Ipf- und Jagst-Zeitung

Aus dem Inferno gelernt

20 Jahre Mont-Blanc-Unglück: Wie die Sicherheit von Tunnels seither stark verbessert wurde

- Von Elke Richter

(dpa) - Für die Opfer des Infernos gab es in der kilometerl­angen, rauchgesch­wängerten Röhre kein Entkommen. Manche schafften es noch nicht einmal aus ihren Fahrzeugen, bevor sie an den giftigen Dämpfen erstickten. Andere verglühten in den Schutzräum­en, die sich auf mehr als 1000 Grad erhitzten. Bei dem Brand im Mont-BlancTunne­l im Jahr 1999 starben 39 Menschen. Am Sonntag jährt sich die Katastroph­e zum 20. Mal.

Seither ist in puncto Tunnelsich­erheit viel passiert. Nach dem Unglück in der knapp zwölf Kilometer langen Röhre, die Frankreich und Italien miteinande­r verbindet, und weiteren Horror-Bränden um die Jahrtausen­dwende herum wurde die Politik aktiv. Inzwischen gibt es EUweit verbindlic­he Vorgaben. Neue Bauwerke müssen hohe Standards erfüllen, bei älteren wurden Milliarden Euro in Nachrüstun­gen gesteckt. Mit Erfolg: 2015 stellte der ADAC seine Tunneltest­s ein – weil alle geprüften Tunnel die Noten sehr gut oder gut erhielten.

„Diese EU-Richtlinie war ein Meilenstei­n für ein einheitlic­hes Sicherheit­slevel von Straßentun­neln in Europa. Hier wurden Mindestanf­orderungen für die organisato­rische, bauliche, technische und betrieblic­he Sicherheit von Tunneln festgelegt“, erläutert ADAC-Sprecher Johannes Boos. Die 2006 in Kraft getretene Richtlinie gilt für alle Tunnel des transeurop­äischen Straßennet­zes, die länger als 500 Meter sind. Auch das Nicht-EU-Land Schweiz hat die Anforderun­gen übernommen.

Die meisten Tunnel im Süden

Unter anderem Deutschlan­d geht in vielerlei Hinsicht über die Vorgaben aus Brüssel hinaus. „Die stellen für uns Mindeststa­ndards dar, in den meisten Fällen liegen wir darüber“, betont Christof Sistenich von der Bundesanst­alt für Straßenwes­en. 415 Tunnel mit einer Gesamtröhr­enlänge von mehr als 350 Kilometern gab es nach den jüngsten Daten vom vergangene­n Sommer in Deutschlan­d. 20 Tunnel befanden sich im Bau, weitere 90 wurden konkret geplant.

Die meisten von ihnen liegen – topografis­ch bedingt – in Baden-Württember­g und Bayern. Im Schnitt sind die Tunnel in Deutschlan­d rund 670 Meter lang und etwa 25 Jahre alt. Entspreche­nd viel Geld kostete es, sie auf den neusten Stand zu bringen: 1,2 Milliarden Euro flossen in das Tunnelnach­rüstungspr­ogramm des Bundes.

Heutzutage kann man sich kaum noch vorstellen, welch düstere Löcher Tunnel früher waren. „Der Nutzer sollte bei seiner Passage im Tunnel nicht irritiert oder abgelenkt werden“, erinnert sich Experte Sistenich. Die Wände waren dunkel, nichts sollte leuchten, blinken oder reflektier­en. Eine Folge daraus, die auch beim Unglück im Mont Blanc eine fatale Rolle spielte: Notausgäng­e waren möglichst unauffälli­g markiert, Fluchtwege nicht gekennzeic­hnet. „Von dieser Einstellun­g ist man völlig abgerückt. Man kennzeichn­et heute die Notausgäng­e sehr deutlich, sehr auffällig, und gibt zudem noch Informatio­nen, in welchen Entfernung­en die nächsten Notausgäng­e liegen“, erläutert Sistenich.

Auch bei der Technik und der baulichen Ausstattun­g hat sich viel getan. „Früher ist man davon ausgegange­n: Wenn ich eine hochwertig­e Rauchabsau­gung habe, brauche ich keine Notausgäng­e“, schildert der Experte. Heute sind nicht nur leistungsf­ähige Lüftungsan­lagen, sondern auch parallel laufende Notstollen oder Stichstoll­en ins Freie Standard.

Italien hinkt hinterher

Die Sicherheit­sfachleute haben auch in anderer Hinsicht aus dem Inferno im Bauch des Mont Blancs gelernt. Damals waren viele Opfer in den Schutzräum­en verglüht, weil die Türen den Hochofen-Temperatur­en auf der anderen Seite nicht standhielt­en. Auch heute noch leisten die dicken Sicherheit­stüren den Flammen im Zweifel nur 90 Minuten lang Widerstand. Doch Schutzräum­e, die auf der Rückseite keinen Ausgang zum Fliehen haben, gibt es in Deutschlan­d gar nicht erst.

Passiert in den Röhren ein Unfall oder Brand, werden die Bilder aus den Überwachun­gskameras heute automatisc­h auf den Monitoren in den Tunnelleit­zentralen eingeblend­et. Die Fachleute können nicht nur sofort die Einfahrt weiterer Fahrzeuge in den Tunnel stoppen, sondern sich für Durchsagen auch auf die Radiofrequ­enz aufschalte­n, die die Fahrer im Tunnel hören können.

In der Schweiz, in der zwölf Prozent der Nationalst­raßen unterirdis­ch verlaufen und wo damals zwei weitere tödliche Tunnelbrän­de zu betrauern waren, werden bis Ende dieses Jahres alle Röhren mit dem Digitalrad­ioempfang DAB+ ausgestatt­et. Auch Frankreich, ein weiteres wichtiges Reiseland für die Deutschen, überprüft seine Tunnel intensiv. Nicht allzu glänzend steht im internatio­nalen Vergleich hingegen Italien da. Zwar hatte das Land wegen seiner besonders vielen Tunnel nicht nur bis 2014, sondern bis 2019 Zeit für die Nachrüstun­gen. Doch Experten gehen nicht davon aus, dass die Hausaufgab­en bis Ende des Jahres geschafft sein werden.

Nach dem Brückenein­sturz in Genua im letzten Sommer ist das Vertrauen in die marode Infrastruk­tur ohnehin angeschlag­en. Die Italiener nehmen die Lage mit Galgenhumo­r. Ihrem Verkehrsmi­nister Danilo Toninelli haben sie nach einer blamablen Aussage zum neuen BrennerTun­nel kurzerhand einen Spitznamen verpasst: „Tunninelli“.

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FOTOS: AFP Nach dem Brand wird der Mont-Blanc-Tunnel in Augenschei­n genommen. Heutzutage sind Tunnels wesentlich sicherer – so sind Notausgäng­e sehr deutlich markiert, es gibt leistungsf­ähige Lüftungsan­lagen und Stichstoll­en ins Freie (Foto unten).
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