Skandal-Video bringt Regierung zu Fall
Österreichs FPÖ-Vizekanzler Strache tritt zurück – Kanzler Kurz kündigt Neuwahlen an
WIEN (dpa) - Das rechtskonservative Regierungsbündnis in Österreich ist nur 17 Monate nach dem Start am Ende. Grund ist die Veröffentlichung eines Skandal-Videos, das zeigt, wie Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) einer vermeintlichen russischen Oligarchin 2017 auf Ibiza öffentliche Aufträge in Aussicht stellt, wenn sie seiner Partei zum Wahlerfolg verhelfe. Anfang September soll nun ein neues Parlament gewählt werden. Das sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Sonntag nach einem Gespräch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Das Land brauche möglichst bald einen Neuaufbau des Vertrauens in die Politik, sagte Van der Bellen.
Kurz hatte die Koalition seiner konservativen ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ am Samstag aufgekündigt. Strache, der auch Vorsitzender der FPÖ war, war zuvor zurückgetreten. „Die Neuwahlen waren kein Wunsch, sie waren eine Notwendigkeit“, so Kurz. Die FPÖ schade dem Reformprojekt der Regierung. Sie schade auch dem Ansehen des Landes. „Genug ist genug.“
Am Wochenende entwickelte sich eine Debatte über die Veröffentlichung des Videos. So kritisierte etwa Baden-Württembergs Datenschutzbeauftragter Stefan Brink die heimliche Aufzeichnung des Videos. „Wenn wir politische Gegner hintergehen, ihre Privatsphäre verletzen und sogar kriminelles Unrecht begehen, schaden wir letzten Endes unserer politischen Kultur und damit uns allen“, erklärte Brink. Hierfür musste er unter anderem Kritk vom Blogger Sascha Lobo einstecken.
Das von „Spiegel“und „Süddeutscher Zeitung“am Freitag veröffentlichte Video wurde nach den Worten des „Spiegel“-Redakteurs Wolf Wiedmann nicht gezielt kurz vor der Europawahl veröffentlicht. Woher das Material kommt, könne er aus Quellenschutzgründen nicht sagen. Laut „Süddeutscher Zeitung“wurde das Material in einem verlassenen Hotel auf USB-Sticks übergeben. Beide Medien legten am Sonntag nach und berichteten über weitere Treffen. Tonaufnahmen würden belegen, dass sich der zweite im Video sichtbare Politiker Johann Gudenus, der die FPÖ nun verlassen hat, mehrfach mit dem Vertrauten der angeblichen Milliardärsnichte getroffen hat.
WIEN - Österreich steckt nach dem sogenannten „Ibiza-Skandal“in einer ernsten Regierungskrise. Die rechte FPÖ hat sich durch die Äußerungen Heinz-Christian Straches, bis Samstag Chef der Partei, über das Zuschachern von Staatsaufträgen an eine vermeintliche Nichte eines russischen Oligarchen und über einen radikalen Umbau des österreichischen Mediensystems selbst politisch enthauptet. Bundeskanzler Sebastian Kurz, der mit seiner ÖVP zusammen mit der FPÖ das Land regiert, löste das Bündnis nach nur 17 Monaten auf.
Die FPÖ-Minister schrumpften über Nacht durch Straches Aussagen in einem heimlich aufgenommenen Video zu Skandalfiguren, allen voran Parteichef und Vizekanzler HeinzChristian Strache und sein Fraktionschef Johann Gudenus. Mit ihrem Rücktritt am Wochenende ist die FPÖ praktisch führungslos geworden. Bundeskanzler Sebastian Kurz, Chef der konservativen ÖVP, einigte sich am Sonntag mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf Neuwahlen im September.
Kurz: „Die FPÖ kann’s nicht“
„Die FPÖ kann’s nicht“, sagte Kurz am Samstagabend in einer Presseerklärung. Er habe die Koalition aufgelöst, weil er „keinen Willen sehe, dass sich die FPÖ ändert“. Mit ihrem Verhalten schade sie dem Reformprojekt seiner Regierung. „Und dem Ansehen des Landes“, fügte Kurz hinzu. Er habe in der gemeinsamen Regierung „viel ertragen müssen, genug ist genug“.
Die linke und liberale Opposition entgegnete, Kurz trage die politische Verantwortung für die Regierungskrise und die internationale Rufschädigung Österreichs. Schließlich sei er Ende 2017 bewusst ein Bündnis mit der FPÖ eingegangen, obwohl er schon damals deren antidemokratische und antieuropäische Haltung gekannt habe.
