Lebenslänglich für „kaltblütigen“Gmünder Brudermörder
Am vierten Prozesstag ist vor dem Ellwanger Landgericht das Urteil gefallen
– „Es ist nichts anderes als eine Hinrichtung gewesen“, hat Gerhard Ilg, Vorsitzender Richter der Ersten Schwurgerichtskammer am Ellwanger Landgericht, am Donnerstag, dem vierten Tag des Prozesses um den tödlichen Familienstreit in Schwäbisch Gmünd, gesagt. Zuvor hatte er das Urteil verkündet: Lebenslänglich für den 49-jährigen Deutschtürken, der am Abend des 10. September 2018 seinen Bruder vor dem gemeinsamen Haus an der Straße Kiesäcker in Schwäbisch Gmünd erschossen hat (wir berichteten).
Die Kammer folgte damit den Anträgen des Staatsanwalts Carsten Horn und der Nebenkläger. Diese vertraten Mutter, Schwester und Schwägerin des Angeklagten. Wahlund Pflichtverteidiger hatten acht Jahre beantragt.
Gezielter Kopfschuss
„Heimtückisch, kaltblütig und in Tötungsabsicht“, so Ilg, habe der Angeklagte die angeblich in Gelsenkirchen illegal besorgte Waffe, eine halbautomatische Pistole. Unter seinem Bett hervorgeholt, sie mit Munition bestückt und durchgeladen. Die Pistole in beiden Händen haltend, habe er seinen Bruder mit einem gezielten Kopfschuss getötet – alles innerhalb von anderthalb Minuten. Er habe die Wehr- und Arglosigkeit des vierfachen Familienvaters ausgenutzt und das Tatgeschehen „bewusst und wohlüberlegt gesteuert“.
Die Kammer folgte dem Argument der Verteidigung nicht, die Kugel habe nur deshalb tödlich getroffen, weil das Opfer die Arme hochgerissen habe, so dass das Geschoss abgeprallt sei: „Es war ein Bilanzmord“, sagte Ilg. Eine Abrechnung mit dem jüngeren Bruder, für die es keine Rechtfertigung gebe. Auch nicht die, dass der Bruder von einer „Hadsch“, einer Pilgerfahrt nach Mekka, nicht geläutert, sondern aggressiv zurückgekehrt sei und es seit Jahren erbitterte Auseinandersetzungen zwischen den Familien gegeben habe.
Nach der Tat habe sich der Angeklagte ohne Gegenwehr festnehmen lassen und bis heute weder Reue noch seelische Erschütterung gezeigt. Der 49-Jährige hatte die Tat am zweiten Verhandlungstag gestanden: „Ich habe das nicht gewollt. Es tut mir sehr leid.“Das Urteil hörte er ohne äußere Regung.
Gespaltener Familienclan
Bereits seit 2013 schwelte der Streit zwischen den feindlichen Brüdern und ihren Familien. Damals war der Vater des Angeklagten in der Türkei von zwei Cousins seiner Frau so schwer verletzt worden, dass er starb. Der Angeklagte schoss einen der Täter in Istanbul nieder und wurde in der Türkei zu einer Freiheitsstrafe von nur sechs Monaten verurteilt.
Ob dieser Umstand die Tat in Gmünd begünstigte, weil der Todesschütze hoffte, von einem deutschen Gericht ähnlich mild bestraft zu werden, blieb offen. Offenbar, so die Kammer, habe er sich moralisch berechtigt gesehen, zum Schutz seiner Familie zu töten und diesen „Satan“, seinen Bruder, aus dem Weg zu räumen. Doch die Erwartung, für die Familienehre nur ein paar Jahre im Gefängnis zu sitzen, sei enttäuscht worden. Den zweiten Anklagepunkt, den versuchten Mord an seiner Schwester, die womöglich nur wegen einer Ladehemmung der Waffe dem sicheren Tod entkam, sah die Kammer als nicht erwiesen an und erkannte auf drei Monate wegen Bedrohung.
Zwischen den Familien sei Hass entstanden, hatte die Nichte des Angeklagten ausgesagt. Der Streit um Immobilie und Miete, Beschimpfungen, Bedrohungen, sogar Körperverletzungen nahmen zu. Mehrfach wurde die Polizei gerufen. Zur endgültigen Spaltung des Familienclans kam es bei einem Henna-Fest, einem Junggesellinnenabschied, im Juli 2016.
Die akribische Beweisaufnahme der Kammer erfolgte unter Sicherheitsvorkehrungen und erschwerten Umständen. Denn die Familienfehde setzte sich im Landgericht fort. Richter Ilg mahnte mehrfach, wer störe, werde des Gebäudes verwiesen. Immer wieder waren lautstarke Streitereien und heftiges Schluchzen im Saal und auf den Fluren des Landgerichts zu hören.
„Es ist nichts anderes als eine Hinrichtung gewesen.“Richter Gerhard Ilg