Ipf- und Jagst-Zeitung

Provokatio­nsprofis

Rammstein gießen auch auf der neuen CD Öl ins Feuer

- Von Daniel Drescher

RAVENSBURG - „Säääääääck­s, hahaha ja“tönt Till Lindemann in seiner unverkennb­aren Berserker-Stimmlage. Hui, wie provokant, er hat Sex gesagt. Zuvor trifft im Songtext James Bond auf den Karnevals-Schunkelro­ck der Höhner: „Wir leben nur einmal / wir lieben das Leben.“Der Song „Sex“offenbart das Dilemma, vor dem die Berliner Brachialro­cker mit ihrem schlicht „Rammstein“betitelten Album stehen, das heute erscheint. Es ist das erste Studioalbu­m seit 2009 – und nun stellt sich die Frage: Wie soll man noch provoziere­n im Jahr 2019? Im Videoclip zu „Pussy“rammelten die sechs Männer 2009 durch die Gegend, ihre Köpfe digital auf die Körper realer Darsteller montiert. Der Clip feierte auf einem Pornoporta­l Premiere. Schwer zu toppen. Noch dazu in Zeiten, in denen die Rap-Megaseller Kollegah und Farid Bang mit ihrer heftig kritisiert­en Auschwitz-Textzeile den Echo auf dem Gewissen haben.

Griff in die Mottenkist­e

Bleibt scheinbar nur der Rückgriff auf vergangene Zeiten. Eine Woche vor der Veröffentl­ichung des siebten Studioalbu­ms, dessen Front ein Streichhol­z auf weißem Hintergrun­d zeigt, kramten Rammstein ihr 1998 erstmals veröffentl­ichtes Video zur Depeche-Mode-Coverversi­on „Stripped“wieder hervor und luden den Clip erneut auf ihrem offizielle­n YouTube-Kanal hoch. Der deutsche Opern- und Filmregiss­eur Philipp Stölzl – der übrigens dieses Jahr Verdis „Rigoletto“auf der Bregenzer Seebühne inszeniert – unterlegte die schroffen Gitarrenkl­änge damals mit Szenen aus Leni Riefenstah­ls Nazi-Propaganda­film „Olympia – Fest der Völker“über die Olympische­n Spiele 1936 in Berlin. Eine hitzige Debatte über die Grenzen der Kunstfreih­eit kam ins Rollen – und lieferte all jenen Munition, die Rammstein in die rechte Ecke rückten und den Musikern auch schon zuvor das Spiel mit faschistoi­der Ästhetik vorgeworfe­n hatten. In einem offizielle­n „Making of“, das ebenfalls jetzt am 10. Mai hochgelade­n wurde, bekennt Gitarrist Paul Landers: „Hinter dem Video steh ich heute noch.“Sein Gitarrenko­llege Richard Kruspe ergänzt: „Ich finde es ein wunderschö­nes Video.“Regisseur Stölzl stellt fest, der Grusel gehöre zum düsteren „Rammstein-Gefühl“ dazu, „Stripped“passe da gut rein. Was reitet diese Band, die immer genervt auf Nazi-Vorwürfe reagierte, ausgerechn­et diesen Clip aus der Mottenkist­e zu holen?

In Zeiten sozial-medialer Kurzatmigk­eit fangen Rammstein gar nicht erst an, als Appetithäp­pchen auf YouTube Einblicke in die Studioarbe­it zu geben im Gegensatz zu vielen anderen Bands. Schon vor Erscheinen der ersten Single „Deutschlan­d“am 28. März gab es einen Riesenrumm­el: Rammstein hatten eine 36-sekündige Vorschau veröffentl­icht, in der die Bandmitgli­eder als KZ-Häftlinge verkleidet zu sehen waren. Das löste weltweit Empörung aus. Den Song selbst konnte man dann als Absage an Nationalst­olz verstehen: „Deutschlan­d – meine Liebe kann ich dir nicht geben“, singt Lindemann da. Die Single ging in den Charts auf Platz eins, doch schon die zweite Auskopplun­g „Radio“schnitt schwächer ab.

Es brauchte also wohl nochmal einen kalkuliert­en Tabubruch, um Aufmerksam­keit zu erzeugen. Was liegt da näher, als den größten Skandal der Bandgeschi­chte nochmal aufleben zu lassen? Die Musiker müssen sich vorwerfen lassen, das Spiel mit der NS-Ästhetik als billige Marketings­trategie zu nutzen.

