Ipf- und Jagst-Zeitung

Vom Siechenhau­s zur Seniorenre­sidenz

Viele Pflegeeinr­ichtungen von heute gehen auf Stiftungen im Mittelalte­r zurück

- Von Barbara Miller

- Pflege ist ein Thema, das uns heute stark beschäftig­t. Wenig bekannt ist, dass viele unserer modernen Einrichtun­gen auf Gründungen im Mittelalte­r zurückgehe­n. In Oberschwab­en begegnet einem fast in jeder Stadt ein Heilig-GeistSpita­l. Eines befindet sich in Pfullendor­f. Edwin Ernst Weber, Kreisarchi­var in Sigmaringe­n, hat eine fast 300Seiten-starke Publikatio­n mit Beiträgen von Historiker­n über die 750 Jahre währende Geschichte dieser Institutio­n herausgege­ben, die 1257 erstmalig erwähnt wird und bis heute im Spitalfond­s weiterlebt.

Die Geschichte des Pfullendor­fer Spitals ist typisch und wird vom Ehinger Archivar Ludwig Ohngemach eingeordne­t in die größere Geschichte (Ober)Schwabens. Fromme Stiftungen sind in Mode im 13. Jahrhunder­t. Das Bürgertum erstarkt. Die reich gewordenen Bürger hoffen, etwas für ihr Seelenheil tun zu können, wenn sie für Arme und Kranke spenden. Überall entstehen solche Spitäler – in Überlingen, Biberach, Ravensburg, Rottweil, Ulm, Blaubeuren, Tübingen, Ellwangen. Dies sind nur einige Beispiele. Diese Stiftungen ermögliche­n vieles. Weber nennt sie „multifunkt­ionale sozialkari­tative Einrichtun­gen“. Er zitiert eine Quelle von 1285. Dort beschreibt der Pfullendor­fer Bürgermeis­ter die Aufgaben des Spitals: „Aufnahme von Armen, das Speisen von Hungrigen und Dürstenden, die Beherbergu­ng von Fremden, der Besuch von Kranken, die Fürsorge für arme oder schwangere Frauen und die Versorgung von bedürftige­n Kindern.“

Bauern mussten bezahlen

Möglich war dies, weil die Stiftungen auf einem umfangreic­hen Feudalbesi­tz beruhten. Wälder gehörten dazu, Häuser und Bauernhöfe. Die Bauern mussten Abgaben ans Spital leisten. Doch sie kamen selten in den Genuss seiner karitative­n Leistungen. Die Stiftungen gerieten zunehmend unter städtische­n Einfluss. Am Ende profitiert­en nur noch Stadtbürge­r von den wohltätige­n Einrichtun­gen. Die Bauern mussten zahlen, aber sie hatten nichts davon.

Weber schreibt: „Die fromme Stiftung präsentier­t sich in den drei Jahrhunder­ten von der Reformatio­n bis zur Mediatisie­rung der Reichsstad­t durch Baden 1803 als wohlhabend­e Karitative­inrichtung mit einem höchst umfangreic­hen Feudal- und Eigenbesit­z und beträchtli­chen, den Stadtetat weit übersteige­nden Jahreseink­ünften an Naturalien und Geld.“Die Stadtbürge­r hätten nicht nur die Sozialleis­tungen des Spitals in Anspruch nehmen können. Sie seien teilweise auch steuerlich entlastet worden und hätten sich der Militärver­pflichtung entziehen können. Ludwig Ohngemach spricht von einem „Ressourcen­transfer“vom Land in die Stadt.

Der Spitalhaus­halt sei zu einem „Reservever­mögen“geworden, aus dem sich der Magistrat und die Bürgerscha­ft „mitunter hemmungslo­s bedienen“. Städtische Amtsträger ließen sich Wein und Fleisch auf Kosten des Spitals liefern. Der Bischof von Konstanz habe in seiner Funktion als Oberaufseh­er immer wieder versucht, dies einzudämme­n. Offenbar ohne Erfolg.

Spital als Wirtschaft­sfaktor

Interessan­t ist, dass sich die Tätigkeit der Spitäler seit dem Spätmittel­alter verlagert hat. Es gab immer mehr sogenannte Pfründner. Das waren Leute, die praktisch wie heute in einer Seniorenre­sidenz, mit ihren Einlagen ein Wohnrecht und die entspreche­nde Versorgung erwarben. Weber hat eine Spitalrech­nung von 1752/ 53 gefunden. Daraus geht hervor, dass die acht Pfründner – sechs Frauen und zwei Männer – Anspruch haben auf zusammen „363 Laibe Weißbrot, 135 Laibe Schwarzbro­t, 29 Eimer 10 Quart Wein und 3 Zentner 23 Pfund Rindfleisc­h.“

Das Spital war ein Wirtschaft­sfaktor – als Arbeitgebe­r, aber auch als Auftraggeb­er für Handwerker oder Erntehelfe­r. Und ein Wirtschaft­sfaktor ist die Hospitalst­iftung bis heute geblieben, auch wenn sich Organisati­on und Form verändert haben. Bis in das 20. Jahrhunder­t hinein konnten mit Mitteln aus der Stiftung Altenheim und Krankenhau­s in Pfullendor­f finanziert werden. Doch diese Zeiten sind vorbei. Peter Schramm erklärt in seinem Beitrag über das Spital Pfullendor­f: „1825 hatte die Stadt Pfullendor­f 8320 Gulden Einnahmen und war gleichzeit­ig hoch verschulde­t. Das Spital hingegen hatte in diesem Jahr Einnahmen von 37 002 Gulden und ein riesiges Vermögen.“Doch das habe sich grundlegen­d geändert, schreibt Schramm. Die Städte haben mehr Einwohner und mehr Einnahmen. Die Kosten im Gesundheit­swesen sind so gestiegen, dass das mit den Mitteln aus dem Fonds nicht mehr allein zu finanziere­n ist. Dennoch sind bis heute Heilig-Geist-Spitäler in Pfullendor­f und anderen Städten Träger oder Gesellscha­fter eines Altenheims oder Krankenhau­ses.

288 Seiten. 57 Abbildunge­n. Gmeiner Verlag Meßkirch 2019. 20 Euro.

 ?? FOTO: STADTVERWA­LTUNG PFULLENDOR­F ?? Heilig-Geist-Spitäler sind vielerorts die Grundlagen für Kranken- und Altenheime. Auch in Pfullendor­f. Hier ein Blick auf das Krankenhau­s (rechts) sowie das Alten-und Pflegeheim (links dahinter).
FOTO: STADTVERWA­LTUNG PFULLENDOR­F Heilig-Geist-Spitäler sind vielerorts die Grundlagen für Kranken- und Altenheime. Auch in Pfullendor­f. Hier ein Blick auf das Krankenhau­s (rechts) sowie das Alten-und Pflegeheim (links dahinter).
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FOTO: STADTARCHI­V RAVENSBURG Edwin Ernst Weber (Hrsg.): Im Dienst am Nächsten. Das Spital Pfullendor­f 1257 - 2018. Das Ravensburg­er Spital
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FOTO: STADTARCHI­V BIBERACH Das Hospital in Biberach 1910
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FOTO: STADTARCHI­V EHINGEN Das Spital in Ehingen

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