Immer wieder erschütterten die ÖVP-FPÖ-Koalition Skandale. Erst war es ein „Liederbuch“von Burschenschaftlern und FPÖ-Mitgliedern, die den Holocaust verhöhnten, zuletzt das sogenannte „Rattengedicht“, in dem der FPÖ-Vizebürgermeister in Hitlers Geburtsstadt Braunau Flüchtlinge mit Ratten verglich. Strache und sein Innenminister Herbert Kickl verharmlosten derlei Ausfälle immer wieder. Und Kanzler Kurz begnügte sich – zumindest nach außen – mit Straches Beteuerung, er werde in seinen Reihen für Ordnung sorgen.
Letztlich war es Strache selbst, der den größten Skandal lieferte. Er liegt bereits zwei Jahre zurück, platzte aber erst an diesem Wochenende und sprengte gleich die Koalition in die Luft. Strache und sein engster Vertrauter, FPÖ-Fraktionschef Gudenus, waren im Sommer 2017 auf der Baleareninsel Ibiza in eine Falle getappt. Ein heimliches, von bislang Unbekannten aufgezeichnetes Video in einer Villa zeigen die beiden FPÖSpitzenpolitiker, wie sie stundenlang darüber beraten, mit der vermeintlichen Nichte eines russischen Oligarchen ins Geschäft zu kommen. Dabei floss reichlich Wodka mit Red Bull. Das Video war der „Süddeutschen Zeitung“und dem Magazin „Der Spiegel“zugespielt worden. Beide Medien veröffentlichten ihre Artikel am Freitagabend – nach Angaben der jeweiligen Redaktionen hatten sie das Material vorher von Forensikern auf Echtheit prüfen lassen.
Deals mit dem Trinkwasser
Das Dokument belegt, dass der FPÖChef kurz vor den Parlamentswahlen 2017 bereit war, russisches Schwarzgeld für die Parteikasse einzustreichen – nachdem ihm die angebliche Oligarchennichte eröffnet hatte, rund eine Viertelmilliarde Dollar in Österreich investieren zu wollen. Das Schwarzgeld müsse aber, so Strache, über eine „gemeinnützige Stiftung“am Rechnungshof vorbeigeschleust werden. Strache zeigte sich also offen für illegale Parteienfinanzierung – obwohl er im Lauf des Gesprächs mehrmals versicherte, es müsse alles „nach Recht und Gesetz“ablaufen. Als Gegenleistung werde er dafür sorgen, dass die Nichte des Oligarchen staatliche Aufträge für Infrastrukturprojekte bekommen werde. Strache sprach auch über die Möglichkeit, durch die Privatisierung der Wasservorsorgung in Österreich Geld zu verdienen. Die FPÖ verspricht seit Jahren in Wahlkämpfen den Österreichern, das Trinkwasser vor „gierigen internationalen Konzernen“zu schützen.
Strache sprach bei dem Treffen davon, die Medienlandschaft in Österreich umzubauen – „wie Orbán in Ungarn“. Insbesondere bot Strache der vermeintlichen Oligarchen-Nichte an, ihr Mehrheitsanteile des Massenblattes „Kronenzeitung“zuzuschanzen – damit die Zeitung künftig die FPÖ „pusht“, wie Stache sagt. In deren Redaktion müssten dann, so Strache, „drei, vier Leute abserviert werden, zack, zack, zack“.
Dass die angeblich russische Oligarchennichte ein Lockvogel war, haben Strache und sein Intimus Gudenus nicht bemerkt. Beim Treffen in Ibiza sei reichlich Alkohol geflossen, er habe bei der attraktiven Dame Eindruck schinden wollen, sagte Strache am Samstag, als er seinen Rücktritt erklärte. Strache bezeichnete das Video als Verschwörung politischer Gegner und ausländischer Geheimdienste. „Das war ein gezieltes politisches Attentat“, sagte er. Für seine Äußerungen entschudigte sich Strache. Sie seien „a b’soffene G’schicht“gewesen, ein einmaliger Ausrutscher unter Alkoholeinfluss.
„Süddeutsche Zeitung“und „Spiegel“veröffentlichten am Sonntagabend Artikel, denen zufolge Strache die besprochenen Deals mit der vermeintlichen Oligarchen-Nichte auch in den Monaten nach dem Treffen auf Ibiza weiter verfolgten.