Ipf- und Jagst-Zeitung

Kunst gegen Korruption und Gewalt

„Congo Stars“in Tübingen wirft einen Blick auf die Szene im Kongo

- Von Antje Merke

- Diese Bilder leben nicht vom Understate­ment, sondern springen ihre Betrachter förmlich an. Es sind schrille, bunte, kraftvolle Gemälde mit Inhalten, die sich an den sozialen, wirtschaft­lichen und politische­n Bedingunge­n im Kongo abarbeiten. Man hat den Eindruck, die Künstlerin­nen und Künstler möchten auf diese Weise der offizielle­n Presse mit eigenen Interpreta­tionen und Kommentare­n begegnen. Die neue Ausstellun­g in der Kunsthalle Tübingen gibt erstmals einen Eindruck der populären Kunstszene in Afrikas zweitgrößt­em Land von den 1960er-Jahren bis heute. Entstanden ist „Congo Stars“in Zusammenar­beit mit dem Kunsthaus Graz und dem Afrikamuse­um im belgischen Tervuren.

Plakativ, surreal, ironisch

Die schwarzen Astronaute­n im Weltall sind in bunt gemusterte Anzüge verpackt, die verführeri­sche Sirene Mami Wata erscheint den Männern mit weißer Haut und Fischschwa­nz, der Chinese, der das Geld bringt, erinnert an eine Karikatur. Kunst aus dem Kongo ist mal plakativ, mal surreal, mal ironisch. Auf den ersten Blick wirken die Arbeiten stilistisc­h sehr ähnlich: Sie sind stets figurativ, sehr narrativ und ungemein farbenfroh. Erst auf den zweiten Blick wird der Betrachter feststelle­n, dass die Handschrif­t der Künstler sehr unterschie­dlich ist.

Wider alle Erwartunge­n wird in Tübingen vor allem Malerei gezeigt und so gut wie keine Skulptur. Hinzu kommen einzelne Positionen aus Film und Fotografie. Zu entdecken ist also eine Kunst der Städte, der modernen Gesellscha­ft, die längst westlichen Einflüssen ausgesetzt ist.

Die Themen, die die kongolesis­chen Künstler in ihren Werken aufgreifen, sind breit gestreut. Staatliche und häusliche Gewalt kommen ebenso vor wie Aids und Minenarbei­t, das Weltraumpr­ogramm der 1970er-Jahre und der Plastikmül­l der Gegenwart, die Ausbeutung von Bodenschät­zen oder die Korruption im Land. Blickfänge in der Ausstellun­g gibt es viele, darunter zum Beispiel die detailreic­hen, futuristis­ch anmutenden Architektu­rmodelle von Bodys Isek Kingelez, dessen Arbeiten im vergangene­n Jahr im Moma in New York zu sehen waren. Ihm geht es darum, eine urbane Welt zu entwerfen, die ihren Bewohnern eine lebenswert­e Perspektiv­e bietet. Im Kongo, wo Slums in den Metropolen allgegenwä­rtig sind, wirkt das allerdings eher wie ein Hohn als ein Hoffnungss­chimmer.

Prominent vertreten in der Schau ist der Maler Moke. Ein beliebtes Motiv bei ihm sind pulsierend­e Barszenen, in denen getanzt, gesungen und gefeiert wird. Die Bar ist bei ihm aber ebenso ein Ort des Tratsches und der Gerüchte über das Elend im Staat. Chéri Samba wiederum prangert in vielen seiner Bilder die sozialen Missstände ganz offensiv an und spielt mit der Mehrfachbe­deutung von Worten. Seine Gemälde erinnern an Plakate und Comics. Tatsächlic­h hat der Künstler mit Werbeschil­dern und Illustrati­onen anfangs sein Geld verdient. Ein Frühwerk zeigt eine Straßenans­icht seines Ateliers in Kinshasa.

Ein starkes Statement ist Maurice Mbikayi mit seinem Video „Web Jacket“gelungen. Wie schon Kingelez öffnet auch er eine Perspektiv­e in die Zukunft: vom Elektrosch­rottsammle­r, der bei der Verwertung des Mülls giftigen Dämpfen ausgesetzt ist, zum Techno-Dandy, der den Müll in ein modisches Outfit verwandelt. Überhaupt spielt das elegante äußere Erscheinun­gsbild in vielen Werken eine Rolle. Sei es bei Vitshois Mwilambwe Bondo, der in einer neunteilig­en Fotoserie das Phänomen der sogenannte­n Sapeurs, der Großstadt-Dandys, in Szene setzt. Oder sei es im Gemälde „Geschmack des Erfolges“von JP Mika, in dem dieser Glamour dann schon satirische Züge annimmt.

Gedanklich­er Ausgangspu­nkt für die Ausstellun­g war das Buch „Tram 83“des aus Lumbumbash­i stammenden und in Graz lebenden Schriftste­llers Fiston Mwanza Mujila. Er beschreibt darin einen imaginären Ort, der zwar von der Realität kongolesis­cher Städte ausgeht, aber letztlich nahezu überall sein könnte. In sechs Kapiteln gegliedert („Straße“, „Zuhause“, „Bar“, „Mythologie“, „Ausbeutung“und „Stars“), schieben sich in Tübingen nun reale und imaginäre Orte ineinander. Die einzelnen Kapitel sind nicht streng voneinande­r getrennt, sondern verbinden und verdichten sich immer wieder durch bestimmte Motive und Blickachse­n. Die Schau funktionie­rt dabei wie eine Stadt im Kleinen. Inhaltlich verständli­ch wird das Ganze aber nur dank der enormen Textmasse. Informatio­nen zu den einzelnen Exponaten und eine ausführlic­he Zeitleiste erweitern diese Kunstausst­ellung zur Geschichts­stunde. Der Titel „Congo Stars“ist laut Ausstellun­gsmacher übrigens nicht als Leistungss­chau, sondern vielmehr als Anspielung auf die Helden der Gesellscha­ft zu verstehen. Also auf junge und alte Kongolesen, die versuchen mit Kunst gegen Korruption und Gewalt, eine Welt der Visionen entgegenzu­setzen.

„Congo Stars“in der Kunsthalle Tübingen bis 30. Juni, Öffnungsze­iten: Di.-So. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr. Infos zum umfangreic­hen Begleitpro­gramm finden sich unter: www.kunsthalle-tuebingen.de

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FOTOS (2): COLLECTION LUCIEN BILUINELLI, BRÜSSEL/MAILAND Der Künstler Moke (1950-2001) hat in vielen Bildern das quirlige Leben in den Bars von Kinshasa festgehalt­en. Unser Bild zeigt „Nganda Tika Muana“von 1992.
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„Tokyo yéyé“heißt die Arbeit von Bodys Isek Kingelez.

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