„Da schenken sich die extremen Flügel nichts“
Kirchlicher Segen für homosexuelle Paare: Aalener Dekan Ralf Drescher hofft auf Einsicht
– Am Freitag befasst sich die Synode der Evangelischen Landeskirche wieder mit der Segnung homosexueller Paare. Der Aalener Dekan Ralf Drescher erwartet, dass diesmal die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit zustande kommt. Er hoffe auf die Vernunft, sagt er im Gespräch mit Viktor Turad.
Sie haben sich Ende 2017 zusammen mit Prälatin Gabriele Wulz und anderen Dekanen für eine Segnung Homosexueller in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg stark gemacht. In der Landessynode aber wurde damals die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit knapp verfehlt. Womit rechnen Sie an diesem Freitag, wenn die Synode sich wieder mit dem Thema beschäftigt?
Am Freitag wird zunächst in erster Lesung grundsätzlich darüber beraten, ob sich die Landessynode erneut mit der Frage der Segnung Gleichgeschlechtlicher beschäftigen soll. Das ist ein formaler Vorgang, der darum auch nur eine einfache Mehrheit erfordert. Ich gehe davon aus, dass die Landessynode dem zustimmen wird, zumal sie hier in gewisser Weise in einer Art Bringschuld steht. Zu groß war die Enttäuschung bei vielen Menschen nach der abschlägigen Abstimmung seinerzeit. Die eigentlich spannende Entscheidung steht am Samstag auf der Tagesordnung und dort braucht’s tatsächlich eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Ich weiß, dass alle Gesprächskreise seither intensiv darum gerungen haben, eine tragfähige und belastbare Lösung herbeizuführen. Man ist sich zwischenzeitlich überwiegend darin einig, dass es bei der Frage der Segnung Gleichgeschlechtlicher nicht um eine Bekenntnisfrage geht, sondern um eine unterschiedliche Auslegung des biblischen Zeugnisses. Und das halten wir aus! Zumal das unsere Landeskirche schon immer im besten Sinne auszeichnet. Vor diesem Hintergrund kann die Landessynode meines Erachtens gar nicht anders, als die Zwei-DrittelMehrheit zu erreichen. Das hoffe ich jedenfalls sehr.
Mit welchem Vorschlag geht die Kirchenleitung in die Beratungen?
Nachdem der Ansatz, die Segnung Gleichgeschlechtlicher über die Agende zu klären, das heißt über eine für alle Gemeinden verbindliche Gottesdienstordnung am Quorum der Zwei-Drittel-Mehrheit gescheitert war, wird die Kirchenleitung nun vorschlagen, die Möglichkeit einer Segnung Gleichgeschlechtlicher über den Weg der örtlichen Gottesdienstordnung zu schaffen. Konkret sieht das im Wesentlichen so aus, dass sich in einer Kirchengemeinde Kirchengemeinderat und Pfarrerschaft, ebenfalls mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit, für die Durchführung einer Segnung Gleichgeschlechtlicher in ihrer Kirchengemeinde aussprechen können. Vonseiten der Kirchenleitung würde dann – gesetzt, die Landessynode schafft die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen – dies dann so genehmigt. Man geht davon aus, dass die sogenannten Regenbogengemeinden hier die ersten Vorstöße machen könnten. Auf diese Weise wäre eine Lösung geschaffen, die die unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Landeskirche in einer guten Weise miteinander verbindet und niemand würde zu etwas gezwungen werden, was er mit seiner Überzeugung nicht vereinbaren könnte.
Mein Eindruck ist, dass sich auf beiden Seiten „Hardliner“in Stellung gebracht haben. Ist die Situation in der Landeskirche dadurch nicht noch schwieriger geworden?
