Maßnahmen für mehr Landärzte
Grün-Schwarz beschließt Quote und neues Neigungsprofil „Ländliche Hausarztmedizin“
(kab) - Die grünschwarze Regierungskoalition in Stuttgart hat sich auf ein Verfahren geeignet, um mehr Ärzte aufs Land zu bringen. Schon bekannt war, dass es 150 zusätzliche Medizinstudienplätze geben wird. Nun wurde festgelegt, dass jährlich 75 Plätze für Studienanfänger in der Humanmedizin an junge Menschen gehen sollen, die später Landarzt werden möchten, aber nach dem bisherigen Verfahren keinen Studienplatz bekamen. Diese Studenten verpflichten sich, später in einem Gebiet zu arbeiten, in dem Ärztemangel herrscht. Damit wird die von der CDU geforderte Landarztquote umgesetzt.
- Einen allgemeinen Mangel an Ärzten gibt es zwar nicht in Baden-Württemberg, aber die Versorgung ist nicht überall gleich gut. Im ländlichen Raum ist das Problem besonders groß: Rund 665 000 Bürger im Südwesten leben in einer Gemeinde ohne Hausarzt, etwa 600 Praxen sind unbesetzt – Tendenz steigend. Wie also kann dieser Mangel auf dem Land behoben werden? Die CDU hat lange schon für eine Landarztquote für angehende Mediziner gekämpft. Die wird nun kommen – darauf haben sich die Fraktionschefs Wolfgang Reinhart (CDU) und Andreas Schwarz (Grüne) am Mittwoch geeinigt. Die Details:
Was passiert mit den Medizinstudienplätzen?
Unstrittig in der Koalition war es, mehr Studienplätze zu schaffen. Ihre Zahl wird von landesweit 1500 um weitere 150 aufgestockt. Das Geld hierfür ist im Doppelhaushalt für die kommenden beiden Jahre verankert – der wurde heute im Landtag endgültig verabschiedet. CDU-Fraktionschef Reinhart hatte darauf gedrängt, alle neuen Studienplätze mit einer Landarztquote zu belegen – also für Bewerber zu reservieren, die sich verpflichten, später auf dem Land zu praktizieren. Nun wird die Hälfte der neuen Studienplätze, also 75, die Landarztquote bilden. „Die CDUFraktion hat sich durchgesetzt“, jubelt Fraktionschef Reinhart. „Das ist ein großer Erfolg für die unterversorgten Gebiete und ländliche Räume.“
Gibt es Vorbilder für solch eine Quote?
Ja, andere Länder haben vorgelegt. In Bayern etwa sind 90, in NordrheinWestfalen 145 Studienplätze für spätere Landärzte reserviert. Für diese zählt bei der Studienplatzvergabe nicht mehr der Notenschnitt im Abitur. Sie müssen aber unter anderem eine Ausbildung in einem Pflegeoder Gesundheitsberuf nachweisen. Wer einen der Plätze bekommt, muss sich verpflichten, nach dem Studium zehn Jahre als Hausarzt in einer ländlichen Region zu praktizieren. Tut er oder sie dies nicht, muss eine Vertragsstrafe gezahlt werden – Bayern will bis zu 250 000 Euro verlangen.
Wie sollen die Plätze in BadenWürttemberg vergeben werden?
Das ist noch völlig offen. Die Fraktionen hätten ihre Arbeit getan, indem sie einen Kompromiss gefunden hätten, erklärt Reinhart. Nun sei es Aufgabe der Regierung – etwa von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) –, einen Gesetzesvorgungsprofil schlag zur Umsetzung vorzulegen. Und das möglichst schon so bald, dass die ersten Studenten zum Sommersemester auf diese Weise ausgewählt werden können. Klar sei aber, so Reinhart, dass auch in BadenWürttemberg nicht nur der AbiSchnitt zählen darf. „Es muss ein gesondertes Verfahren geben.“Wichtig sei, dass die Studenten nach ihrem Abschluss zehn Jahre auf dem Land praktizieren, oder die Kosten für ihr Studium zurückzahlen müssen. Ein Medizinstudium kostet das Land mehr als 200 000 Euro. Wer kontrollieren soll, ob sich die Landärzte zehn Jahre nach dem Studium an die Verträge halten, ist ebenfalls noch unklar.
