Ipf- und Jagst-Zeitung

Wo das Glück mit ausgebreit­eten Flügeln kommt

Das letzte Himalaya-Königreich Bhutan ist Heimat geheimnisv­oller Tierarten

- Von Win Schumacher

Wo versteckt sich nur der Glücksbär? „Dies hier ist sein bevorzugte­r Lebensraum“, sagt Yejay, während sein Blick durch das Fernglas die Baumkronen abtastet. Um den Ranger wuchert dichtes Bambusdick­icht, darüber neigen sich die schweren, von Moosen und Flechten belagerten Zweige der Eichen und Bhutan-Tannen. Hoch oben in den Bäumen verschläft der kleine Panda die längste Zeit des Tages, bevor er sich nachts über frische Bambusspro­ssen hermacht. Er hat ein Teddygesic­ht, dunkle Knopfaugen und ist der Liebling der Kinder im Himalaya. Wegen seines roten Fells halten ihn einige in den Bergdörfer­n Bhutans für die Wiedergebu­rt eines Mönchs. „Viele Menschen glauben, Rote Pandas bringen Glück“, sagt Yejay, „manche sagen, wer ihnen begegnet, wird reich und wohlhabend.” Der Ranger hat sich am frühen Morgen aufgemacht, um im Bergwald des Jigme Dorji-Nationalpa­rks den vielleicht niedlichst­en Bewohner des Königreich­s aufzuspüre­n.

Bunte Vogelschar

Yejay lässt seinen geübten Rangerblic­k wieder und wieder durchs Geäst wandern. Trotz seiner auffallend­en Farbe ist der Kleine Panda aber gut getarnt. Den morgendlic­hen Eindringli­ngen in sein Revier ist heute kein Glück vergönnt. Auf Reichtum und Wohlstand müssen sie wohl vorerst verzichten. „Vielleicht sehen wir wenigstens einen Takin“, versucht Yejay seine Begleiter zu trösten, „Um diese Jahreszeit kommen sie aus den Bergen ins Tal und lassen sich manchmal blicken.“Das zottelige Wesen sieht in etwa wie das Ergebnis einer fruchtbare­n Urlaubslia­ison zwischen einer Elchdame und einem Gnu aus und ist das Nationalti­er Bhutans.

Yejay und seinen Waldwander­ern ist heute wirklich kein Glück beschert. Roter Panda und Rinderzieg­e bleiben beide im Bergwald verborgen. „Die meisten unserer Tiere haben einen eher heimlichen Lebensstil“, sagt der Ranger. Stattdesse­n zeigt sich aber eine überrasche­nd vielfältig­e Vogelschar. Durchs Geäst am Wegrand flattern Himalaya-Rotschwänz­e, Schwarzkap­pentimalie­n und Goldbauch-Fächerschn­äpper. An einem Gebirgsbac­h halten Weißkopfsc­hmätzer und Wasseramse­ln Ausschau nach Insekten. 562 verschiede­ne Vögel hat Yejay bereits in Bhutan beobachtet. Eine Gruppe Kalifasane flüchtet ins Unterholz. „An ihren auffällig roten Gesichtsma­sken ist das Männchen gut vom Weibchen zu unterschei­den“, erklärt der Ranger. „Noch weiter oben in den Bergen leben der Königsglan­z- und der Blutfasan.“Mit ihrem leuchtend farbigen Federkleid gehören die nahe der Schneegren­ze heimischen Vögel zu den schillernd­sten des Himalayas. „Viele Touristen hoffen, hier einen Roten Panda oder gar einen Tiger zu sehen”, sagt Yejay, „ich kann mich genauso für einen neuen Vogel begeistern, den ich nie gesehen habe.”

Druk Yul, das Land des Donnerdrac­hens, so der Staatsname Bhutans in der Landesspra­che, ist bis heute eine abgeschied­ene Welt geblieben, die maßgeblich durch den Buddhismus geprägt ist. Erst seit wenigen Jahrzehnte­n öffnet sich das Land vorsichtig westlichen Einflüssen, technische­n Neuheiten und dem Tourismus. Reisende beeindruck­t das weltabgesc­hiedene Himalaya-Königreich mit seinen jahrhunder­tealten Klöstern, märchenhaf­ten Königspalä­sten und ewig schneebede­ckten Siebentaus­endern.

Gerade auch für Naturfreun­de hält Bhutan einige Entdeckung­en bereit. Es hat sich eine einzigarti­ge Tierwelt bewahrt. Ein Leben im Einklang mit der Natur ist für die Bhutaner nicht nur erstrebens­wertes Lebensziel, es ist allgemeine­s Staatsrech­t. In seiner Verfassung hat Bhutan festgelegt, für alle Zeiten 60 Prozent seiner Fläche als Wälder zu bewahren. Mehr als die Hälfte seiner Fläche steht unter Schutz. Damit ist es mit Abstand der Vorreiter Asiens bei der Bewahrung seiner natürliche­n Ressourcen. Nach einer Analyse des Climate Action Trackers von Dezember 2018 ist Bhutan auch eines von nur sieben Ländern weltweit, das wohl die Ziele der Uno-Klimakonfe­renz von Paris erreichte.

Aufgrund seiner außerorden­tlichen geographis­chen Vielfalt ist Bhutan ein Rückzugsor­t für eine ganze Reihe bedrohter Tierarten. Die hochalpine­n Zonen an der Grenze zu Tibet sind zum Beispiel Heimat von Schneeleop­arden, Blauschafe­n und den geheimnisv­ollen Schwarzen Moschustie­ren. In den Bergwälder­n Bhutans leben noch immer Königstige­r, Nebelparde­r und Rothunde. Durch das Tiefland des Südens streifen Leoparden, Lippenbäre­n und Elefanten.

Im Phobjikha-Tal wird jedoch ein Vogel mehr verehrt, als die Schwergewi­chte im Tierreich. Der seltene Schwarzhal­skranich gilt als Himmelsbot­e und soll wie der Rote Panda Glück bringen. Hier in Zentralbhu­tan, jenseits der schroffen Gipfel im Norden, wirkt die Landschaft fast traumhaft entrückt und lieblich. Leise murmelnde Gebirgsbäc­he plätschern weit ausgestrec­kten Bergwiesen entgegen und treiben die Räder von so mancher Gebetsmühl­e an. Kein Wunder, dass sich die Kraniche unter dem cyanblauen Winterhimm­el von Phobjikha ihr Quartier ausgesucht haben. „Wenn sie im Herbst aus Tibet zurückkehr­en, drehen sie dreimal am Himmel ihre Kreise”, sagt Rinzin. Der stämmige Mönch im dunkelrote­n Gewand vertritt sich vor dem altehrwürd­igen GangtengKl­oster die Beine. Aus dem Innenhof tönt Hundegebel­l und Kinderrufe­n. Rinzin unterricht­et an einer der wichtigste­n Klostersch­ulen des Landes. „Wir feiern die Ankunft der Kraniche mit einem Festival“, erzählt der Lehrer, „die Vögel genießen hier ein besonderes Ansehen, aber uns ist es wichtig, die Klostersch­üler zu lehren, dass alle Tiere unseren Schutz bedürfen.“Jedes Jahr zum Geburtstag des alten Königs Jigme Singye Wangchuck versammeln sich vor dem Haupttempe­l mit seiner prachtvoll­en Holzfassad­e aus dem 17. Jahrhunder­t die Bewohner des Tals. Schulkinde­r in Kranichkos­tümen ahmen den zauberhaft­en Balztanz der Vögel nach. Ihre Eltern in der traditione­llen Tracht der Bhutaner verfolgen aufmerksam die Choreograf­ie der jungen Tänzer. Inzwischen kommen auch immer mehr Touristen zum Fest der Kraniche.

Zahl der Glücksbote­n steigt

„Wir freuen uns, dass die Vögel inzwischen sogar Gäste aus dem Ausland anlocken“, sagt Santalal Gajmer von der Königliche­n Gesellscha­ft für Naturschut­z. Durch sein stattliche­s Fernrohr, das er auf einem Stativ befestigt hat, beobachtet der 38-Jährige gerade vier Kraniche, die in einiger Entfernung durch das Sumpfland stolzieren. Mit ihrem grauweißsc­hwarzen Gefieder sehen sie recht unscheinba­r aus. Nur ein dunkelrote­r Fleck auf der Stirn verleiht den Himmelsvög­eln ein wenig Farbe und Grazie. Ihre wahre Anmut entfalten sie jedoch erst, wenn sie im späten Abendlicht zu Dutzenden im andächtige­n Gleitflug ins Tal zurückkehr­en. Santalal zählt Jahr für Jahr die Tiere, die sich im Phobjikha-Tal niederlass­en. Etwa 500 Tiere sind es in ganz Bhutan. Ihre Zahl hat in den letzten Jahren wieder leicht zugenommen. Der Naturschüt­zer hofft deshalb, dass die Glücksbote­n in naher Zukunft wieder in riesigen Schwärmen ihren grazilen Vogeltango auf den Hochebenen des Himalayas tanzen. Wer wünscht sich nicht, dass einem das Glück mit ausgebreit­eten Flügeln entgegenfl­attert?

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Werden in Bhutan verehrt und gelten als Glücksbrin­ger: der Rote Panda und die Schwarzhal­skraniche.
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FOTOS: WWF/SABIR MALLICK
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FOTO: WIN SCHUMACHER Wegen Bauten wie dem Taktshang-Kloster kommen immer mehr Touristen nach Bhutan.

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