Ich fürchte, Sie haben da leider Recht! Wir leben ja gerade überhaupt in einer Zeit, in der die ideologischen Hardliner so etwas wie Hochkonjunktur erleben und die Ideologie, fast will ich sagen um jeden Preis, über den demokratisch ausgehandelten Kompromiss gestellt wird. Das gilt leider auch in der Kirche so, gerade in dieser Frage. Da schenken sich die extremen Flügel nichts. Erfreulich erscheint mir aber die Tatsache, dass gerade innerhalb des konservativen Gesprächskreises der Lebendigen Gemeinde offenbar eine Bewegung in Richtung des eben angesprochenen Kompromisses zu erkennen ist. Bleibt nur zu hoffen, dass die andere Seite jetzt nicht auf Maximalforderungen beharrt. Mein Respekt gilt daher allen Verantwortungsträgern innerhalb der Landessynode, die in dieser schwierigen Lage um eine tragfähige Lösung ringen.
Sie sprachen Ende 2017 davon, die Landeskirche in Württemberg habe sich bei der Frage der Segnung Homosexueller disqualifiziert. Wie sehen Sie das heute im Rückblick?
Diese Einschätzung trifft heute noch genauso zu wie seinerzeit, als sich die Landessynode im Herbst 2017 gegen die Möglichkeit einer Segnung Gleichgeschlechtlicher entschieden hatte. Die Kirche kann sich meiner Überzeugung nach – außer freilich in der Bekenntnisfrage – niemals ausschließlich auf ideologische Standpunkte, theologisch gesprochen auf ein System starrer Dogmen, zurückziehen, will sie ernst genommen werden. Eine Kirche, die gesellschaftliche Prozesse mitgestalten will und in diesem Sinne ernst genommen werden möchte, muss sich daher auch in aller Offenheit auf die öffentliche Debatte einlassen. Ich sehe dazu jedenfalls keine Alternative – im Gegenteil!
Sie sprachen auch davon, eine aufrichtige Seelsorge und gleichberechtigte Begleitung gleichgeschlechtlicher Paare werde dadurch zur Farce.
Da sehe ich mich persönlich sehr entschieden. Der Nächste begegnet mir immer so, wie er ist, und nicht so, wie ich ihn möglicherweise gerne hätte. Da ist Jesus selbst einen sehr klaren Weg gegangen, an dem man sich unbedingt orientieren kann. Alles andere erscheint mir absurd.
Als Dekan mussten Sie die Entscheidung nicht nur respektieren, Sie waren auch daran gebunden. Wie hat sich das in Ihrer täglichen Arbeit ausgewirkt?
Bislang noch gar nicht, weil es keine entsprechenden Anfragen gegeben hat. Aber das wäre, gesetzt den Fall, sicher spannend geworden und wir wären gewiss sehr kreativ mit dieser Situation umgegangen.
Offizielle Beschlüsse und die Praxis in Gemeinden haben oftmals nicht übereingestimmt. Gibt es dafür Beispiele im Dekanatsbezirk Aalen und wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen?
Das kann ich wie bei der vorigen Frage bereits mit einem klaren Nein beantworten. Daher gibt es auch keine Beispiele dafür, wie ich mit dieser Situation umgegangen wäre. Erfreulich war und ist jedoch, dass zwischenzeitlich die Kirchengemeinden Aalen, Unterkochen und Walxheim der Initiative Regenbogen beigetreten sind.
Wenn es in der Synode wieder keine Zwei-Drittel-Mehrheit geben sollte: Was dann?
Das mag ich mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen. Zudem lässt der bisherige Verhandlungsstand innerhalb der Gesprächskreise eher ein einvernehmliches Ergebnis erwarten. Außerdem stehen im Dezember die Kirchenwahlen an und ich glaube, dass keiner der Gesprächskreise im Wahlkampf gerne zugeben möchte, dass er einen Kompromiss, einen gangbaren Weg, in dieser Frage verhindert hat. Sollte es am Ende wider Erwarten doch dazu kommen, dann überlegen wir uns: Was dann? Aber bis dahin hoffe ich auf die Vernunft!
„Wir leben in einer Zeit, in der die ideologischen Hardliner so etwas wie Hochkonjunktur erleben.“ „Der Nächste begegnet mir immer so, wie er ist, und nicht so, wie ich ihn möglicherweise gerne hätte.“