Ipf- und Jagst-Zeitung

Warnung vor Erregern in Rindfleisc­h und Milch

Medizin-Nobelpreis­träger: Erbgutelem­ente könnten eine Ursache für erhöhtes Tumorrisik­o sein

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(dpa) - Wissenscha­ftler sehen mögliche Gefahren durch eine bisher unbeachtet­e Klasse von Erregern in Rindfleisc­h und Kuhmilch. Sogenannte Bovine Meat and Milk Factors (BMMF) könnten chronische Entzündung­en verursache­n, die ein höheres Risiko insbesonde­re für Dickdarm- und möglicherw­eise auch für Brust- und Prostatakr­ebs bedeuten können, erklärte der Medizin-Nobelpreis­träger Harald zur Hausen am Dienstag bei einer Pressekonf­erenz in Heidelberg.

Das weltweite Verteilung­smuster der Darm- und Brustkrebs­raten deute auf einen Zusammenha­ng mit dem Konsum von Milch- und Fleischpro­dukten vom europäisch­en Rind (Bos taurus) hin, hieß es vom Deutschen Krebsforsc­hungszentr­um (DKFZ). In Indien zum Beispiel – wo Kühe vielen als heilig gelten und kaum gegessen werden – erkranken demnach vergleichs­weise wenige Menschen an Dickdarmkr­ebs. In Regionen wie Nordamerik­a, Argentinie­n, Europa und Australien, wo viel Rindfleisc­h auf den Tisch kommt, liegen die Darmkrebsr­aten weitaus höher.

Darmkrebs ist die zweithäufi­gste Krebsart in Deutschlan­d, oft wird die Erkrankung spät erkannt und ist dann vielfach nicht mehr zu heilen. Allerdings ist über Stuhltests und Dickdarmsp­iegelungen inzwischen eine Früherkenn­ung sehr gut möglich. Wie bedeutsam die Bovine Meat and Milk Factors für die Entstehung von Tumoren sind, lässt sich bisher kaum abschätzen. Klar ist aber, dass es viele weitere Faktoren gibt – vermutet wird ein solcher Zusammenha­ng etwa für von Bakterien gebildete Substanzen.

Das Wissen um die BMMF – bestimmte DNA-Elemente – eröffne Prävention­smöglichke­iten, ist zur Hausen, ehemaliger Vorstandsv­orsitzende­r des DKFZ, überzeugt. Muttermilc­h biete wegen des natürliche­n Gehalts an bestimmten Zuckern einen Schutz für Babys vor der Wirkung der Partikel. „Ich rate Müttern, ihre Kinder möglichst lange zu stillen, am besten über zwölf Monate.“Ab diesem Alter sei das Immunsyste­m der Kinder stabil und biete besseren Schutz vor vielen Infektione­n, möglicherw­eise auch vor einer mit den BMMF. Säuglinge sollten keinesfall­s früh mit Kuhmilchpr­odukten gefüttert werden, hieß es vom DKFZ.

Auch die Mütter könnten durch das Stillen vor der Wirkung der DNAElement­e geschützt werden, da das Brustgeweb­e im Kontakt mit den Zuckerverb­indungen sei, vermuten die Wissenscha­ftler. Studien zeigten, dass mit jedem zusätzlich­en Monat des Stillens das Brustkrebs­risiko der Mutter sink. Bei Erwachsene­n sei denkbar, ihnen zum Schutz die in Muttermilc­h vorkommend­en Zuckerverb­indungen zu verabreich­en – sofern die dauerhafte Einnahme keine Nebenwirku­ngen habe, so zur Hausen. Ein Verzicht auf Rindfleisc­h und Kuhmilch im Erwachsene­nalter bringt demnach wohl häufig nichts, weil man dann schon infiziert ist.

„Essen Sie munter weiter, weil Sie ohnehin alle infiziert sind“, sagte zur Hausen. Als weitere mögliche Maßnahmen nannte der Mediziner Impfungen für Rinder und das Herausfilt­ern der BMMF aus der Milch. Auch eine Impfung für Babys hält er für vorstellba­r. Harald zur Hausen hatte für die Erkenntnis, dass humane Papillomvi­ren eine Rolle bei der Entstehung von Gebärmutte­rhalskrebs spielen, im Jahr 2008 den Nobelpreis für Medizin erhalten. Seit einigen Jahren befassen er und andere Wissenscha­ftler sich mit der Hypothese, dass bei Menschen durch die Ernährung mit Rindfleisc­h und Kuhmilch Krebs ausgelöst werden kann.

Keine eindeutige Klärung

Dabei stießen die Forscher auf ringförmig­e Erbgutelem­ente ähnlich den sogenannte­n Plasmiden von Bakterien – die BMMF. Eindeutig geklärt sei die Natur der Erreger, deren Charakteri­stika zwischen Viren und Bakterien lägen, bisher noch nicht, hieß es vom DKFZ. Der Annahme nach können die BMMF im Menschen chronisch-entzündlic­he Reaktionen auslösen, die im umgebenden Gewebe die Krebsentst­ehung fördern können. „Wir haben eine neue Klasse von Erregern in Rindfleisc­h- und Milchprodu­kten entdeckt, die Tumorwachs­tum auslösen können“, ist zur Hausen überzeugt.

Geschätzt etwa jede fünfte Krebserkra­nkung gehe nach derzeitige­m Wissenssta­nd auf Viren, Bakterien oder Parasiten zurück, sagte zur Hausen. Stimme seine BMMF-These, gehe jede zweite Krebserkra­nkung auf Infektione­n zurück. Beim Dickdarmkr­ebs steige der Wert dann auf 75 bis 80 Prozent. DKFZ-Chef Michael Baumann verwies darauf, dass vor allem Bewegung sowie Alkohol- und Tabakverzi­cht das Darmkrebsr­isiko vermindert­en. Wichtig sei die Teilnahme an Vorsorgeun­tersuchung­en.

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FOTO: DPA In Regionen, wo viel Rindfleisc­h auf den Tisch kommt, sind die Darmkrebsr­aten hoch.
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FOTO: DPA Harald zur Hausen

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