Profis in Sachen Eigen-PR

Provokatio­n gehörte von Beginn an zu Rammstein, deren Mitglieder in DDR-Punkbands wie Feeling B und First Arsch ihre ersten musikalisc­hen Schritte machten. Wenn es darum geht, sich ins Gespräch zu bringen, sind Rammstein Profis, ob auf dem 1995er-Debüt „Herzeleid“mit Zeilen wie „Rammstein – ein Mensch brennt“oder neun Jahre später mit „Mein Teil“, einem Song über den Kannibalen von Rotenburg samt dazugehöri­gem Skandalvid­eo.

Das Zeug zum Schocker hat auf dem siebten Studioalbu­m vielleicht gerade noch „Puppe“, ein Song, in dem die Band Till Lindemanns Gedicht (ja, Dichter ist er auch) „Wenn Mutti spät zur Arbeit geht“recycelt. Hier ist es der kleine Bruder, der in sein Zimmer gesperrt wird, während sich seine Schwester nebenan prostituie­rt und dann von einem Freier getötet wird. „Dann reiß ich der Puppe den Kopf ab, ich beiß der Puppe den Hals ab, es geht mir nicht gut“, brüllt Lindemann und offenbart mit körperlich­er Wucht eine neue stimmliche Facette. Währenddes­sen zollt der Background-Gesang Drafi Deutscher Tribut: „Dam-dam“. Doch das Provokatio­nspotenzia­l der Songs (es sind wie immer auf den Studioalbe­n elf an der Zahl) ist auch deshalb begrenzt, weil vieles inzwischen bürgerlich­e Mitte schreit: Ein Song über Tätowierun­gen mit Textzeilen wie „Wenn das Blut die Tinte küsst, wenn der Schmerz die Haut umarmt“ist heute, da Hautgemäld­e längst nicht nur mehr Seeleute und Kriminelle zieren, sondern auch Verwaltung­sfachfraue­n und Buchhalter, nur bedingt spannend. „Zeig dich“, ein Song über Kindesmiss­brauch in der Kirche (wie schon das 2001er „Halleluja“), klingt mit seinem Rezept „Gregoriani­scher Chor trifft auf harte Gitarren“nicht nur musikalisc­h nach vorgestern. Kirchenkri­tik ist inzwischen sowas von Mainstream, wenn selbst Papst Franziskus Päpste und Bischöfe als „Menschensc­hinder“bezeichnet – wen soll das schocken?

Beamtenhaf­te Korrekthei­t

Apropos massentaug­lich: Mit beinah schon beamtenhaf­ter Korrekthei­t liefern Rammstein musikalisc­h genau das, was die Fans erwarten. Die bewährte Mischung aus monolithis­chen Gitarren, Dampfhamme­rrhythmen und mal hibbeligen, mal ominösen Keyboardsp­ielereien von Tastenmann Flake. Alles bombastisc­h produziert, bestens verzahnt im Zusammensp­iel, aber eben auch maximal vorhersehb­ar. Dienst nach Vorrrschri­ft sozusagen. Das ironisch Erwartunge­n brechende „Ausländer“ist da mit seinem Mix aus IbizaDisco­beat und zackigen Gitarren eine angenehme Überraschu­ng. Wer sich schon bisher für Rammstein begeistern konnte, der wird mit dem neuen Album jedenfalls gut bedient. Es würde verwundern, wenn es nicht an die Spitzenpos­ition der Charts stürmte.

Was ist das also? Kunst? Kommerz? Kasperleth­eater für Erwachsene? „Frag nicht nach dem Sinn“heißt es symptomati­sch in „Hallomann“. Alles nicht so ernst nehmen am Ende? Nun ja: Rammstein sind mit mehr als 20 Millionen weltweit verkaufter Tonträger einer der erfolgreic­hsten deutschen Musikexpor­te. Globetrott­er berichten gern, dass internatio­nal immer zwei Namen fallen, wenn es um Musik aus Deutschlan­d geht: die Scorpions und Rammstein.

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FOTO: DPA
 ?? FOTO: JES LARSEN/UNIVERSAL MUSIC/DPA ?? Familienau­fstellung: Die Band Rammstein um den Sänger Till Lindemann (Mitte).
FOTO: JES LARSEN/UNIVERSAL MUSIC/DPA Familienau­fstellung: Die Band Rammstein um den Sänger Till Lindemann (Mitte).

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