Als regierten sie schon ewig
Hält die Große Koalition oder platzt sie bald? Das ist in Berlin die große Preisfrage
– Es kommt einem schon viel länger vor, seufzen viele in Berlin. Tatsächlich aber ist die Große Koalition nach quälender Regierungsbildung am 14. März 2018 gerade ein Jahr im Amt. Doch seit sechs Jahren regieren Angela Merkels CDU, CSU und die SPD jetzt am Stück.
Der Start war diesmal holprig. Nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen musste sich die SPD erst einen großen Ruck geben. Schließlich hatte sie nicht vor, noch einmal in eine GroKo zu gehen, da die letzte ihr schlecht bekommen war. Sie rang mit sich und erklärte sich aus Staatsräson am Ende doch zu dem Bündnis bereit. Am 14. März war es dann so weit, die GroKo hätte die Arbeit aufnehmen können – wäre nicht der Sommer des Missvergnügens gefolgt.
Der Streit-Sommer
„Der fürchterliche Streit zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel hat die Union fast zerrissen und viele Leute genervt. Deshalb gingen die Zustimmungswerte zur Großen Koalition in den Keller. Das Grundvertrauen in Parteien ist erschüttert, das kann man nicht in sechs Monaten wieder aufbauen,“sagt der Biberacher SPD-Abgeordnete Martin Gerster. Seine SPD war in dieser Diskussion der ruhende Pol. Nach der Bayernwahl glätteten sich die Wogen auch in der Union, die Arbeit konnte beginnen.
Es herrsche Stillstand, sagt FDPGeneralsekretärin Nicola Beer heute. Die Koalitionäre sehen das anders. „Wir setzen ein wichtiges Vorhaben nach dem anderen um“, sagt SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles. Und Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus erinnert daran, dass man sich vorgenommen habe, „das Leben der Menschen jeden Monat etwas besser zu machen“.
Vieles auf den Weg gebracht
Tatsächlich ist einiges geschehen. Mütterrenten und Erwerbsminderungsrenten wurden erhöht. Es gibt mehr Kindergeld, das Gute-Kita-Gesetz bringt 5,5 Milliarden Euro mehr für Kindertagesbetreuung. Im Zuge der VW-Affäre wurde das gesetzliche Recht einer Musterfeststellungsklage geschaffen. Verbraucher können sich künftig zusammentun und schneller zu ihrem Recht kommen.
Es gibt Verbesserungen bei der Teilzeit, einen sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose. Ein Baukindergeld wurde eingeführt und für Mieter geringere Steigerungen bei den Mietkosten nach Modernisierungen.
Jetzt aber halt mal, sagt die FDP. Von 138 konkreten Maßnahmen habe die GroKo gerade mal 19 abgearbeitet, und ihre wichtigsten Ziele, Aufbruch in Europa, Dynamik in Deutschland und gesellschaftlicher Zusammenhalt, hätte sie erst recht nicht umgesetzt. So gebe es beim Thema Energiewende und Digitalisierung „null Dynamik“. Große Versäumnisse, das sagen nicht nur die Grünen, hat die Große Koalition auch im Klimaschutz. Wenn die Bundesregierung so weiter mache, würden nicht nur die Klimaziele 2020, sondern auch 2030 verfehlt.
Was noch fehlt
„Wir haben noch genug Projekte“, sagt Andrea Nahles. Sie zählt das geplante Klimaschutzgesetz und die Grundrente als zwei wichtige Vorhaben. Tatsächlich sind weder beim Insektensterben noch bei den Dieselabgasen bisher Lösungen gefunden worden. Und über die Grundrente wird noch ein handfester Streit erwartet, denn die SPD will sie ohne Bedürftigkeitsprüfung einführen, was die Union strikt ablehnt. Auch bei Rüstungsexporten gehen die Meinungen auseinander. So wird es am Donnerstag nicht nur zu einem spannenden Koalitionsausschuss kommen, sondern auch weit darüber hinaus lebendig bleiben.
Keine Wetten auf die Zukunft
Zurzeit geht es in der Großen Koalition halbwegs ruhig zu. Nach der langen Regierungsbildung dürfte den Wählern schon wieder ein neuer Anfang kaum gefallen. Andererseits fänden es 63 Prozent der Deutschen laut Emnid-Umfragen nicht besonders schlimm, wenn die Große Koalition platzen würde. Drei Viertel der SPD-Anhänger würden es sogar begrüßen.
Der Politologe Oskar Niedermayer hält die Wahrscheinlichkeit, dass die Koalition im Herbst auseinanderbricht, für hoch. Denn sie stehe vor mehreren Klippen. Erst die Europawahl im Mai, dann die Landtagswahlen im Osten und schließlich die vereinbarte Revision. „Ich bin eher der Meinung, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es im Herbst dann knallt, relativ hoch ist“, sagte er im Deutschlandfunk.
„So kann es weitergehen“
SPD-Chefin Andrea Nahles ist da anderer Meinung. „So wie jetzt kann es gut weitergehen“, sagt Nahles.
Neuerungen hat bereits die CDU eingeführt. Kanzlerin Angela Merkel hat nach dem großen Rumoren an der Basis den CDU-Vorsitz an Annegret Kramp-Karrenbauer abgegeben, die jetzt versucht, die Konservativen in der Union wieder mitzunehmen. Das gelingt ihr so gut, dass schon die ersten Rufe aus der Union nach einem Wechsel im Kanzleramt kommen. Der allerdings würde neue Unruhe in die GroKo bringen.