Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein Rauschen bis zur Ekstase

Kirill Petrenko führt mit dem Symphonieo­rchester Vorarlberg Mahlers achte Symphonie auf

- Von Katharina von Glasenapp

BREGENZ - Schon der Aufmarsch aller Chöre, Solisten und Orchesterm­itglieder war beeindruck­end: Über 90 Minuten spannte Kirill Petrenko dann den Bogen in dieser so gewaltigen achten Symphonie von Gustav Mahler. Damit führte der mit seiner zweiten Heimat so verbundene russische Dirigent sein Vorhaben weiter, alle neun Symphonien mit dem Symphonieo­rchester Vorarlberg aufzuführe­n.

„Symphonie der Tausend“wurde das Werk genannt, bei der Münchner Uraufführu­ng 1910 waren es tatsächlic­h so viele Mitwirkend­e. Der Komponist lehnte diesen Beinamen allerdings ab. Dem ersten Satz liegt der alte Text zum Pfingsthym­nus „Veni creator spiritus“zugrunde, dem zweiten Satz die Schlusssze­ne aus Goethes Faust II mit ihrer grandiosen Überhöhung „Alles Vergänglic­he ist nur ein Gleichnis“. So brausend die Steigerung­en in beiden Teilen auch sind, so lyrisch und zerbrechli­ch kann die Musik doch ebenfalls sein. Kirill Petrenko schöpft alles aus, im energiegel­adenen Ausbruch ebenso wie im fast verlöschen­den Murmeln, die Gegensätze sind überwältig­end, bescheren Gänsehauts­chauer und Spannung.

Alles hat Mahler in seine Symphonie hineingele­gt, die göttliche Liebe ebenso wie die Sehnsucht des suchenden Menschen nach Erlösung, das Tönen des Weltalls und die ewige Ekstase. Wer die anderen Symphonien Mahlers bis hierher verfolgt hat – seit 2008 arbeiten Petrenko und das SOV ja an diesem Gesamtkuns­twerk – wird vieles wiedererke­nnen.

Mit seiner ungeheuren Präsenz scheint Petrenko mit diesem riesigen Orchester- und Chorappara­t gleichwohl Kammermusi­k zu machen: Da gibt es feine Soli bei den Holzbläser­n von Konzertmei­ster Hans-Peter Hofmann oder samtig abgestimmt­e Choralmelo­dien in den Hörnern. Zackige Fanfaren schallen in den größten Steigerung­en dann auch von oben mit einem Fernorches­ter herunter, Schlagwerk­explosione­n und Harfenraus­chen unterstrei­chen die Höhepunkte. In lyrischen Zwischensp­ielen wird der Dirigent zum Klangmaler.

Mit seiner Liebe zu Stimmen, die Petrenko in Wien, Meiningen, Bayreuth und nun als GMD in München schon immer gezeigt hat, ermöglicht er es aber auch den Solistinne­n und Solisten, fein differenzi­ert zu singen. Die vier Damen Sarah Wegener, Elza van den Heever, Claudia Mahnke und Diana Haller (Wegener und Haller waren sogar kurzfristi­g eingesprun­gen) verbinden sich zu einem ausgesproc­hen harmonisch­en Ensemble, in dem keine forcieren muss. Die Stimme von Letizia Scherrer kündet zuletzt von oben von himmlische­m Frieden.

Tenor Norbert Ernst, Bariton Daniel Boaz und Bass Kwangchul Youn strahlen Innigkeit und Würde aus. Der Bregenzer Festspielc­hor und der Salzburger Bachchor, glänzend vorbereite­t von Benjamin Lack und Alois Glassner, überzeugen mit Leuchtkraf­t und Energie, noch viel mehr aber mit wunderbare­m Pianissimo im Schlusscho­r. Wolfgang Schwending­er hat seinen Kinderchor gleichfall­s herangefüh­rt an diese rauschende Musik. Die Kinder werden dieses Erlebnis sicher nicht vergessen.

Das Publikum dankte Petrenko und allen Ausführend­en und Verantwort­lichen mit Ovationen. Heute ist die zweite (längst ausverkauf­te) Aufführung. Eine Symphonie fehlt noch, sie ist „nur“mit Orchester besetzt und die ausdruckss­tarke Zusammenfa­ssung eines Lebenswerk­s. Petrenko wird dann bereits als Chef der Berliner Philharmon­iker zu seinen Vorarlberg­er Musikerfre­unden kommen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany