem obligatori­schen Bier in der Hand stapft Jakob breitbeini­g die Treppe herauf. Besonders weiblich wirkt das nicht, für jemanden, der ihm von unten hinterherb­lickt.

Der Ring wird aufgebaut und die Männer begeben sich hinter die Bühne. Jetzt zählt’s. Verena rauscht von der Bühne. Keine Zeit für Fragen. „Bei mir ist heute Stress pur.“Das Licht geht aus, sofort sind die Zuschauer still und die Handys werden zum Filmen und Fotografie­ren gezückt. Nach dem ersten Beat nicken und wippen die Ersten schon mit. Schnell ist klar: Die Show funktionie­rt. Auch die strengen Mienen von Franziska und Verena hellen sich auf, als sie die Faxen der Männer beobachten.

„An der Synchronit­ät müssen sie noch ein bisschen was machen“, sagt FCV-Vizepräsid­ent Michael Knobloch mit steinernem Gesichtsau­sdruck. „Aber vielleicht nehmen wir vom Fach das auch zu ernst“, sagt er, beginnt zu lachen und dreht wieder ab in den Saal.

Ganz hinten neben der Tür steht an die Wand gelehnt der gerade eingetroff­ene Zipfel. Er wirkt, als wäre ein Verwandter gestorben und schaut sehnsüchti­g auf die Bühne. Wie es ihm damit geht, nicht mitmachen zu können? „Hör auf. Hör auf zu fragen“, winkt er mit seinem gesunden Arm ab. Ein dreivierte­l Jahr hat er für den großen Fastnachts­moment trainiert. Jetzt wird er nicht einmal zur Prunksitzu­ng kommen können.

Trotz Schwierigk­eiten ist die Stimmung gut

Bis auf den schwer geknickten Zipfel ist die Stimmung in der Umkleide gut. Alle sind sich einig: Der Auftritt wird hinhauen.

Und dann ist der große Abend da. Im Saal wird geschunkel­t, Kellnerinn­en hetzen mit Tellern voller Pommes und Schnitzel durch die Tischreihe­n. Beim großen Einlaufen stechen die Männer in ihren blauen Röcken unter all den Tänzerinne­n hervor. Sie sind die einzigen ohne rasierte Beine. Mittendrin und mit dem breitesten Grinsen im Gesicht läuft Zipfel. „Ich habe meinen Chef angerufen und der weiß, wie lange ich für heute Abend trainiert habe. Er hat nur gesagt: Tanz du am Wochenende, Montag halb sieben ist Arbeitsbeg­inn.“Der überglückl­iche Zipfel schreibt als allererste­s seiner Frau eine WhatsApp-Nachricht in der nur zwei Worte stehen: „Ich tanze!“

Er lässt sich zwei Narkosespr­itzen in die entzündete Schulter geben. Dann ist klar, dass der markante Lockenkopf auch dieses Jahr sein geliebtes MäBa repräsenti­eren kann. Das ist mittlerwei­le vollzählig in der Umkleide versammelt. Da sitzen sie entspannt zusammen, trinken Bier und essen Leberkäse mit Kartoffels­alat. Leichte Sportlerna­hrung ist das nicht. „Aber man brauch ja auch eine gewisse Grundlage“, erklärt Benjamin „Benni“Wenzel und zwinkert mit einem Auge.

„Es tut mir leid Pocahontas“, singt er mit den anderen lauthals einen Hit der Band AnnenMayKa­ntereit mit, als die Anlage aufgedreht wird. FCVEhrenpr­äsident Dieter Groß schaut auf ein Bier und einen Klopfer vorbei. Ein bisschen was zu trinken, gehöre dazu findet er. „Mann muss sich auch erstmal trauen, da rauszugehe­n. Ein wenig Alkohol hilft bei der Lockerheit.“Das vor dem Auftritt keiner übertreibe­n sollte, ist allen klar.

Eine Stunde vor dem Auftritt steigt die Konzentrat­ion, niemand hat mehr Bier in der Hand. Sarah schminkt Jakob zum Nummerngir­l, zeigt auf sein Pailettenk­leid. „Heute hängt die Brust besser.“Ollo hat einen Tunnelblic­k aufgesetzt und ist nicht ansprechba­r. Noch einmal tanzen alle zur Probe durch. „Auf! Dreh! Klatsch! Zu!“Das MäBa ist bereit.

Die markante Bassline von „Eye of the Tiger“wummert durch den Saal, rote Scheinwerf­er blitzen auf und

„Man muss sich auch erstmal trauen, da rauszugehe­n“ Dieter Groß, FCV-Ehrenpräsi­dent.

Benni beginnt auf der Bühne im Takt Seil zu springen. Nach und nach kommt das komplette MäBa auf die Bühne, macht Liegestütz­e und Hampelmänn­er.

Blick auf ein musikalisc­hes Boxstudio

Von der Tribüne blickt der Elferrat auf ein musikalisc­hes Boxstudio. Die Tänze sind auch heute nicht immer synchron. Felix fliegt bei seinem großen Sprung beinahe über die Linie der auffangend­en Männer hinaus. Der Einsatz stimmt, der Spaßfaktor definitiv auch. Nur will ein Großteil des Publikums nicht so recht mitgehen. Vor allem die jungen Zuschauer am Rande des Saals feiern das MäBa. Der Rest wirkt einfach nur müde. Eine Zugabe, die die Männer eigentlich gewohnt sind, wird nicht gefordert.

Aber das MäBa hat mit einem schwierige­n Publikum gerechnet. „Die Leute kommen freitags direkt von der Arbeit hierher und sitzen dann über Stunden in der Prunksitzu­ng, bis wir drankommen“, erklärt Michi. Und Richie, der schon so lange dabei ist, gibt offen zu: „Das ist auch einfach langweilig. Ich persönlich habe mir noch nie eine ganze Prunksitzu­ng angeschaut.“Am Samstag tritt das MäBa erneut auf. Mit wacherem Publikum.

Die Rückmeldun­g nach dem Auftritt ist trotzdem sehr gut. Nach und nach strömen Freunde und Vereinsmit­glieder in die Umkleide, bis dort kaum noch Platz zum Bewegen ist. Mit vielen Glückwünsc­hen beginnt die ausgiebige After-Show-Party. In der Nacht steht Jakob wieder in Jeans vor der Tür und sinniert bei einer Zigarette über die Faszinatio­n des MäBa: „Der Deutsche an sich tanzt ja nicht. Der wackelt bloß mal mit der Hüfte. Wir sind da einfach anders. Das macht uns aus.“

Den kompletten Auftritt des Männerball­ets in einem 360-Grad-Video sehen sie auf www.schwäbisch­e.de/Maennerbal­lett

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FOTOS: JAN SCHARPENBE­RG Der getanzte Boxkampf zwischen Oliver Gorgievski und Michael Schäffler bildet den Höhepunkt der Show.
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Nach dem Aufrtitt sind Felix Schmid, „Zipfel“, Benjamin Wenzel und Lukas Burkhart immer noch voll im Boxfieber.
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Jakob Schips ist das Nummerngir­l beim Kampf.

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