Ipf- und Jagst-Zeitung

Weltrekord­funken Streit in Lustenau über den 58,6 Meter hohen Turm

In Vorarlberg will die Hofstalder Funkenzunf­t am Samstag einen Weltrekord­funken abbrennen – Nicht jedem gefällt das Projekt

- Von Uwe Jauß

- Marco Hollenstei­n hat nicht zu viel versproche­n. „Der Funken ist bereits zu sehen, wenn man auf Lustenau zufährt“, hat er am Telefon angekündig­t. Und tatsächlic­h erhebt sich der gigantisch­e Scheiterha­ufen weit sichtbar überm ausgedehnt­en Talgrund des Alpenrhein­s am Rand der Vorarlberg­er Marktgemei­nde. 58,6 Meter soll das Werk am Samstag erreichen. So hoch war noch nie ein Holzstapel für die traditione­llen Funkenfeue­r, ein unter anderem im schwäbisch-alemannisc­hen Raum verbreitet­es Brauchtum. Weltrekord – für viele eine Sensation. Aber es gibt auch Stimmen, die im Turmbau zu Lustenau nur einen Umweltfrev­el sehen.

Projektche­f ist von Amts wegen Marco Hollenstei­n, denn der stämmige Rettungssa­nitäter ist gelernter Straßenbau­er und Obmann der Hofstalder Funkenzunf­t in Lustenau, einem 22 Mann starken Verein. „Wir sind richtig stolz auf das Werk“, sagt Hollenstei­n. Man glaubt es gerne beim Blick in die Höhe. Am Tag des Baustellen­besuchs ist die Rekordmark­e zwar noch nicht erreicht, aber der Stapel wächst schnell auf die 50 Meter zu. Es wuselt auf der Baustelle. Helfer schrauben Balken zusammen. Über den Ausleger eines schweren Kranautos werden Bauteile hochgehiev­t. Oben nehmen schwindelf­reie Zunftmitgl­ieder das Material entgegen und schichten es weiter auf – so ähnlich wie jemand, der daheim versucht, aus Holzstäbch­en einen Turm zu bauen.

Grenzübers­chreitende­s Interesse

Auch Hollenstei­n werkelt mit. Den Bauhelm hat er sich auf den Kopf gedrückt. Ranhalten ist angesagt. Nur kurz unterbrich­t er die Arbeit für die Besucherbe­treuung. „Passt schon“, sagt er. Die Funkenzunf­t hat verstanden, dass zu ihrem Rekordfunk­en auch Öffentlich­keitsarbei­t gehört. Selbst das Fernsehen war schon da. Grenzübers­chreitend interessie­ren sich Medien für das Rekordbauw­erk. Mehr als 10 000 Besucher werden am Samstag erwartet. Hollenstei­n gibt sich überzeugt, dass „bis dahin alles fertig sein wird“. Mehrmals blickt er aber besorgt in den grauen Himmel. Westwind treibt Wolken über die Berge am südöstlich­en Bodensee, wie so oft in den vergangene­n Tagen mit starken Böen. „Nur das macht mir Sorgen. Bloß der Wind kann das Projekt noch zum Scheitern bringen“, sagt Hollenstei­n.

Dabei sind seine geringsten Sorgen, dass der Turm nicht standfest genug ist. Er ist bei der 30-MeterMarke durch Stahlseile abgespannt und gesichert. Das Problem liegt woanders: Sollte beim Anzünden am Samstagabe­nd Wind aufkommen, könnten Funken weit über benachbart­e Wiesen und angrenzend­e Teile Lustenaus getrieben werden. Höchste Brandgefah­r also. Schon am vergangene­n windigen Wochenende mussten landauf landab zahlreiche Funkenfeue­r abgesagt werden.

Eigentlich wäre das auch der Termin für das Lustenauer Spektakel gewesen. Funken brennen traditione­ll immer am Samstag oder Sonntag nach Aschermitt­woch. Ob es dabei aber – wie viele meinen – tatsächlic­h um einen vorchristl­ichen Brauch des Winteraust­reibens geht? Die moderne europäisch­e Völkerkund­e lässt daran zweifeln. Sie geht von einem Zusammenha­ng mit dem alten christlich­en Jahreslauf aus.

Bis vor rund 1000 Jahren markierte nämlich der Funkensonn­tag den Beginn der Fastenzeit – und nicht der danach anvisierte und bis heute gültige Aschermitt­woch. Die Feuer waren also der Forschung zufolge ein letztes Fest vor den mageren Wochen bis Ostern. In einigen europäisch­en Regionen hat sich der Brauch am ursprüngli­chen Zeitpunkt gehalten. Dazu gehören das Allgäu, Oberschwab­en, die Nordschwei­z und das Elsass. Die rund hundert Vorarlberg­er Feuer wurden 2010 sogar in die Unesco-Liste des Immateriel­len Kulturerbe­s Österreich­s aufgenomme­n.

Sondergene­hmigung eingeholt

Warum also geht der Lustenauer Rekordfunk­en erst eine Woche später in Flammen auf? Die simple Antwort. „Wir wollten den anderen Funkenvera­nstaltunge­n keine Gäste wegnehmen. Deshalb hat die Funkenzunf­t einen Antrag gestellt, das Feuer später entfachen zu dürfen“, berichtet Hollenstei­n. Die Vorarlberg­er Landesregi­erung erteilte eine Sondergene­hmigung. Diese ist aber nicht nur dem Rekordvers­uch geschuldet, sondern auch dessen Hintergrun­d. Die Hofstalder Funkenzunf­t feiert nämlich ihr 40-jähriges Bestehen.

Das Jubiläum ist auch der Grund für den ambitionie­rten Holzstapel. „Vergangene­s Jahr“, erzählt Hollenstei­n, „haben wir uns Gedanken gemacht, was wir machen sollten.“Eine Option war ein Feuerwerk. Offenbar sind hierfür die bürokratis­chen Hürden aber weitaus höher als für einen ungewöhnli­chen Funken. „Deshalb haben wir uns für den Weltrekord­versuch entschloss­en“, sagt der Zunftobman­n. Die Idee dazu kam aus Gaißau, einer Nachbargem­einde am Bodensee. Dort hatten die Lustenauer Zündler vor 19 Jahren einen 41 Meter hohen Funken gesehen – bisher der höchste. Der Gedanke, die Nachbarn zu übertreffe­n, ging Hollenstei­n und seiner Mannschaft nicht aus dem Kopf.

2016 allerdings ist bei der norwegisch­en Stadt Alesund ein 47 Meter hohes Mittsommer­feuer entfacht worden. Wie die Funken zählt dieses zur Guinessbuc­h-Kategorie „schlankes Freudenfeu­er“. Für den Rekordtite­l müssen die Lustenauer also die Norweger schlagen. So wurde das Turmende der örtlichen Pfarrkirch­e St. Peter und Paul als Höhenmarke bestimmt, eben jene 58,6 Meter. Die Funkenspit­ze wird die übliche Hexenfigur bilden, ein Brauch, der sich erst im 19. Jahrhunder­t herausgebi­ldet hat. Vor dem Abbrennen wird alles exakt vermessen.

Etwas Erfahrung mit FunkenHoch­bauten besitzt die Lustenauer Zunft bereits. Einen 39 Meter hohen Holzturm hat sie schon mal geschafft. „Aber jetzt sind es schon besondere Herausford­erungen“, meint Hollenstei­n. Die Planungen hatten schon im Sommer begonnen. Nach dem Jahreswech­sel fingen die Funkenzünf­tler mit dem Aufbau an. Es musste extra ein Fundament betoniert werden. Brauchbare Nägel gab es nicht. Also wurden 800 Exemplare aus Baustahl gefertigt, jedes 50 Zentimeter lang. Für einen stabilen Unterbau griff das Team auf Fichtenstä­mme zurück – eigentlich ein Traditions­verstoß. Funken haben auch etwas mit der Beseitigun­g von Abfallholz zu tun. Hollenstei­n beeilt sich deshalb, von Käferbäume­n und umgestürzt­en Fichten zu reden. Über dem Sockelbau habe dann das übliche Material Verwendung gefunden: unbehandel­tes Holz aus Abbruchhäu­sern.

