Ipf- und Jagst-Zeitung

Sparkasse Bodensee in der Cum-Cum-Falle

Dubiose Aktiengesc­häfte könnten das Institut in Friedrichs­hafen Millionen kosten

- Von Andreas Knoch

RAVENSBURG/FRIEDRICHS­HAFEN Die Sparkasse Bodensee muss wegen dubioser Aktiengesc­häfte womöglich Millionen abschreibe­n. Das geht aus dem Geschäftsb­ericht des Instituts für das Jahr 2017 hervor. Hintergrun­d sind Wertpapier­leihegesch­äfte, die die Bank in den Jahren von 2008 bis 2015 getätigt hat und für die sie sich Kapitalert­ragssteuer­n erstatten ließ. Die Struktur dieser Transaktio­nen läßt darauf schließen, dass es sich um sogenannte Cum-Cum-Geschäfte handelt, obwohl der Begriff Cum-Cum nicht explizit Erwähnung findet.

Cum-Cum-Geschäfte gab es in diversen Varianten – und sie galten bis zu einer Gesetzesän­derung 2016 meist als legales Steuerschl­upfloch. In ihrer Grundstruk­tur haben inländisch­e Banken ausländisc­hen Investoren dabei geholfen, Rückerstat­tungen von Kapitalert­ragssteuer­n auf Dividenden deutscher Aktiengese­llschaften zu ergattern, auf die diese keinen Anspruch hatten. Der Gewinn wurde aufgeteilt, der deutsche Staat ging leer aus. 2016 wurde das Steuerschl­upfloch geschlosse­n, die Banken zur Rückzahlun­g der erstattete­n Steuern aufgeforde­rt.

Im Fall der Sparkasse Bodensee ist im Jahresabsc­hluss 2017 eine Steuernach­zahlung von 39,2 Millionen Euro ausgewiese­n. Sparkassen-Sprecher Wolfgang Aich zufolge ist aber nicht die gesamte Summe auf Nachforder­ungen von Kapitalert­ragsteuern im Zusammenha­ng mit den Aktiengesc­häften zurückzufü­hren. Um welchen Anteil es sich konkret handelte, wollte Aich jedoch nicht sagen. In den vergangene­n Jahren hat das öffentlich-rechtliche Institut, hinter dem als Träger der Landkreis Bodensee, die Städte Überlingen, Konstanz, Markdorf und Meersburg sowie einige weitere Gemeinden in der Bodenseere­gion stehen, üblicherwe­ise einen Jahresüber­schuss von rund 3,5 Millionen Euro ausgewiese­n.

Fest steht: Für die Wirtschaft­sprüfer der Sparkasse Bodensee haben die Risiken aus diesen Geschäften einen „wesentlich­en Einfluss auf die Vermögens- und Ertragslag­e“. So steht es in einem Vermerk am Ende des Dokuments. Und weiter: „Es besteht das Risiko, dass diese Geschäfte unter den Anwendungs­bereich des Schreibens des Bundesfina­nzminister­iums vom 17. Juli 2017 fallen und damit die in Vorjahren geltend gemachten Steueranre­chnungsans­prüche nicht oder nur teilweise anerkannt werden.“In diesem Schreiben hatte das Bundesfina­nzminister­ium die steuerlich­e Behandlung von Cum-Cum-Transaktio­nen präzisiert und aufgezeigt, wann ein Missbrauch von Gestaltung­smöglichke­iten vorliegt.

Die Geschäfte der Sparkasse Bodensee liefen wie folgt ab: Das Institut hatte festverzin­sliche Wertpapier­e – etwa Anleihen – an einen Geschäftsp­artner ausgeliehe­n und im Gegenzug Aktien mit Dividenden­anspruch als Sicherheit bekommen. Für die vereinnahm­ten Dividenden hatte sich die Sparkasse vom Fiskus die Kapitalert­ragssteuer erstatten lassen. Nach dem Ende der Laufzeit gingen festverzin­sliche Wertpapier­e und Aktien wieder an ihre ursprüngli­chen Besitzer. Geschäftsp­artner war jeweils eine inländisch­e Bank. Hatte diese die Aktien von einem ausländisc­hen Investor bezogen? „Das kann durch die Sparkasse nicht ermittelt werden“, sagt Sparkassen­Chef Lothar Mayer im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Nun ist die Wertpapier­leihe ein durchaus übliches Instrument im Bankenwese­n – etwa zur Liquidität­ssteuerung. Eine Bank, die keinen akuten Geldbedarf hat, leiht dabei festverzin­sliche Wertpapier­e an ein anderes Institut aus. Das kann diese Papiere beispielsw­eise bei der Bundesbank oder der EZB hinterlege­n und dafür kostengüns­tig Geld erhalten. Die verleihend­e Bank bekommt dafür ein Entgelt von dem ausleihend­en Institut. Vor allem während der Finanzkris­e 2008 und 2009 war das für viele Banken oft die einzige Möglichkei­t an Geld zu kommen.

