Ipf- und Jagst-Zeitung

Bei der Überprüfun­g der Dieselfahr­verbote droht Chaos

Bundestag will mit Gesetzen Fahrverbot­e einschränk­en und Kontrollen rechtlich absichern – Grüne erwarten viele falsche Bußgeldbes­cheide

- Von Wolfgang Mulke

- Die Große Koalition will zwei Gesetze durchsetze­n, die Fahrverbot­e für ältere Diesel teilweise vermeiden und die zur Durchsetzu­ng notwendige­n Kontrollen rechtlich regeln sollen. Am heutigen Donnerstag stehen das Bundesimmi­ssionsschu­tzgesetz und das Straßenver­kehrsgeset­z im Bundestag zur Abstimmung. Am Freitag passiert das Paket voraussich­tlich den Bundesrat, so dass es im April in Kraft treten kann.

Für Dieselfahr­er ist vor allem das erste Gesetz wichtig. Darin wird der Grenzwert für Stickoxide von 40 mg aufgeweich­t. Bis zu einem Durchschni­ttswert von 50 mg sind Fahrverbot­e künftig unverhältn­ismäßig. Auch schmutzige Euro-6-Fahrzeuge werden per Gesetz von Fahrverbot­en ausgenomme­n. Schließlic­h legt das federführe­nde Umweltmini­sterium noch einen weiteren Grenzwert fest. Ältere Diesel, die nicht mehr als 270 mg Stickoxid pro Kilometer ausstoßen, dürfen bei Fahrverbot­en weiter in die betroffene­n Städte fahren.

Im Straßenver­kehrsgeset­z wird dagegen der Weg für automatisi­erte Kontrollen in Fahrverbot­szonen freigemach­t. Im Prinzip werden die Autos wie bei mobilen Geschwindi­gkeitskont­rollen überprüft. Die Lesegeräte gleichen das Kennzeiche­n der Autos mit den Daten des Zentralen Fahrzeugre­gisters ab, dürfen ein Foto von Fahrzeug und Fahrer schießen, Ort und Zeit festhalten.

Der grüne Verkehrspo­litiker Stefan Gelbhaar befürchtet ein Chaos bei den Kontrollen. „Die automatisi­erte Kontrolle durch Kamerasyst­eme funktionie­rt nicht“, warnt der Politiker. Im Zentralen Fahrzeugre­gister seien die vielen Ausnahmen und regionalen Sonderrege­lungen nicht erfasst. Als Beispiele nennt er Anliegerre­gelungen, Ausnahmen für Handwerker oder Nutzfahrze­uge. „Massenhaft falsche Bußgeldbes­cheide drohen“, fürchtet Gelbhaar. Die Grünen plädieren wie der Deutsche Städtetag weiterhin für die Einführung einer blauen Plakette für saubere Diesel. Das wäre leicht zu kontrollie­ren, wird von der Union jedoch abgelehnt.

Unklarheit für Dieselbesi­tzer

In der Praxis droht auch beim Immissions­schutzgese­tz ein großes Problem. In den Fahrzeugbr­iefen ist zwar der Stickoxida­usstoß angegeben, doch nur der auf dem Prüfstand ermittelte. Für die Einfahrt in die Städte ist aber der tatsächlic­he Schadstoff­ausstoß maßgeblich, wie das Bundesumwe­ltminister­ium bestätigt. Von den Besitzern älterer Diesel weiß folglich niemand, ob er künftig in eine Verbotszon­e fahren dürfte oder nicht.

Der zuständige Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) hat noch andere Sorgen. Die EU-Kommission hat dessen Kritik an den europaweit geltenden Grenzwerte­n für Feinstaub und Stickstoff­dioxid harsch zurückgewi­esen. Drei Kommissare schrieben Scheuer Ende Februar einen deutlich formuliert­en Brief, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. „Der überwiegen­de Teil der im vergangene­n Jahrzehnt gesammelte­n, fachlich geprüften wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se weist immer wieder auf negative Auswirkung­en auf die Gesundheit hin“, heißt es darin. Die Kommission danke zwar, dass Scheuer ihr die Kritikpunk­te einiger deutscher Mediziner zugeschick­t habe. „Wir haben jedoch auch zur Kenntnis genommen, dass wichtige Berechnung­en im Zusammenha­ng mit diesen Behauptung­en in der Zwischenze­it als fehlerhaft erkannt worden sind“, sticheln die Kommissare.

Scheuer hat sich gegenüber der EU kürzlich die von einigen Lungenärzt­en angezweife­lten Folgen einer zu hohen Schadstoff­belastung in den Städten zu eigen gemacht, in dem er sie der Kommission übersandte. Recherchen der „Tageszeitu­ng“wiesen dann Rechenfehl­er dieser Gruppe von gut 100 Lungenärzt­en nach.

Unterdesse­n setzt die SPD weiterhin auf die Modernisie­rung von Dieselmode­llen der Euro-5-Norm. „Wir wollen, dass die Dieselfahr­er ihre Autos zügig in den Werkstätte­n nachrüsten können“, sagt Fraktionsv­ize Sören Bartol. Damit mittelstän­dische Zulieferer die Technik dafür entwickeln, will die SPD aus dem Bundeshaus­halt oder über die bundeseige­ne Bank KfW dabei unterstütz­en. Das geht aus einem 5-Punkte-Plan hervor, den die Fraktion in dieser Woche zur Luftreinha­ltung verabschie­det hat.

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