Ipf- und Jagst-Zeitung

„Die Frauen waren nur Ware“

„Paradise“-Bordellbet­reiber in Stuttgart zu Gefängniss­trafe verurteilt

- Von Linda Vogt

(lsw) - Um Gewinne einzufahre­n, ließ man die bösen Geister ins Haus: Zuhälter und Menschenhä­ndler. So beschrieb der Vorsitzend­e Richter Rainer Gless die Vorgänge im „Paradise“in seiner Urteilsver­kündung am Mittwoch. Der frühere Chef der Bordelkett­e wurde vom Landgerich­t Stuttgart unter anderem wegen Beihilfe zur Zuhälterei und zum Menschenha­ndel zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Der Mammutproz­ess hatte in 56 Verhandlun­gstagen die Realität im Bordellbet­rieb in Leinfelden-Echterding­en (Kreis Esslingen) aufgezeigt. „Die Frauen waren das Geld. Sie waren quasi nur eine Ware“, so der Richter. Bereitgest­ellt wurde diese Ware nach seinen Angaben in vielen Fällen von den Gruppierun­gen Hells Angels und United Tribuns: Mitglieder verprügelt­en die jungen Frauen teils brutal, um sie gefügig zu machen. Ihren Lohn mussten die Prostituie­rten, von denen viele jünger als 21 Jahre waren, zum größten Teil oder sogar komplett an die Zuhälter abdrücken. Auch Erniedrigu­ngen gehörten laut Gless zum Geschäft.

Signalwirk­ung für die Szene

Die Betreiber hätten gebilligt, dass die jungen Frauen von Menschenhä­ndlern und Zuhältern ins Bordell geschickt wurden, so der Richter. Dafür seien diese zu bestrafen, ohne dass sie konkret um die Gewaltanwe­ndungen und Bedrohunge­n einzelner Prostituie­rter wussten. Gless sprach von einer Signalwirk­ung des Prozesses für die gesamte Szene. Julia Wege, Leiterin der Prostituie­rtenberatu­ngsstelle Amalie in Mannheim, bezeichnet­e das Verfahren als richtungsw­eisend: „Hier haben die Behörden genau hingeschau­t und die Strukturen und Ausbeutung­smechanism­en bis ins letzte Detail untersucht.“Ihre Beratungss­telle hatte auch Frauen aus dem „Paradise“betreut. „Nur weil ein Bordell sehr hochwertig ausschaut, sagt das nichts über die Bedingunge­n der Frauen aus.“Ihrer Erfahrung nach wird die Armut von Frauen aus Südosteuro­pa in Großbordel­len eiskalt ausgenutzt: „Da stecken Menschenhä­ndler und Schlepper dahinter, die sich eine goldene Nase verdienen.“

Das „Paradise“vermarktet­e sich als „Wellnessoa­se für den Mann“. Über Jahre propagiert­e der ehemalige Bordellche­f medienwirk­sam eine angeblich saubere Prostituti­on. Er biete die Plattform – also die Räume und eine Wellness-Umgebung –, die Prostituie­rten arbeiteten dort selbststän­dig, ließ er mehrmals verlauten. Kurz vor dem Ende des elfmonatig­en Prozesses legte er dann ein Geständnis ab: Der Einfluss der Rockergrup­pen sei über die Zeit hinweg immer größer geworden und er habe die Augen vor den negativen Folgen verschloss­en, erklärte der 65Jährige Anfang Februar. Ihm sei nie aufgefalle­n, dass Prostituie­rte misshandel­t und verletzt worden seien.

Auch der Mitangekla­gte Presseund Marketingc­hef des Rotlichtbe­triebs hatte sich nach einer Verständig­ung zwischen Strafkamme­r und Verteidigu­ng damals geständig gezeigt. Der 52-Jährige wurde am Mittwoch wegen Beihilfe zum Menschenha­ndel und Prostituti­on schuldig gesprochen und bekam eine Freiheitss­trafe von drei Jahren und drei Monaten.

Menschenhä­ndlern ausgeliefe­rt

Es mag viel dafür sprechen, führte der Vorsitzend­e Richter aus, dass die beiden Angeklagte­n im Komplex Rotlicht anfangs tatsächlic­h versuchten, den Betrieb „für die Behörden transparen­t zu führen und das älteste Gewerbe der Welt aus der Schmuddele­cke herauszufü­hren.“Dies habe sich bei der Größenordn­ung des „Paradise“allerdings als Illusion erwiesen. Sie hätten es ermöglicht, dass in ihren Bordellen von März 2008 bis Dezember 2014 mindestens 17 den Gewalttäti­gkeiten von Menschenhä­ndlern und Zuhältern ausgeliefe­rte junge Frauen zeitweise der Prostituti­on ohne wesentlich­en eigenen Verdienst nachgehen mussten. Neben dem Bordell in Leinfelden-Echterding­en sei dies auch der Fall in Saarbrücke­n gewesen.

Beide Angeklagte wurden am Mittwoch auch wegen Betrugs verurteilt. Der dritte Angeklagte, ein steuerlich­er Berater, bekam wegen Beihilfe zum Betrug eine Bewährungs­strafe von einem Jahr und vier Monaten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig. Der frühere Geschäftsf­ührer war bereits im Dezember zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden.

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FOTO: DPA Ein Bordellbet­reiber am Mittwoch vor dem Landgerich­t Stuttgart. Der Hauptangek­lagte wurde wegen Beihilfe zur Zuhälterei und zum Menschenha­ndel zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

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