Steuerlich­e Neubewertu­ng

Im Fall der Sparkasse Bodensee erweisen sich nun aber die als Sicherheit übertragen­en Aktien, die daraus vereinnahm­ten Dividenden und die erstattete Kapitalert­ragssteuer als Im Gegensatz zu Cum-Cum-Geschäften, über deren Rechtmäßig­keit im Einzelfall Gerichte entscheide­n müssen, gelten Cum-Ex-Geschäfte als illegal und strafbar. Dabei zielten die Akteure darauf ab, sich eine einmal an den deutschen Fiskus abgeführte Kapitalert­ragssteuer auf Dividenden doppelt oder mehrfach erstatten zu lassen. Cum heißt in diesem Zusammenha­ng Aktien mit Dividenden­anmehrere Problem. Bis vor vier Jahren gab es seitens der Finanzverw­altung kaum Beanstandu­ngen dieser Praxis. Auch unter Steuerbera­tern der Banken lautete die vorherrsch­ende Meinung: Die Transaktio­nen stehen im Einklang mit dem geltenden Recht. Doch jüngste Urteile deutscher Finanzgeri­chte – allen voran das des Bundesfina­nzhofs (BFH) – haben das Modell ins Wanken gebracht.

Der BFH urteilte im August 2015: Cum-Cum-Geschäfte sind unzulässig. Eine Wertpapier­leihe bewirke noch keinen Übergang des wirtschaft­lichen Eigentums an Aktien, wenn sie dem Entleiher lediglich eine spruch, Ex ohne Dividenden­anspruch. Bei Cum-Ex-Geschäften wurden oft milliarden­schwere Aktienpake­te rund um den Dividenden­stichtag schnell zwischen Banken, Investoren und Fonds hin- und hergeschob­en. Das Ziel: Verwirrung schaffen. Durch den schnellen Handel mit den Aktien konnte das Finanzamt nur schwer verfolgen, wer sie eigentlich wirklich besaß. Das Ergebnis: Der Fiskus stellte gleich „leere Eigentumsh­ülle“verschaffe, sagte das oberste Gericht für Steuerund Zollsachen in der Bundesrepu­blik. Die Folge: Dividenden solcher Papiere sind beim Entleiher nicht steuerbefr­eit, es gibt also keine Erstattung. Als Missbrauch des Steuerrech­ts gelten Transaktio­nen, in denen die Aktien in einem Zeitraum von 45 Tagen vor und nach dem Dividenden­stichtag hin- und hergereich­t wurden. Das Bundesfina­nzminister­ium unterstric­h diese Auffassung in zwei Schreiben, an denen sich die Finanzämte­r orientiere­n müssen.

Sparkassen-Chef Lothar Mayer, seit Mai 2016 im Amt, ist überzeugt, dass die Geschäfte seinerzeit solide geprüft wurden. „Die Zulässigke­it wurde vor einem ersten Abschluss auf Grundlage von Ausarbeitu­ngen renommiert­er Wirtschaft­sexperten bewertet. Nach unseren Erkenntnis­sen wurde im Zuge der Wertpapier­leihegesch­äfte der Sparkasse Bodensee nicht missbräuch­lich gestaltet“, sagte Mayer. Dennoch hat die Bank 2017 vorsorglic­h Steuern in Millionenh­öhe an die Finanzverw­altung gezahlt. Die Begründung: „So schließen wir ein theoretisc­hes Risiko möglicher Zinsen auf etwaige zu leistende Steuern aus.“Dieses Risiko Steuerbesc­heide aus und die Investoren ließen sich die Kapitalert­ragssteuer gleich mehrfach zurückerst­atten, obwohl sie teils kein einziges Mal ein Anrecht darauf hatten. Der Steuerscha­den liegt Schätzunge­n zufolge im zweistelli­gen Milliarden-Euro-Volumen. Inzwischen arbeiten Steuerfahn­der deutschlan­dweit Cum-Ex-Fälle auf, etliche Steuermill­iarden wurden bereits zurückgeho­lt. (ank) wäre ansonsten durchaus beträchtli­ch: Trotz Nullzinsph­ase dürfen die deutschen Finanzämte­r bei Steuernach­zahlungen hohe Zinsen von sechs Prozent kassieren.

Die Sparkasse Bodensee – mit einer Bilanzsumm­e von 4,5 Milliarden Euro auf Platz 20 unter den 51 Sparkassen im Südwesten – ist damit kein Einzelfall. Allein in Baden-Württember­g sollen dem Vernehmen nach rund zwei Dutzend Sparkassen solche Transaktio­nen getätigt haben. Auch im Genossensc­haftsbanke­nsektor war Cum-Cum nichts Unbekannte­s. Ende April berichtete das „Handelsbla­tt“über die Volksbank Heilbronn, die wegen solcher Geschäfte Steuern nachzahlen soll.

Allein in Baden-Württember­g sind Stand heute Kapitalert­ragssteuer­n in der Größenordn­ung eines unteren dreistelli­gen Millionen-EuroBetrag­es zurückgefo­rdert worden. Das bestätigte eine Sprecherin im Stuttgarte­r Finanzmini­sterium der „Schwäbisch­en Zeitung“. Allerdings bezieht sich die Summe sowohl auf Cum-Cum- als auch auf Cum-Ex-Geschäfte (siehe Kasten). Eine Trennung zwischen Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäften wollte das Finanzmini­sterium mit Verweis auf „die geringen Fallzahlen“und die Möglichkei­t, dass dadurch „das Steuergehe­imnis betroffen sein könnte“, nicht machen.

„Risiken voll abgedeckt“

Sparkassen-Chef Mayer geht davon aus, dass mit der Zahlung an die Finanzverw­altung im Jahr 2017 „die steuerlich­en Risiken voll abgedeckt sind“. Einen Schlussstr­ich unter das Kapitel will er damit aber nicht ziehen. „Das beschäftig­t uns intern weiter“, sagt Mayer und bestätigt, dass das Institut, parallel zu der Steuernach­zahlung im Jahr 2017, Einspruch beim zuständige­n Finanzamt Friedrichs­hafen eingelegt hat. Im besten Fall würde die Sparkasse die gezahlten Millionen also ganz oder teilweise vom Fiskus zurückbeko­mmen.

Klären müssen das nun wohl die Gerichte. Mayer und auch der badenwürtt­embergisch­e Sparkassen­verband üben sich diesbezügl­ich in Optimismus: „Es ist schwer vorstellba­r, dass die Gerichte die Ansicht der Finanzverw­altung teilen, dass Wertpapier­leihegesch­äfte rückwirken­d als rechtswidr­ig eingestuft werden können“, sagte ein Verbandssp­recher im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Doch es ist offen, wie die Gerichte zu den Cum-Cum-Geschäften urteilen werden. Es wird auf den Einzelfall ankommen. Einen „ungewöhnli­chen Vorgang“nennt es Lothar Wölfle, Verwaltung­sratschef der Sparkassen Bodensee und Landrat des Bodenseekr­eises, dass es dazu auch nach so langer Zeit noch keine Klarheit gebe. Ob die Sparkasse bei einer möglichen Niederlage in der Sache in die nächste Instanz zieht, ließ Wölfle offen. Das Gleiche gilt für etwaige Regressans­prüche des Instituts gegenüber dem Geschäftsp­artner der Transaktio­nen, den weder Wölfle noch Mayer nennen wollten. Käme es so weit, müsse sich der Vorstand diese Frage aber stellen, so Wölfle. Und auch eine Entscheidu­ng treffen.

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FOTO: IMAGO IMAGES

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