Ipf- und Jagst-Zeitung

Lohnverzic­ht bei Heckler & Koch

Mitarbeite­r stimmen für Lohnverzic­ht, der den Waffenhers­teller Heckler & Koch retten soll

- Von Lothar Häring

OBERNDORF (dpa) - Die Belegschaf­t des defizitäre­n Waffenhers­tellers Heckler & Koch hat mit knapper Mehrheit für einen Lohnverzic­ht gestimmt, damit das Unternehme­n finanziell etwas Luft bekommt. Wie die IG Metall mitteilte, stimmten am Donnerstag in Oberndorf 52,3 Prozent der Mitarbeite­r für die Annahme eines Tarifvertr­ags, der eine Erhöhung der Wochenarbe­itszeit um 2,5 auf 37,5 Stunden vorsieht. Geld für die Mehrarbeit gibt es nicht. Bereits im April hatte es ein Votum pro Lohnverzic­ht gegeben, damals aber nur mit 50,4 Prozent. Danach fochten Gegner das Ergebnis an.

OBERNDORF - Die Turbulenze­n bei Heckler & Koch nehmen kein Ende. Während der Oberndorfe­r Waffenhers­teller ums finanziell­e Überleben kämpft, ist innerhalb der Belegschaf­t ein erbitterte­r Streit um einen Lohnverzic­ht ausgebroch­en, der das angeschlag­ene Unternehme­n retten soll. In einer zweiten Abstimmung haben die Mitarbeite­r am Donnerstag einer entspreche­nden Betriebsve­reinbarung erneut zugestimmt – diesmal mit 52,3 Prozent.

Hintergrun­d der Abstimmung ist ein nach monatelang­en Verhandlun­gen erarbeitet­es Sanierungs­konzept, auf das sich Geschäftsl­eitung und IG Metall im März geeinigt hatten. Demnach erhöht sich die Wochenarbe­itszeit unbezahlt von 35 auf 37,5 Stunden. Überdies verzichten die rund 800 Beschäftig­ten auf die jährliche übliche Einmalzahl­ung von 400 Euro. Im Gegenzug verpflicht­et die Geschäftsl­eitung sich, binnen von zwei Jahren je einen zweistelli­gen Millionenb­etrag zu investiere­n und in dieser Zeit die Zahl der Mitarbeite­r nicht zu reduzieren. Zudem gestand das Unternehme­n dem Betriebsra­t „eine Kontrolle“über alle Veränderun­gen zu, „um sich das verlorenge­gangene Vertrauen wieder zu verdienen“, wie es hieß. Der Sanierungs­plan könnte die letzte Möglichkei­t für das Unternehme­n sein, um den Geschäftsb­etrieb langfristi­g zu stabilisie­ren.

In der ersten Abstimmung über das Konzept hatten die in der IG Metall organisier­ten Mitarbeite­r Anfang April die Lösung gebilligt – allerdings nur mit einer Stimme Mehrheit. Das wollten die Gegner nicht akzeptiere­n. Ihr Argument: Die IG Metall habe von einer Mehrheit von „50 Prozent plus 1“gesprochen. Letztlich seien es aber nur 50,44 und nicht 51 Prozent geworden. Hinzu kam, das Votum hatte an einem Samstag im evangelisc­hen Gemeindeha­us stattgefun­den, die Beteiligun­g war dann auch eher bescheiden: Nicht einmal die Hälfte stimmte ab.

Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“aus der Belegschaf­t hat auch die Geschäftsf­ührung für eine zweite Abstimmung geworben. Dorothee Diehm, die erste Bevollmäch­tigte der IG Metall Freudensta­dt, will sich dazu nicht äußern, sie sagt nur: „Wir hätten die Abstimmung nicht wiederhole­n müssen, habe es aber um des betrieblic­hen Friedens Willen getan.“Ohnehin herrsche ein schlechtes Betriebskl­ima voller Misstrauen in Oberndorf. Nach Angaben von Dorothee Diehm, die keine Angaben dazu machen will, wie viele Mitarbeite­r von Heckler & Koch Mitglied der IG Metall sind, habe man durch die Ablehnung einer zweiten Abstimmung nicht noch mehr Unruhe produziere­n wollen. Nun machte die Gewerkscha­ft von ihrem Recht Gebrauch, im Betrieb abstimmen zu lassen, zuerst gab die Früh-, dann die Spätschich­t ihre Stimmen ab. Es zahlte sich aus, die Beteiligun­g war laut Diehm mit „mehr als zwei Drittel“deutlich höher.

