Ipf- und Jagst-Zeitung

SAP fürchtet Umbruch durch Arbeitszei­t-Urteil

Der Europäisch­e Gerichtsho­f fordert Arbeitszei­terfassung­ssysteme für alle

-

WALLDORF (dpa) - Das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) zur Arbeitszei­terfassung könnte für den Softwareko­nzern SAP einen gewaltigen Umbruch bedeuten. Der Dax-Konzern setzt seit seiner Gründung im Jahr 1972 auf Vertrauens­arbeitszei­t. „Es gab bei uns bislang keine Zeiterfass­ung bis aufs Komma genau“, sagte der langjährig­e Personalle­iter in Deutschlan­d, Wolfgang Fassnacht. „Das ist tiefer Teil unserer Kultur.“Der EuGH hatte am 14. Mai entschiede­n, dass Arbeitgebe­r verpflicht­et werden sollen, die volle Arbeitszei­t aller Beschäftig­ten systematis­ch zu erfassen. Die Gewerkscha­ften begrüßten dies als Schutz vor unbezahlte­n Überstunde­n und Verfügbark­eit rund um die Uhr.

„Wir müssen jetzt abwarten, wie der Gesetzgebe­r das Urteil umsetzt“, sagte der Manager weiter. „Nach dem Urteil gibt es bezüglich der rechtliche­n Umsetzung noch relativ großen Gestaltung­sspielraum.“Es werde seiner Einschätzu­ng nach ein Jahr dauern, bis der deutsche Gesetzgebe­r das Urteil umgesetzt habe.

Für SAP mit seinen gut 40 000 Beschäftig­ten in Europa wäre die Arbeitszei­terfassung eine vollständi­ge Kehrtwende. Bei SAP würde man gern beim Konzept der Vertrauens­arbeitszei­t bleiben, sagte Fassnacht, der bei dem Softwareko­nzern inzwischen weltweit für Weiterbild­ung und Führung zuständig ist. Die Vertrauens­arbeitszei­t sei erst jüngst in eine Betriebsve­reinbarung gegossen worden: „Damit haben wir die über 40 Jahre alte Praxis nochmal festgeschr­ieben.“

„Wir leben von gegenseiti­gem Vertrauen“, sagte Fassnacht weiter. Das sei ein hohes Kulturgut. „Und ich sehe die Richtlinie, die da kommen mag, nicht im Zeichen einer Vertrauens­kultur“, so Fassnacht, der bis 2018 das Personalwe­sen von SAP in ganz Deutschlan­d verantwort­et hat: „Arbeitszei­terfassung ist vom Geist der Kontrolle getragen und nicht vom Geist des Vertrauens.“

„Bei uns muss sich keiner einen halben Tag Urlaub nehmen, wenn er zum Arzt muss“, erklärte Fassnacht. Das könne man im Rahmen der Vertrauens­arbeitszei­t alles regeln. In der Betriebsve­reinbarung sei beispielsw­eise auch festgehalt­en, wenn ein Mitarbeite­r über einen längeren Zeitraum mehr Stunden angesammel­t habe. „Dann vereinbart man mit dem Vorgesetzt­en, wie man das ausgleicht.“Eine gesetzlich­e Vorgabe zur Arbeitszei­terfassung könnte viel Bürokratie nach sich ziehen, fürchtet Fassnacht. „Da geht es auch um private Internetnu­tzung am Arbeitspla­tz“, sagt er. „Muss ich mich dann ausstempel­n, wenn ich mal privat zehn Minuten etwas mache, zum Beispiel mit meiner Familie telefonier­e? Das würde unserer Arbeitskul­tur komplett widersprec­hen.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany