Favorit gewinnt ESC
Niederländer Laurence gewinnt, Häme für Madonna
Es war eine der spannendsten Punktevergaben seit Langem – und am Ende siegte beim Eurovision Song Contest (ESC) dann doch der haushohe Favorit: Duncan Laurence aus den Niederlanden mit der Ballade „Arcade“. Für das deutsche Duo „S!sters“reichte es in Tel Aviv dagegen nur für den drittletzten Platz. Für Ärger sorgten auch der desaströse Auftritt von Popstar Madonna sowie das politische Statement des isländischen Teams.
Das Abschneiden des deutschen Duos war zwar geringfügig besser als die noch düstereren Prognosen, die die Bundesrepublik im Vorfeld gar als Schlusslicht sahen. Dafür versetzte die israelische Moderatorin Bar Refaeli den deutschen ESC-Fans mit bedauernder Miene einen besonders schmerzlichen Stich ins Herz. Zwar hatte es zuvor bei der Jury-Wertung von Irland, Australien, Litauen, der Schweiz, Dänemark und Weißrussland insgesamt 32 Punkte gegeben. Doch bei der Zusammenfassung der Publikumsstimmen musste Bar Refaeli „Sorry, Germany“sagen: Als einziges Land hieß es hier „Null Punkte“, sogar der öde, letztplatzierte britische Beitrag erhielt von den Zuschauern ein paar Gnadenpunkte.
Dass man hierzulande die Schlappe mit Gleichmut nahm, mag zum einen an den niedrigen Erwartungen gelegen haben – zum anderen daran, dass ein weitaus größeres Debakel
die Diskussion beherrschte. Denn der mit enormem Tamtam inszenierte Gastauftritt von Madonna geriet zum Debakel. Es dürfte immerhin die gerade erst 16-jährige Teilnehmerin ZENA aus Weißrussland getröstet haben, die mit ihrem nicht immer stimmsicheren Beitrag auf dem vorletzten Platz gelandet war, dass der 60-jährige Superstar bei seinem Auftritt fast gar keine Töne traf. Nachdem sie ihren Klassiker „Like A Prayer“massakriert hatte, präsentierte Madonna einen neuen Song, bei dem zwei Tänzer mit Israel- und Palästinenserfahne auf dem Rücken einander bei der Hand hielten.
Unmut schon im Vorfeld
Während diese nicht abgestimmte Einlage noch als Aufruf zur Versöhnung gesehen werden konnte, setzte das Anarcho-Kollektiv Hatari aus Island fast schon berechenbar auf Konfrontation und hielt bei der Punkteverkündung ein Palästinenser-Banner in die Kameras, was im Saal für hörbaren Unmut sorgte. Der Veranstalter des Wettbewerbs, die europäische Rundfunkunion, droht der Band und möglicherweise auch dem Land nun mit Konsequenzen. Die gab es in einem anderen Fall wohl schon bereits während der Sendung: Die weißrussische Jury wurde disqualifiziert, weil sie im Vorfeld zu freizügig über ihr Abstimmungsverhalten geplaudert hatte. Stattdessen kam ein ominöser „Algorithmus“zum Einsatz und bescherte Deutschland überraschende acht Punkte – ohne die man sonst wohl noch einen Platz abgerutscht wäre, und das pikanterweise hinter Weißrussland.
Jury und Publikum nicht einig
Reichlich Spektakel jenseits der Musik also – die Auftritte selber waren dieses Jahr zwar nicht überragend, aber unterhaltsam und abwechslungsreich. Der reduzierte und überzeugende Siegertitel aus den Niederlanden stach dabei zwischen all den schrillen Inszenierungen klar heraus und sicherte sich die beste Gesamtwertung. Beim Publikum hatte dagegen ein anderer Song auf dem ersten Platz gelegen: „Spirit in the Sky“aus Norwegen. Die Nummer im Stile des „Eurotrash“der 1990er-Jahre sorgte für gute Laune und gewann enorm durch die Einlage eines Rappers in der Sprache der samischen Minderheit des Landes. Am Ende reichte es für Platz fünf. Die Jurys favorisierten dagegen die hochprofessionelle, aber auch etwas glatte Gospel-Ballade „Too Late for Love“von John Lundvik aus Schweden. Die abstimmenden Zuschauer waren dagegen weitaus weniger begeistert – machte in der Summe Platz sechs.
Ein ähnlicher Gegensatz im Stimmverhalten fand sich auch bei der wohl größten Überraschung des Abends: Wie aus dem Nichts stürmte Tamara Todevska aus Nordmazedonien bei den Jury-Wertungen auf den zweiten Platz und sah zwischenzeitlich wie eine ernsthafte Titelanwärterin
ANZEIGE aus. Die Sängerin der ernsten Ballade konnte ihr Glück offenkundig selber nicht fassen – rutschte in der Gesamtwertung dann aber auf den achten Platz ab. Für das erstmals unter seinem neuen Namen angetretene Land war es dennoch ein beachtlicher Erfolg. Gleiches gilt für den Schweizer Kandidaten Luca Hänni, der mit seinem tanzbaren Song „She Got Me“hinter Italien und Russland auf dem vierten Platz landete. Und Deutschland? Die jungen Sängerinnen waren sympathisch, das Lied aber arg glatt, und dem Auftritt fehlte jede Natürlichkeit. Hoffentlich eine Lehre für den NDR, der beim nationalen Vorentscheid sein eigenes hochkompliziertes Auswahlsystem infrage gestellt und den Beitrag kurzfristig nachnominiert hatte.