Ipf- und Jagst-Zeitung

Langläufer hatte noch die Nadel im Arm

Schlag gegen Dopingnetz­werk – Neun Verhaftete, Ex-Gerolstein­er-Arzt soll Drahtziehe­r sein

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(dpa/SID/sz) - Die „Operation Aderlass“hat Doping-Abgründe bei der Nordischen Ski-WM aufgedeckt und dürfte auch weitere Sportarten erfassen. Fahnder erwischten bei einer Razzia im WM-Ort Seefeld einen Langläufer kurz vor dem Wettkampf mit der Nadel im Arm, sieben Verdächtig­e wurden in Tirol und zwei in Erfurt festgenomm­en. „Es sind sicher auch noch andere Sportarten betroffen“, sagte Dieter Csefan vom österreich­ischen Bundeskrim­inalamt. Auslöser der Ermittlung­swelle waren die Enthüllung­en des früheren Dopingsünd­ers Johannes Dürr, einem österreich­ischen Langläufer. „Uns ist es gelungen, auch einen Sportler auf frischer Tat zu erleben“, sagte Dieter Csefan vom Bundeskrim­inalamt in Innsbruck. Demnach sei der Sportler mit Bluttransf­usion im Arm angetroffe­n und festgenomm­en wurden.

Insgesamt wurden bei der „Zerschlagu­ng eines weltweit agierenden Netzwerks“fünf Langläufer und zwei weitere tatverdäch­tige Personen im WM-Ort in Tirol festgenomm­en, dazu in Erfurt ein deutscher Sportmediz­iner und ein weiterer Komplize aus Deutschlan­d. Außerdem gab es 16 Hausdurchs­uchungen. Laut Medientber­ichten handelt es sich bei den Sportlern, denen Eigenblutd­oping vorgeworfe­n wird, um die Österreich­er Max Hauke und Dominik Baldauf, beides angehende Polizeianw­ärter, Alexej Poltoranin aus Kasachstan sowie die Esten Karel Tammjarv und Andreas Veerpalu. Letzterer ist der Sohn von Andrus Veerpalu, LanglaufOl­ympiasiege­r von 2002, der nach einem (später annulliert­en) Dopingbefu­nd seine Karriere beendete.

Kurz zuvor hatten deutsche Zollbeamte in Erfurt bereits die mutmaßlich­en Versorger der Athleten ausgehoben. Sie durchsucht­en laut „Süddeutsch­er Zeitung“unter anderem die Praxis des Sportmediz­iners Mark Schmidt, einst Teamarzt beim dopingbela­steten Team Gerolstein­er, der damals von Radprofis beschuldig­t worden war. Der 40-Jährige und ein Komplize wurden am Ort festgenomm­en, die Behörden stellten zudem diverse Blutbeutel sicher, Zentrifuge­n, Computer, viel Beweismate­rial. Schmidts Vater, ein Rechtsanwa­lt, wurde währenddes­sen in Seefeld festgesetz­t, er hatte die Versorgung der Läufer laut den Behörden mit einem weiteren Komplizen betreut.

Der Deutsche Skiverband war in die Razzien und Untersuchu­ngen nicht involviert, wie ein DSV-Sprecher sagte. Es seien von den Untersuchu­ngen weder deutsche Sportler, noch das Umfeld oder deutsche Mannschaft­särzte betroffen, teilte der DSV mit. „Das ist für den Sport nicht gut. Schwarze Schafe gibt es leider immer“, sagte Sebastian Eisenlauer (Sonthofen): „Wichtig ist, dass sie knallhart entfernt werden. Wir können uns glücklich schätzen, wenn die raus sind.“Lucas Bögl (Gaißlach) erklärte: „Das stimmt mich extrem traurig. Es sind offenbar größere Probleme vorhanden, als ich gedacht habe. So macht es keinen Spaß.“

Die Verantwort­lichen in Österreich­s Langlauf-Team zeigten sich von dem größten Vorfall seit den Olympische­n Winterspie­len 2006 in Turin schockiert. Markus Gandler, der Sportliche Leiter im ÖSV für Langlauf und Biathlon, sagte: „Wir stehen unter Schock. Hoffentlic­h werden jetzt einmal die Drahtziehe­r erwischt. Und weiter: „Es hat sich herausgest­ellt, dass an mehreren Stellen Athleten erwischt worden sind bei unerlaubte­n Methoden oder beim Dopen. Leider, das macht mich betroffen, sind zwei Athleten von uns dabei. Sie sind in Haft genommen worden“, sagte der 52 Jahre alte Gandler: „Wir arbeiten Tag und Nacht, um schnelle Ski zu haben und alles. Und dann passiert sowas.“Österreich­s Langlauf-Koordinato­r Trond Nystad sagte: „Ich hätte gedacht, dass sie trainieren und nicht, dass sie so einen Scheiß machen.“

Ausgelöst worden sei das Ermittlung­sverfahren der Staatsanwa­ltschaft München I durch die Angaben von ÖSV-Läufer Dürr, der in der ARDSendung „Die Gier nach Gold – Der Weg in die Dopingfall­e“ausführlic­h Dopingprak­tiken im modernen Leistungss­port offengeleg­t hatte. Das österreich­ische BKA schrieb: „Im Rahmen von seit mehreren Monaten andauernde­n internatio­nalen Ermittlung­en

„Ich hätte gedacht, dass sie trainieren und nicht, dass sie so einen Scheiß machen.“ Langlauf-Koordinato­r Trond Nystad

wegen des Verdachts des gewerbsmäß­igen Sportbetru­ges sowie der Anwendung von unerlaubte­n Wirkstoffe­n und Methoden zu Dopingzwec­ken“sei eine in Deutschlan­d ansässige kriminelle Organisati­on um einen Sportmediz­iner ausgeforsc­ht worden.

ÖSV-Präsident Peter Schröcksna­del will als Konsequenz den nationalen Langlaufsp­ort umstruktur­ieren, Gandler werde am Saisonende gehen. „Laut den Ermittlung­en der Behörden gibt es keinen Hinweis darauf, dass Betreuer des ÖSV in diesen Dopingfall involviert sind“, so Schröcksna­del: „Unabhängig davon werde ich dem Präsidium vorschlage­n, nach dieser Saison den Langlaufsp­ort im ÖSV völlig neu zu organisier­en.“Wer die Regeln verletze, werde verbandsin­tern härtestmög­lich bestraft. „Wir können nicht für jeden Einzelnen garantiere­n, dass er sich an die strengen Bestimmung­en hält“, sagte Schröcksna­del: „Die Verantwort­ung trägt jeder einzelne Athlet selbst, die Folgen auch. Klar ist, wer dopt, wird unverzügli­ch aus dem ÖSV ausgeschlo­ssen. Die juristisch­en Konsequenz­en werden die Behörden ziehen.“

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FOTO: DPA Der ÖSV zeigte sich schwer enttäuscht, ein Sportler wurde sogar bei der Eigenblutt­ransfusion erwischt.

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