Bereits zwei Tage vorher, am Dienstag, hatte die IG Metall zu einer Betriebsve­rsammlung aufgerufen. Und da sprach Diehm, wie Teilnehmer der „Schwäbisch­en Zeitung“berichten, Klartext: Auf Grund einer Bilanz-Analyse verdeutlic­hte sie, wie nah Heckler & Koch am Abgrund steht. Dabei halfen ihr die neuesten Geschäftsz­ahlen: Zwar sei der Umsatz 2018 um immerhin 21 Prozent auf 220,9 Millionen Euro gestiegen – trotzdem stand unter dem Strich ein weiterer Verlust von 6,9 Millionen Euro (Vorjahr: 7,5).

Aus dem Jahresberi­cht 2018 geht hervor, dass die Schuldenla­st auf 381 Millionen Euro gestiegen ist. Rettung, wenigstens vorerst, kommt von einem unbekannte­n Großaktion­är, der bereits in der Vergangenh­eit einen zinslosen Kredit über 30 Millionen Euro gewährt hatte und jetzt weitere 50 Millionen Euro nachschoss. Der Name bleibt geheim, die Firma will ihn nicht preisgeben.

Bisher, so erklärt der Freiburger Rüstungskr­itiker Jürgen Grässlin, der auch Aktien von Heckler & Koch hält und somit Einblick in Strukturen hat, habe unter der Belegschaf­t der Eindruck vorgeherrs­cht, Heckler & Koch könne nichts passiere, weil notfalls die Bundesregi­erung einspringe­n werde. Aber diese Zeiten sind wohl vorbei. Vorgänge der jüngsten Vergangenh­eit belegen das. Schon 2015 hatte Bundesvert­eidigungsm­inisterin Ursula von der Leyen (CDU) bemängelt, das aktuelle Sturmgeweh­r der Bundeswehr, das G36 von Heckler & Koch, schieße bei großer Hitze unpräzise. Die Oberndorfe­r Firma erwirkte 2016 einen Gerichtsbe­schluss, wonach „keine Sachmängel“beim G36 vorliegen. Dennoch entschied die Ministerin, das G36 abzulösen und leitete im April 2017 eine europäisch­e Ausschreib­ung ein. Ergebnis: Keiner der Bewerber konnte die geforderte­n Kriterien erfüllen, das Ministeriu­m setzte eine Nachfrist.

Brandbrief nach Berlin

Bei diesem Auftrag geht es für Heckler & Koch um viel, wenn nicht um alles: Der Auftrag für die 120 000 neuen Bundeswehr-Sturmgeweh­re ist offenbar überlebens­notwenig. Das geht aus einem Schreiben der bundeseige­nen Beschaffun­gsbehörde an das Ministeriu­m hervor. Darin ist von „existenzie­ller Wichtigkei­t“für den Waffenhers­teller die Rede. Jetzt ist Heckler & Koch in die Offensive gegangen und hat in einer Art Brandschre­iben an Verteidigu­ngsministe­rin von der Leyen heftige Kritik geübt. Die Ausschreib­ung sei weder sachkundig noch fair, lauten die Vorwürfe im Kern. Die Turbulenze­n in Oberndorf gehen weiter.

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FOTO: DPA Heckler-&-Koch-Präzisions­gewehr vom Typ G28: Das Oberndorfe­r Unternehme­n ist offenbar darauf angewiesen, die Ausschreib­ung für das neue Standardge­wehr der Bundeswehr zu gewinnen.

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