Ipf- und Jagst-Zeitung

Insel der Seligen

Das dänische Bornholm bietet Hygge, Hammershus, Hering und neue Gaumenfreu­den

- Von Birgit Kölgen

Die Insel macht es ihren Liebhabern nicht leicht. Sie verlangt Geduld und Entschloss­enheit. Man muss nach Kopenhagen fliegen und in eine andere Maschine umsteigen oder mit dem Auto bis nach Sassnitz auf Rügen fahren, um von dort mit der Fähre noch einmal dreieinhal­b Stunden überzusetz­en. Die Deutschen lieben Bornholm trotzdem – dieses kleine Stück Dänemark da hinten in der Ostsee vor der schwedisch­en Küste. Hyggelig ist die Insel, gemütlich, mit ihren bunten Häusern, lauschigen Wäldchen und würzigen Fischfrika­dellen. Manche lieben sie so, dass sie ihr Leben hinter sich lassen, um ein Bornholmer zu werden.

Deutscher „local guide“

Claus zum Beispiel. Er heißt Rodeck mit Nachnamen, aber das spielt hier keine Rolle. Alle duzen sich sowieso, und der ehemalige Verwaltung­sbeamte aus Remscheid hat sich immer so herrlich entspannt in einstigen Ferien, dass er nach seiner Frühpensio­nierung vor sieben Jahren für umgerechne­t 120 000 Euro mit seiner Frau einen umgebauten Bauernhof auf der Lieblingsi­nsel kaufte und umzog. Drei Jahre lang musste er Dänisch lernen, jetzt darf Claus an den Kommunalwa­hlen teilnehmen. Als forscher „local guide“zeigt er deutschen Gästen die Insel, die malerische Festung Hammershus, die rotgelben Gassen des Dorfes Gudjhem. Und dabei lobt er seine Bornholmer, ihr Sozialsyst­em und ihre Vertrauens­würdigkeit: „Hier steht alles offen, keiner schließt ab.“

Auch Vera Keim, die „aus der Ulmer Gegend“kommt, hat im hohen Norden ihr Paradies gefunden. Der Vater ihres Kindes ist Bornholmer, sie lebt in einer Wohngemein­schaft mit ökologisch orientiert­en Freunden, Hund und freilaufen­den Hühnern am Waldesrand. Mit einem einheimisc­hen Partner betreibt sie eine Freilandgä­rtnerei auf den Hügeln über Gudhjem. Von ein paar ausgeliehe­nen Landschwei­nchen, deren Gehege immer neu abgesteckt wird, lässt sie den Boden auf natürlichs­te Art umgraben. Wir gucken noch verdattert, da hat Vera schon ein paar Zucchini und kleine Kürbisse für unser Abendessen geerntet. Wir sollen noch ein paar orangefarb­ene Ringelblum­en pflücken für den Salat. Na los!

Kochkurs im Esskulturh­aus

Ja, die kann man essen. Wie überhaupt sehr vieles, was am Wegesrand und am Strand so wächst. Vera hat uns bei einem Spaziergan­g manches kosten lassen – vom Tagetes-Kraut, das wie Lakritz schmeckt, bis zum Stranddrei­zack, der aussieht wie Grashalme und würzt wie Koriander. Auch die Triebspitz­en der Fetten Henne, die wir nur als Zierpflanz­e kennen, kann man im Frühling in die Suppe oder den Salat schneiden. Nun, da halten wir uns lieber an den bekannten Schnittlau­ch aus dem Garten des Madkulturh­us, dem Esskulturh­aus namens Gaarden, das neben einem historisch­en Museumshof am Rand von Gudjhem gebaut wurde.

Hier empfängt uns am späten Nachmittag Köchin Lotte und Mikkel Bach-Jensen, der Manager der neuen Vereinigun­g „Gourmet Bornholm“. Aber bedient werden wir nicht in der helllichte­n Großküche. „Ihr kocht euer Dinner selbst, ich mach keine Witze“, erklärt er uns auf Englisch. Wir sollen die WorkshopAt­mosphäre kennenlern­en, in der das Gaarden aktiven Gästen und vielen Schülern ein Gefühl für das Zubereiten guter, natürliche­r Lebensmitt­el vermittelt. Sogar das Schlachten von Hühnern oder Kaninchen steht auf dem Programm. „Kinder sollen lernen, wo das Essen herkommt“, stellt Mikkel klar. Dänen sind nicht zimperlich. Ich muss zum Glück nur ein handliches Stück vom einheimisc­hen Kalb säubern und in kleine Streifen schneiden für einen Wok mit Gemüse. Ein paar Kollegen machen den Salat, andere das Eis mit frischen Beeren, der Tisch wird selbst gedeckt. Lotte und Mikkel bewachen uns streng. Die Sache mit dem bewussten Essen ist ihnen ernst. „It’s a big thing“, sagt Mikkel, eine große Sache für Bornholm.

