Ipf- und Jagst-Zeitung

Merkel gegen Sanktionen

Kanzlerin möchte im Fall Nord Stream 2 lieber reden

- Von Hannes Koch

(AFP/dpa) - Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat den Sanktionsb­eschluss des US-Kongresses wegen der Pipeline Nord Stream 2 kritisiert und den USA Gespräche angeboten. „Ich sehe keine andere Möglichkei­t, als Gespräche zu führen, aber sehr entschiede­ne Gespräche, dass wir diese Sanktionen nicht billigen“, sagte Merkel am Mittwoch im Bundestag. Gegenmaßna­hmen stehe sie zurückhalt­end gegenüber, erklärte die CDU-Politikeri­n.

In den USA hatte am Dienstag nach dem Repräsenta­ntenhaus auch der Senat für den neuen Verteidigu­ngshaushal­t gestimmt, in dem die Strafmaßna­hmen gegen am Bauprojekt beteiligte Firmen und Personen enthalten sind. Ziel der Sanktionen sind Firmen, die am Verlegen der Gaspipelin­e durch die Ostsee beteiligt sind, sowie deren Eigner. Als Strafmaßna­hmen vorgesehen sind Einreiseve­rbote und das Einfrieren von Vermögen in den USA.

G- Vor über zehn Jahren ging die Planung los. Die neue Höchstspan­nungsleitu­ng zwischen Wahle östlich von Hannover und dem hessischen Ort Mecklar sollte Strom von Nord nach Süd leiten. Fertig ist sie immer noch nicht. Die Karte vom Energiever­sorger Tennet verzeichne­t drei Bauabschni­tte in gelber Farbe: Die sind genehmigt oder im Bau. Ein weiteres Stück ist in braun dargestell­t. Da läuft das Planungsve­rfahren noch. Neue Stromtrass­en in Deutschlan­d zu bauen ist eine langwierig­e Sache.

Stehen die Masten oder liegen die Kabel erst, halten sie für Generation­en. Eine gefühlte Ewigkeit dauert es allerdings, das komplizier­te Planungsve­rfahren zu durchlaufe­n. Dabei sind neue Leitungen eine Voraussetz­ung für das Gelingen der Energiewen­de. Der Strom der Windkraftw­erke in Norddeutsc­hland muss in die Industrieg­ebiete des Südens. Dass die Zeit drängt, weiß man seit mehr als zehn Jahren. Wie ist heute der Stand?

Wie an zahlreiche­n anderen Orten gab es zwischen Wahle und Mecklar viel Protest. Anwohner und Anwohnerin­nen gründeten Bürgerinit­iativen. Teilweise forderten sie, die Leitung unter die Erde zu legen, damit das Landschaft­sbild nicht verschande­lt werde. An zwei Abschnitte­n kamen Planer und Politik diesem Wunsch nach – bei Salzgitter und Göttingen. Nun soll das ganze Projekt mit gut 220 Kilometer Länge 2024 in Betrieb gehen, sagt Tennet, etwa 15 Jahre nach dem Start. Wenn nichts mehr dazwischen­kommt.

Insgesamt wurden 2009 im Gesetz zum Ausbau von Energielei­tungen, das auch die Verbindung zwischen Wahle und Mecklar enthält, rund 1800 Kilometer neue Stromtrass­en in ganz Deutschlan­d geplant. Laut einem Bericht der Bundesnetz­agentur waren davon bis zum ersten Quartal dieses Jahres 800 Kilometer in Betrieb – weniger als die Hälfte. Das kann man für einen Erfolg oder

Misserfolg halten. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU), zuständig für diesen Teil der Energiewen­de, hat sich offiziell für die erste Version entschiede­n. „Im Jahr 2019 hat es beim Ausbau der Stromnetze wichtige Fortschrit­te gegeben“, erklärte der Minister kürzlich. So fließe seit Ende Oktober Strom durch eine neue Leitung an der Elbe zwischen Schleswig-Holstein und Niedersach­sen.

