Alternativen gegen die Wohnungsnot
Beispiel Zürich: Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin will Genossenschaften stärken
(dpa) - Es ist eine Oase Mitten im Trubel in der Zürcher Innenstadt: Hohe Mauern schirmen den Innenhof gegen den Lärm der Großstadt ab – auf Stühlen sitzen die Bewohner in der Frühlingssonne. Das Areal der Genossenschaft Kalkbreite liegt eingezwängt zwischen Bahngleisen und großen Straßen mit viel Verkehr. „Die Genossenschaften haben hier gezeigt, dass man auch in Innenstädten kostengünstig bauen kann“, sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU).
Sie ist am Donnerstag nach Zürich gereist, um sich dort mit einer Delegation bestehend aus Mitgliedern der Wohnraum-Allianz Anregungen zum Thema bezahlbares Wohnen zu holen. „Klar ist, dass wir auch in BadenWürttemberg Genossenschaften stärken wollen“, sagt sie. Doch ein Vorbild soll ausgerechnet Zürich sein? Die Schweizer Finanzmetropole gilt mit Mieten von durchschnittlich mehr als 20 Schweizer Franken (rund 18 Euro) je Quadratmeter in den vergangenen Jahren als einer der teuersten Wohnungsmärkte der Welt.
Das genossenschaftliche Wohnen hat dort einen hohen Stellenwert. Kalkbreite ist ein Musterbeispiel für die Nutzung knapper Flächen in dicht bebauten Innenstädten. Knapp 100 bezahlbare Wohnungen entstanden 2014 auf dem Tram-Depot mitten in der Stadt – etwa 250 Menschen leben dort heute. Dabei beherbergt das Areal nicht nur Wohnungen, sondern Läden, Cafés, ein Kino und eine Pension.
Ehrgeizige Ziele
Die Stadt Zürich hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2050 ein Drittel Mietwohnungen zur Kostenmiete anzubieten, also ohne Gewinnabsichten wie bei privaten Investoren. Die mehr als 140 Wohnbaugenossenschaften spielen eine große Rolle. Schon jetzt gehören ihnen 40 258 der 225 294 Wohnungen in der Stadt. Gut ein Viertel der im vergangenen Jahr gebauten 3360 Wohnungen gehen auf ihr Konto. Die Stadt hilft den Genossenschaften durch Kapitalbeteiligungen oder Restfinanzierungsdarlehen.
Zum Vergleich: In Baden-Württemberg gab es 2017 landesweit nur 1325 genossenschaftliche Wohnungen in Neubauten. Im Bestand halten sie etwa 8,6 Prozent aller Mietwohnungen.
Hoffmeister-Kraut will die Wohnbaugenossenschaften aber stärker in den Kampf gegen die landesweite Wohnungsnot einbinden. Konkret sollen sie, wenn sie Sozialwohnungen schaffen, mit Hilfe von Landesbürgschaften leichter an Kredite kommen. Außerdem soll es mehr Beratungsangebote zur Gründung von Wohnungsgenossenschaften geben. Der von ihr geplante Kommunalfonds soll außerdem dazu beitragen, dass Kommunen Grundstücke kaufen und an entsprechende Bauträger vergeben können.
Denn an der entscheidenden Frage, kommen auch die Genossenschaften nicht vorbei. „Genossenschaften wollen bauen“, sagt Iris Beuerle, Verbandsdirektorin der baden-württembergischen Wohnungs- und Immobilienunternehmen. „Aber es fehlen die Flächen.“
Für die Grünen-Landtagsabgeordnete Susanne Bay, die mit nach Zürich gereist ist, ist die Vergabe von Grundstücken, die an ein konkretes Konzept gebunden ist, einer der Schlüssel im Kampf gegen Wohnungsnot. Damit kann die Bebauung, also auch die Anzahl und Art der Wohnungen oder auch der Bauträger festgelegt werden. Dagegen hält Rolf Gassmann vom Mieterbund BadenWürttemberg das Baurecht, mit dessen Hilfe Regeln für Neubauten festgelegt werden können, für den besten Weg. „Das ist eigentlich die einzige Möglichkeit.“Eine Quote für gemeinnützige Wohnungen wie in Zürich kann sich Städtetags-Vorstand Gudrun Heute-Bluhm auch für Deutschland gut vorstellen: „Jede Stadt muss sich aber überlegen, was für sie die richtige Quote ist.“Nach Einschätzung von Verbandsdirektorin Beuerle sollte das Beispiel Zürich Schule machen: In Kommunen, in denen großer Wohnungsmangel herrscht, könnte der Ansatz der Eidgenossen Abhilfe schaffen, sagt sie. „Zürich macht das vor.“
Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut zeigte sich beeindruckt von der Flächennutzung in der Zürcher Innenstadt. „Davon können wir lernen“, sagt sie und räumt gleich ein, es brauche die Bereitschaft. „So etwas können wir nicht verordnen.“
Denn ob das Beispiel der Genossenschaft Kalkbreite im Land der Auto- und Häuslebauer flächendeckend Schule macht, ist zumindest fraglich. Dort werden Bewohner maximal 31 Quadratmeter zugewiesen werden – Familien bekommen pro Person ein Zimmer plus einen Gemeinschaftsraum. Dazu unterzeichnen die Bewohner, die sich teils einem grünen Lebensstil verpflichtet haben, auch eine Verzichtserklärung – auf ein Auto.