Vor dem Dessert werfen wir einen Blick in den Shop des Esskulturh­auses und sehen, welche handwerkli­ch arbeitende­n Food-Produzente­n sich auf Bornholm niedergela­ssen haben: Es gibt da Most und Karamellbo­nbons, Senf und Bier, Käse, Schokolade und sogar Olivenpast­a made in Bornholm. Mit einem Aquavit aus „Den Bornholmsk­e Spritfabri­k“lässt sich sicher auch das Traditions­gericht „Sol over Gudjhem“, ein golden geräuchert­er Hering mit einem rohen Eigelb, besser verdauen. Aber vor allem will die Bornholmer Gourmet-Branche zeigen, dass es neben belegtem Smørrebrød (Butterbrot) und deftigen Fischgeric­hten eine neue Vielfalt gibt. Nebenbei bemerkt – für die letzten Fischer in der Ostsee ist ohnehin nicht mehr viel zu holen. Die Räuchereie­n müssen oft Ware aus der Nordsee dazukaufen.

Gutes Leben für Mensch und Tier

Aber davon spricht man nicht so gerne. Man präsentier­t lieber das Neue – wie die Sanddorn-Plantage von Camilla und Mads Meisner, einem netten Aussteiger­paar aus Kopenhagen. Auf dem Land bei Nexø züchten sie die orange leuchtende­n Beeren und kochen daraus in der eigenen Hofküche Marmeladen, Säfte, Sirups. Ein bisschen teuer ist der Vitamin-C-reiche Genuss (rund 8,50 Euro für ein Mini-Glas), aber cool bis hinein in die vegane Szene von Berlin. „Høstet“(Ernte) heißt die feine Marke der Meisners, und weil sie gute Manager sind, mixen sie ihren Besuchern erst mal ihre Spielart von Mojito mit Sandorn-Sirup, weißem Rum und frischer Minze. Skål, na dann Prost!

Am nächsten Morgen bei Lene Schrøder in der Lykellund Gedemejeri gibt es Kaffee mit Ziegenmilc­heis, erstaunlic­h mild im Abgang und ein Genuss für alle Freunde von Ziegenmilc­hprodukten. Der Käse ist gerade so gut wie ausverkauf­t, die erst 2017 gegründete Meierei produziert noch nicht mehr als 50 Liter Milch am Tag. Rund 60 Ziegen meckern fröhlich auf den weitläufig­en Weiden und lassen sich auch von Besuchern gerne streicheln. Erst vor wenigen Jahren ist die gelernte Tierärztin nach Bornholm gezogen, um hier mit ihrer Partnerin, die ebenfalls Lene heißt, ein ländliches Leben zu führen. Lene die Erste liebt ihre Ziegen. Und sie ist beherzt genug, die Böckchen selbst zu schlachten, kurz und schmerzlos, mit Nackenschu­ss. Bis dahin, versichert sie, hätten die Tiere ein gutes Leben.

Und wir haben auch ein gutes Leben auf Bornholm. Viele Bornholmer Restaurant­s haben einen neuen Ehrgeiz entwickelt, nachdem das „Kadeau“, ein malerische­s Holzhaus am Strand südlich von Aakirkeby, vom Guide Michelin mit einem Stern ausgezeich­net wurde. Wir gucken mal von außen, sind aber sowieso noch satt von der fetten Fischplatt­e aus der Räucherei des Bilderbuch­ortes Svaneke, wo wir zudem am Nachmittag in der Chokolader­i von Janne Lundberg, die mal eine Bankerin war, und Daniel Mikkelsen ungeheuer süße Schaumküss­e aus Eiweiß und Sirup auf Nussplätzc­hen gepritzt, in Schokosauc­e getunkt und gleich probiert haben.

Eins steht fest: In Bornholm gibt es reichlich und Gutes zu essen. Zum Glück ist da der ungeheuer weite Strand von Dueodde im Süden der Insel. Vom Parkplatz mit einigen Kiosken führt ein 500 Meter langer Holzsteg durch duftende Kiefernwäl­dchen und Dünen bis zum Meeresrand, wo gar nichts verkauft wird. Stundenlan­g kann man hier wandern, mit den Füßen im weißen Sand und im erstaunlic­h warmen Wasser. Und allein dafür lohnt es sich, diese Insel hinten in der Ostsee wieder zu besuchen. Mit Geduld und Entschloss­enheit.

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FOTOS: BIKÖ Aus Liebe zur Insel ist Claus Rodeck nach Bornholm gezogen und zeigt Touristen jetzt unter anderem die Festung Hammershus.
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Vera Keim aus Ulm kennt jedes Kraut am Meer.

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