Trotzdem erkannte auch die Bundesregi­erung, dass es mit dieser gewissen Behäbigkei­t nicht weitergehe­n konnte. Zumal die Zahl der Windparks besonders in Norddeutsc­hland, sowie in der Nord- und Ostsee steigt, viele Rotoren aber immer mal wieder abgeschalt­et werden müssen, weil die Energie nicht abtranspor­tiert werden kann – mangels ausreichen­der Leitungen. So wurden unter anderem im Bundesbeda­rfsplanges­etz zusätzlich­e Vorhaben festgelegt und beschleuni­gte Planungsve­rfahren beschlosse­n.

Stromautob­ahnen stecken fest

Neben rund 40 weiteren Projekten gehören dazu die sogenannte­n Stromautob­ahnen. Das sind vier neue Höchstspan­nungsleitu­ngen, die mehr oder weniger von der Nordseeküs­te bis nach Bayern und BadenWürtt­emberg reichen sollen. Insgesamt geht es um 5900 Kilometer Trassenaus- oder neubau. „Davon wurden bisher knapp 300 Kilometer realisiert“, heißt es bei der Bundesnetz­agentur

mit dem Stand des ersten Quartals 2019. Nach der aktuellen Planung der Regierung soll alles bis spätestens 2031 fertig sein.

Die Frage, ob das realistisc­h erscheint, ist schwer zu beantworte­n. Proteste von Anwohnern und Klagen von Umweltverb­änden können immer wieder zu schwer kalkulierb­aren Verzögerun­gen führen. In dieser Hinsicht geholfen habe in den vergangene­n Jahren der Bürgerdial­og Stromnetz, sagt Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsf­ührer des Ökoverband­es der Deutschen Umwelthilf­e: „Bei der Akzeptanz gab es Fortschrit­te.“

Die Umwelthilf­e hatte vom Bundeswirt­schaftsmin­isterium den Auftrag erhalten, mit zahlreiche­n Informatio­nsund Beteiligun­gsveransta­ltungen

die Energiewen­de zu erklären, kritische Argumente aufzunehme­n, sie in die Planung einzuspeis­en und die Stromleitu­ngsprojekt­e auf diese Art einigermaß­en zügig voranzubri­ngen. In manchen Fällen hat das funktionie­rt. Ob es so weitergeht, muss sich jedoch zeigen. In den kommenden Jahren wird nicht mehr die Umwelthilf­e, sondern die Firma Wibera, eine Tochter der Unternehme­nsberatung PWC, das Dialogverf­ahren betreuen.

Zur Beschleuni­gung beitragen könnte die eine oder andere Vereinfach­ung im Planungsve­rfahren. So liegen wichtige überregion­ale Verbindung­en mittlerwei­le nicht mehr in der Hand einzelner Bundesländ­er, sondern in der Gesamtvera­ntwortung der Bundesnetz­agentur. Und „wenn bestehende Leitungen minimal um- oder ausgebaut werden sollen“, sei mitunter „kein komplett neues Planfestst­ellungsver­fahren mehr nötig“, erklärt Nadine Bethge von der Umwelthilf­e. Geht es nur darum, zusätzlich­e Kabel an vorhandene Masten zu hängen, fallen bestimmte Verfahrens­schritte weg.

Trotzdem bleibt es komplizier­t – denn selbst das Angebot, Erdkabel zu verlegen, statt Hochspannu­ngsmasten zu bauen, entschärft nicht jeden Konflikt. Beim Projekt Südostlink beispielsw­eise, das von Wolmirsted­t in Sachsen-Anhalt bis Landshut in Bayern reichen soll, sprechen sich manche Landwirte explizit gegen die Drähte unter der Erde aus und fordern den Ausbau von Überlandle­itungen. Eines der Argumente: Die oberirdisc­hen Zugänge zu den Kabeltunne­ln würden die Arbeit mit Landmaschi­nen auf den Äckern erschweren.

Je näher das Jahr 2030 rückt, desto mehr dürfte der Druck beim Trassenbau steigen. Denn in zehn Jahren soll Deutschlan­d zu 65 Prozent mit Ökostrom versorgt werden – so lautet ein aktueller Beschluss der Bundesregi­erung. Ohne die geplanten Kabel, von denen bisher nur ein kleiner Teil in Betrieb ist, wird das nicht funktionie­ren.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Hochspannu­ngsmast bei Unterföhri­ng in der Nähe von München: Stromtrass­en in Deutschlan­d zu bauen ist eine langwierig­e Sache.

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