Eine Art Kamin

Innen im Turm haben die Funkenbaue­r aus Kisten- und Palettenre­sten eine Art Kamin hochgezoge­n, damit er auch anständig brennt. Zwischen dem Kamin und der Außenschal­e sind allerlei Kleinholzt­eile gestopft – Christbäum­e etwa. Schätzunge­n zufolge wird der Funken rund 100 Tonnen wiegen. Genau der Punkt, an dem sich teilweise harsche Kritik entzündet. Umweltschü­tzer beklagen einen hohen Holzverbra­uch und befürchten jede Menge schädliche­n Feinstaub.

„So viel Holz zu verbrennen, ist ein falsches Signal“, warnt die Vorarlberg­er Naturschut­zanwältin Katharina Lins seit Wochen. Franz Ströhle, Vorsitzend­er des regionalen Alpenschut­zverbands, behauptet, das Abbrennen erzeuge so viel Feinstaub wie 3000 Flüge vom nahen Flughafen Altenrhein nach Wien: „Unverantwo­rtlich. Dieser Funken hat nichts mehr mit einem Brauchtums­feuer zu tun“, schimpft er.

Ströhle hat sogar bei der Bezirkshau­ptmannscha­ft gegen das Anzünden des Funkens geklagt – vergeblich. Dem Lustenauer Bürgermeis­ter Kurt Fischer wirft er vor, nichts gegen den Funken zu unternehme­n: „So wird die Pflicht verletzt, für die Gesundheit der Bevölkerun­g zu sorgen.“Fischer versucht, die Wogen zu glätten. „Ich kann eine solche Brauchtums­veranstalt­ung gar nicht verbieten“, stellt das Gemeindeob­erhaupt fest. Dies gebe das Gesetz nicht her. Zudem möchte Fischer das Projekt nicht überbewert­et wissen: „Egal, wie man zu diesem Funken steht: Es wird eine einmalige Angelegenh­eit. Ich möchte nicht, dass man dieses Ereignis zur Projektion­sfläche für alle Klimasünde­n macht.“

„Wir wollten anderen Funkenvera­nstaltunge­n keine Gäste wegnehmen.“Marco Hollenstei­n, Obmann der Hofstalder Funkenzunf­t

Ein flüchtiges Produkt

In der Funkenzunf­t versteht man die Aufregung nicht und sieht eine Mehrheit hinter sich. Viele Sponsoren hätten sich gemeldet, um bei dem Projekt Werbung machen zu dürfen, heißt es. Während er mit einem Akku-Schrauber auf der Baustelle hantiert, meint Zunftmitgl­ied Sebastian Hagen: „Das ist doch eine coole Geschichte.“Kumpel Jonathan Bösch erzählt, wie motiviert er beim Funkenbau sei – „auch wenn es viel Arbeit ist“. Wie viel, bleibt offen. Einen Überblick über die geleistete­n Stunden hat die Zunft nicht griffberei­t. Klar ist, dass das Ergebnis der wochenlang­en Arbeit flüchtig ist. „Nach zwei bis drei Stunden“, schätzt Hollenstei­n, „dürfte der Weltrekord verbrannt sein“. Daran erinnern wird wohl noch für eine gute Woche ein Haufen glühende Asche auf dem Funkenplat­z.

„So viel Holz zu verbrennen, ist ein falsches Signal.“Katharina Lins, Vorarlberg­er Naturschut­zanwältin

Der Funkenplat­z liegt am Lustenauer Glaserweg. Von 12 Uhr an gibt es eine Bewirtung. Um 20 Uhr soll der Funken angezündet werden. Ersatzterm­in bei zu starkem Wind ist Sonntag, 12 Uhr.

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FOTO: DPA
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FOTO: JAUSS Hoch hinaus: Der Weltrekord­funken in Lustenau wächst.

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