Umstrittener Plan gegen Wohnungsnot
Wer über 3000 Wohnungen besitzt, soll in Berlin enteignet werden können
- Ein Bündnis in Berlin fordert angesichts der Mietpreisexplosion einen Volksentscheid. Das Ziel: Unternehmen, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, zu vergesellschaften. Gemeint ist vor allem der Konzern Deutsche Wohnen, dem in der Hauptstadt rund 100 000 Wohnungen gehören.
Ist in Berlin der Sozialismus ausgebrochen, wird bundesweit gefragt. Das wäre zwar für einen Teil der Stadt nicht neu. Aber die Initiative stützt sich auf Artikel 14 des Grundgesetzes: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“
Der Regierende ist dagegen
Enteignungen? Mitten in Deutschland? Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat die Forderungen zurückgewiesen. Nach einigem Zögern. Denn zuerst hatte er gemeint, Enteignungen könnten nur der dritte, vierte oder fünfte Schritt sein. Jetzt sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, das sei nicht sein Weg und nicht seine Politik. Er regiert jedoch zusammen mit Grünen und Linken, und da gibt es durchaus andere Ansichten. Auch die Jusos können sich mehr als Müller für diesen Volksentscheid erwärmen und unterstützen ihn. Einige Jungsozialisten wollen die Grenze sogar auf 20 Wohnungen absenken. Die Linken haben den Entscheid befürwortet, sie haben jüngst einen Passus in ihr Europawahlprogramm aufgenommen, dass „mehr Wohnungen in öffentlicher Hand mehr Möglichkeiten bedeuten, die Mieten niedrig zu halten“. Überall in Europa stünden Wohnungen leer, weil die Eigentümer mit Spekulationen mehr Profit machen könnten als mit dem Vermieten. Die Grünen lehnen den Entscheid zumindest nicht klar ab.
Michael Müller bezweifelt, dass es tatsächlich eine Mehrheit für Enteignungen geben würde. Doch er hatte es vor zwei Jahren auch nicht für möglich gehalten, dass der Volksentscheid für die Offenhaltung des Flughafens Tegel (56 Prozent dafür) erfolgreich endet. Das Problem hat sich allerdings bis auf Weiteres dadurch erledigt, dass Tegel ohnehin offen bleiben muss, weil der neue Großflughafen Berlin-Schönefeld weiter auf sich warten lässt.
Gute Chancen
Auch der Volksentscheid zur Vergesellschaftung von Grund und Boden hätte gute Chancen. In einer ForsaUmfrage für die „Berliner Zeitung“ sprachen sich 44 Prozent der befragten Berliner für eine Enteignung aus, 39 Prozent waren dagegen.
Der Volksentscheid, für den ab April Unterschriften gesammelt werden sollen, hat vor allem den Konzern Deutsche Wohnen im Visier. Der besitzt 100 000 Wohnungen in Berlin, unter anderem große Blocks an der Karl-Marx-Allee. Doch das Bündnis zielt auch auf andere Gesellschaften wie zum Beispiel den schwedischen Investor Akelius, der dafür bekannt ist, Mietwohnungen bei jedem Auszug, oft alle sechs Monate, grundsanieren zu lassen, und dadurch Altmieter zu vertreiben und die Mieten zu erhöhen. Auch die großen Gesellschaften Vonovia und die Ado properties stehen im Fokus des Volksentscheids.
Erste Schlappe
Am Montag allerdings ist das Land Berlin im Streit um drei Wohnblocks an der Karl-Marx-Allee unterlegen. Diese Wohnungen waren 1993 vom Senat privatisiert worden, jetzt will er am liebsten zurückkaufen. Man hatte Mietern, die ein Vorkaufsrecht hatten, Unterstützung zugesagt. 52 erwarben ihre selbstgenutzte Wohnung. Das Landgericht hob jedoch die einstweiligen Verfügungen gegen den Verkauf an die Deutsche Wohnen auf, 675 Wohnungen können vom ungeliebten Investor übernommen werden. Nun sind Enteignungen in Deutschland eigentlich nur dann üblich, wenn ein Projekt einer neuen Bahntrasse oder Straße im Weg steht. Doch auch eine soziale Versorgung mit Wohnungen gehört für viele Mieter zu einem vordringlichen Interesse. Als Schwelle für die Vergesellschaftungsreife schlagen die Initiatoren 3000 Wohnungen pro Unternehmen vor. „Durch diese Höhe werden die Grundrechte auf Eigentum und Berufsfreiheit geschützt“, heißt es in dem Beschluss für ein Gesetz zur Vergesellschaftung von Grund und Boden (Rekommunalisierungsgesetz).
Bundesweites Interesse
Wohnungsnot und Mietenexplosion beschäftigen bundesweit viele Menschen. Rouzbeh Taheri, der Sprecher der Initiative, berichtet, dass es auch Kontakte und Anfragen aus anderen Städten gibt, von Hamburg bis München. „Viele interessieren sich für unsere Initiative, aber wir nehmen schon gar keine neuen Termine mehr an, wir sind ausgebucht.“
Wenn am 6. April eine große Demonstration in Berlin stattfindet, mit der die Unterschriftensammlung eingeleitet wird, rechnet Taheri schon mit einer Beteiligung „jenseits von 10 000“.