Was sagen die Grünen?
Die Grünen hatten eine solche Quote stets als unsinnig abgelehnt. „Wir stehen der Landarztquote weiter kritisch gegenüber“, betont denn auch Fraktionschef Andreas Schwarz. Sich mit 19 oder 20 Jahren zu entscheiden, zehn Jahre später für zehn Jahre auf dem Land zu praktizieren, sei wenig praktikabel. Zumal die Änderung kurzfristig keine Besserung verspricht. „Studenten sollen sich aus Eigenmotivation fürs Land entscheiden“, sagt Schwarz. Er spricht von einem Landarztförderprogramm: Das Medizinstudium insgesamt wird weiterentwickelt. Es wird ein neues Nei
„Ländliche Hausarztmedizin“an allen fünf Medizinischen Fakultäten im Land eingeführt. Dieses soll dabei helfen, mehr Interessierte für eine Praxis auf dem Land zu begeistern. Dieses Profil steht allen Medizinstudenten offen.
Was sagt die Opposition?
Die SPD ist von der Landarztquote nicht überzeugt. Ihr Gesundheitsexperte Rainer Hinderer spricht von einem „faulen Kompromiss, der in der Sache nicht dienlich ist“und der aufgrund von CDU-Eitelkeiten zustande gekommen sei. Hinderer verweist auf den „guten Vorschlag“der Medizinischen Fakultäten. Diese hatten als Kompromiss empfohlen, Studenten nicht zu Beginn des Studiums zu verpflichten, sondern nach dem 5. oder 7. Semester. Ab diesem Zeitpunkt sollten sie ein Stipendium von 600 Euro pro Monat erhalten, wenn sie sich dazu verpflichten, im Anschluss auf dem Land zu praktizieren. Sonst sollen sie das Geld zurückzahlen. Dieser Vorschlag hatte für die CDU zu wenig Bindungskraft, die Grünen waren dafür.
Was sagen die Wissenschaftler?
Stefanie Joos, Professorin am Institut für Allgemeinmedizin an der Universität Tübingen, hatte eine Landarztquote in der „Schwäbischen Zeitung“kritisiert. Diese könne nämlich andere Bemühungen konterkarierten. Wissenschaftsministerin Bauer hat bereits einiges auf den Weg gebracht. Sie hat etwa Lehrstühle für Allgemeinmedizin eingerichtet, um die Fachrichtung im Vergleich zu anderen Fächern aufzuwerten und zugleich Forschung und Lehre auf diesem Gebiet zu verbessern. Das Wissenschaftsministerium förderte die Allgemeinmedizin an den fünf Unis seit 2016 mit 30 Millionen Euro. Studierende müssen Veranstaltungen und Praktika in Hausarztpraxen absolvieren, die Kooperation mit Lehrkrankenhäusern auf dem Land wurde verbessert. Auch Bauer war gegen Quoten.
„Wenn man mit Verpflichtungen arbeiten muss, um Studierende für die Fachrichtung Allgemeinmedizin zu gewinnen, wirkt das auf viele abschreckend“, hatte Professorin Joos erklärt. „Man bietet quasi etwas an wie sauer Bier, was niemand will. Das gilt erst recht, wenn man die Zugangsvoraussetzungen für diese Plätze senkt. Das schadet dem Image der Allgemeinmedizin.“
Ähnlich hatte sich Professor Joachim Szecsenyi, Leiter der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Heidelberg, geäußert. Solche negativen Effekte seien erwiesen. Aber: „Die Evidenz dafür, dass eine Quote wirkt, ist sehr mager.“