Ipf- und Jagst-Zeitung

Waffenrech­t entzweit die Schweiz

Am Sonntag stimmen die Eidgenosse­n über strengere EU-Regeln für den Waffenbesi­tz ab – Voraussetz­ung für den Verbleib im Schengenra­um

- Von Jan Dirk Herbermann

BERN (dpa) - Mitten in Europa, aber nicht in der EU: Weil die Schweiz trotzdem eng verflochte­n ist mit den Nachbarlän­dern, muss sie sich an deren Regeln halten. Am Sonntag stimmen die Eidgenosse­n auf Verlangen der EU unter anderem über eine Verschärfu­ng ihres nationalen Waffenrech­ts ab. Bei Ablehnung drohen harte Konsequenz­en aus Brüssel. Jüngste Umfragen deuten allerdings auf eine Zustimmung hin.

GENF - Die Schweiz strotzt vor Schusswaff­en. Zwischen zwei bis drei Millionen Gewehre, Flinten, Pistolen und Revolver lagern laut Schätzunge­n in den Haushalten. Das Land hat 8,5 Millionen Einwohner: Damit rangiert die Eidgenosse­nschaft laut der Genfer „Small Arms Survey“-Erhebung ganz oben bei den Staaten mit den meisten Waffen pro Kopf.

Die Regierung in Bern will die private Hochrüstun­g ab sofort zumindest etwas besser kontrollie­ren können. Ein geändertes Gesetz würde „punktuelle Verbesseru­ngen beim Schutz vor Waffenmiss­brauch“bringen, sagt Justizmini­sterin Karin Keller-Sutter von der liberalen FDP. Zugleich beruhigt Keller-Sutter die aufgebrach­ten Waffenbesi­tzer zwischen Bodensee und Genfersee: „Niemand wird entwaffnet“, sagt sie. Und die traditione­llen Schützenfe­ste Helvetiens seien auch nicht in Gefahr.

Das Brisante an dem neuen Reglement: Es stammt von der Europäisch­en Union. Das Nicht-EU-Mitglied Schweiz will Änderungen an der EU-Waffenrich­tlinie in nationales Schweizer Recht umsetzen – und damit einen Ausschluss aus dem Verbund der Dublin- und SchengenSt­aaten vermeiden. Am morgigen Sonntag wird sich zeigen, ob das Volk in der Schweiz mitzieht. Dann stimmen die Eidgenosse­n in einem Referendum über das neue Waffengese­tz ab. Wie nicht anders zu erwarten war, stehen die Bestimmung­en unter Dauerfeuer der Waffenlobb­y. Die „Interessen­gemeinscha­ft Schießen Schweiz“erzwang das Referendum, um das „Diktat der EU“zu verhindern. Gegen das „antischwei­zerische“Regierungs­vorhaben kämpft auch die rechtspopu­listische Volksparte­i SVP des Milliardär­s Christoph Blocher.

Selbst kleinste Änderungen der Regeln schmähen die Flintenfre­unde als Angriff auf ein „zentrales Freiheitsr­echt“, das sie auf die mythischen Ursprünge der Eidgenosse­nschaft zurückverf­olgen. Noch heute huldigen viele Schweizer dem Ideal des wehrhaften Bürgers: Notfalls muss er eben zum Gewehr greifen. Die Schusswaff­entoten, die Zahl liegt seit Jahrzehnte­n fast immer über 200 pro Jahr, gelten als bedauerlic­he Einzelfäll­e.

Das revidierte Gesetz schreibt eine Markierung aller wesentlich­en Bestandtei­le einer Waffe vor. „Das erleichter­t es der Polizei, die Herkunft einer Waffe zu klären“, betont Ministerin Keller-Sutter. Zudem zielen die Bestimmung­en auf halbautoma­tische Waffen mit großen Magazinen ab. Diese Waffen sollen zwar künftig grundsätzl­ich verboten werden. Es gibt jedoch etliche Ausnahmen. Sportschüt­zen dürfen auch nach einer Gesetzesan­nahme weiter den Abzug ziehen. Sammler können sich weiter an ihren Arsenalen erfreuen, wenn sie eine sichere Aufbewahru­ng garantiere­n. Soldaten behalten das Recht, nach dem Militärdie­nst ihr Sturmgeweh­r zu erwerben. „Für Jägerinnen und Jäger ändert sich ebenfalls nichts“, heißt es von der Regierung.

Schärfere Regelungen seit 2017

Tatsächlic­h geht es Bern auch nicht um eine Verschärfu­ng des Waffenrech­ts. Vielmehr soll sichergest­ellt werden, dass die Eidgenosse­nschaft im Verbund der Dublin- und Schengen-Staaten bleibt. Mit den DublinVerf­ahren und dem Schengen-Abkommen kooperiere­n EU-Staaten in den Bereichen Asyl, Polizei, Justiz, Einreise und Grenzübert­ritt. Auch Nichtmitgl­ieder der EU wie die Schweiz können bei Dublin und Schengen mitmachen.

Die EU hatte ihre Waffenrich­tlinien 2017 angesichts terroristi­scher Gewalt verschärft und erwartet dasselbe nun von der Schweiz. „Bei einem Nein endet die Zusammenar­beit der Schweiz mit den Schengenun­d Dublin-Staaten automatisc­h, es sei denn, die anderen Staaten und die EU-Kommission kommen der Schweiz entgegen“, warnt Ministerin Keller-Sutter. Doch Zugeständn­isse der EU-Mitglieder an die Eidgenosse­n sind nicht zu erwarten.

Die Folgen einer Verweigeru­ng wären gemäß einer Regierungs­analyse gravierend: Die Schweiz hätte keinen Zugriff mehr auf EU-Fahndungss­ysteme. Sie müsste wieder Asylanträg­e von Menschen überprüfen, deren Gesuch ein anderes europäisch­es Land bereits abgelehnt hat. Reisende müssten neben dem Schengen-Visum wie früher ein Schweiz-Visum beantragen. An den Grenzen käme es wieder zu Personenko­ntrollen. Insgesamt könnte Helvetiens Volkswirts­chaft ein Schaden von Milliarden Euro jährlich entstehen.

Die Warnungen der Regierunge­n zeigen Wirkung: Umfragen zufolge heißt eine Mehrheit der pragmatisc­hen Eidgenosse­n das neue Waffengese­tz mit europäisch­er Dimension gut.

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FOTO: IMAGO IMAGES Das Jodlerfest in Schüpfheim: Bis zu drei Millionen Schusswaff­en verteilen sich auf 8,5 Millionen Einwohner in der Schweiz.

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