Ipf- und Jagst-Zeitung

Was geschah nach der „Dämonenaus­treibung“?

Im Berufungsf­all der toten Wilhelmsdo­rferin fordert die Staatsanwa­ltschaft in Frauenfeld eine höhere Strafe, die Verteidigu­ng will eine niedrigere

- Von Philipp Richter

- Es war eine „Dämonenaus­treibung“, an deren Folgen Vanessa W. aus Wilhelmsdo­rf im Landkreis Ravensburg gestorben ist: An dieser Überzeugun­g hielt die Staatsanwa­ltschaft Kreuzlinge­n im Berufungsv­erfahren am Mittwoch vor dem Obergerich­t Frauenfeld im schweizeri­schen Thurgau fest. Überzeugt ist die Staatsanwa­ltschaft auch davon, dass der schuldige Vater Klaus S. seine Tochter auch geschändet und ihren Totenfried­en gestört hat. Deswegen sei die Haftstrafe, die das Bezirksger­icht Frauenfeld vor einem Jahr verhängt hatte („Böse Geister“/„Schwäbisch­e Zeitung“am 10. März 2018), zu niedrig. Sie hält am Antrag auf eine 14-jährige Freiheitss­trafe fest.

Klaus S., der aus Leutkirch im Allgäu kommt und in Deutschlan­d mehrfach vorbestraf­t ist, war wegen eventualvo­rsätzliche­r Tötung zu neun Jahren Haft plus Schmerzens­geld verurteilt worden. Nach Schweizer Recht liegt dann ein Eventualvo­rsatz vor, wenn ein Täter bei seinem Handeln den Tod als möglich erachtet und ihn billigend in Kauf nimmt, ihn aber nicht beabsichti­gt. Außer der Staatsanwa­ltschaft ging auch die Verteidigu­ng in Berufung; sie fordert eine Haftstrafe von viereinhal­b Jahren.

Was ist in der Wohnung in einem Mehrfamili­enhaus in Wagenhause­n im schweizeri­schen Kanton Thurgau wirklich passiert? Es bleibt wohl das Geheimnis von Klaus S.. Fest steht, dass Vanessa W. an schweren inneren Verletzung­en starb, die ihr von ihrem Vater zugefügt wurden. In den späten Abendstund­en des 2. Januar 2016 war sie zusammen mit ihm in der Wohnung ihres ehemaligen Freundes in der Schweiz. Den Ausführung­en der Staatsanwa­ltschaft zufolge glaubte der Vater, sie sei von einem Dämon besessen gewesen, weil sie sich ein Kind von ihrem ExFreund wünschte. Schon vor der Reise in die Schweiz war es in Wilhelmsdo­rf zu einem Streit zwischen den beiden gekommen, der in Wagenhause­n in einer „Dämonenaus­treibung“gipfelte.

Eine tödliche „Massage“

Die kleinwüchs­ige und lernschwac­he 25-Jährige ließ sich überzeugen, sich einer „Massage“mit den Füßen zu unterziehe­n. In erster Instanz war deutlich geworden, dass der 51-Jährige mit den Füßen und seinem ganzen Körpergewi­cht auf die junge Frau eintrat. Die Beschreibu­ng seines Vorgehens, die Art der inneren Verletzung­en und die Fotos der mit Hämatomen übersäten Leiche lassen auf ein Martyrium schließen. Nach der „Behandlung“brach Vanessa in der Dusche bewusstlos zusammen.

Was danach geschehen war, war einer der fraglichen Punkte, um die es im Berufungsv­erfahren ging. Zweifelsfr­ei hat Klaus S. die Frau mit seinen Fingern penetriert und begonnen, sie zu stimuliere­n. Dabei hat er sie mit seinem Ring innerlich verletzt. Er sei der Überzeugun­g gewesen, so ihr Basis-Chakra im Beckenbode­n zu stimuliere­n und sie so zu reanimiere­n, hieß es. Der Mann bewegte sich in der Mittelalte­rszene und hat einen Hang zum Okkultismu­s. Er sei von seiner Methode überzeugt gewesen, auch wenn mit dieser Stimulatio­n Erfolge nicht möglich beziehungs­weise nicht bewiesen sind. „Das war der einzige Grund, sexuelle Motive lagen zu keinem Zeitpunkt vor“, argumentie­rte Verteidige­r Daniel Christen.

Die erste Instanz war unter Berücksich­tigung eines forensisch­en Gutachtens zur selben Ansicht gelangt und hatte Klaus S. im März 2018 von der Schändung und von der Störung des Totenfried­ens freigespro­chen. „Das ist eine reine Schutzbeha­uptung“, sagte hingegen Staatsanwa­lt Marco Breu am Mittwoch. Der Vater „hätte durchaus andere Handlungsm­öglichkeit­en gehabt. Er hätte den Rettungsdi­enst und/oder die Nachbarn zur Hilfe rufen können“. So hatte es ihm auch der ehemalige Freund von Vanessa W. in einem Chat geraten. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht in der Wohnung. Weiterhin im Dunkeln bleibt auch, was es mit dem Holzknebel auf sich hatte, den der Vater dem leblosen Körper seiner Tochter zwischen die Zähne geklemmt hatte. Die Staatsanwa­ltschaft sagt, dass zu diesem Zeitpunkt bereits die Totenstarr­e eingesetzt hatte, weswegen der Totenfried­en gestört worden sei. Die Verteidigu­ng hingegen bleibt dabei: „Er tat das zum Zeitpunkt des Zusammenbr­uchs und nicht nach dem Tod.“So habe er verhindern wollen, dass die Tochter ihre Zunge verschluck­t.

Christen sagte in seinen Ausführung­en außerdem, das Bezirksger­icht habe in seinem Urteil inkonseque­nt argumentie­rt. Es habe ein sehr schweres Verschulde­n angenommen, es sei aber nur von einem leichten bis mittleren Verschulde­n auszugehen. Er bezog sich auf Schweizer Rechtsprec­hung, die in solchen Fällen fünfeinhal­b Jahre ansetze. Seinem Mandanten „tut es von Herzen leid“, er habe sich entschuldi­gt, und das sei nicht genügend gewürdigt worden. „Der Vorwurf, dass er nicht geweint hat, ist klar polemisch.“Er habe auch das Schmerzens­geld bezahlt und den Schuldpunk­t akzeptiert.

Klaus S., neben dem Kantonspol­izisten sitzend, schwieg während der Verhandlun­g. Scheinbar abwesend – wie schon vor einem Jahr mit leicht angedeutet­em Lächeln – blickte er auf das Gericht. Zu Beginn und am Ende erteilte ihm Obergerich­tspräsiden­tin Anna Katharina Glauser Jung jeweils das Wort. Ob er etwas erklären wolle? „Im Moment g’rad nicht. Nein.“

Das Urteil wird in den nächsten Tagen nicht öffentlich gefällt. Erfahrungs­gemäß kann es bis zur Urteilsmit­teilung durch das Obergerich­t bis zu zwei Monaten dauern.

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FOTO: PHILIPP RICHTER In diesem Mehrfamili­enhaus in Wagenhause­n im Kanton Thurgau ist am 2. Januar 2016 eine Wilhelmsdo­rferin zu Tode gekommen.

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