„Es gibt keine Schutzlücke“
Kinderrechte ins Grundgesetz: Thorsten Frei (CDU) warnt vor der Einschränkung von Elternrechten
Kinderrechte eigens im Grundgesetz festzuhalten, das hört sich für die meisten erst einmal überzeugend an. Doch Unionsfraktionsvize Thorsten Frei blickt skeptisch auf den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf von Justizministerin Christine Lambrecht (SPD), mit dem Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden sollen. Der baden-württembergische CDU-Politiker, zuständig für Recht und Innenpolitik, befürchtet, dass das Elternrecht angetastet werden könnte. Er mahnt deshalb zur Vorsicht und warnt vor Schnelligkeit. Mit dem Bundestagsabgeordneten für den Wahlkreis Schwarzwald-Baar sprach Sabine Lennartz. Herr Frei, vor 30 Jahren wurde die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet und ebenso lange wird schon gefordert, dass Kinderrechte ins Grundgesetz sollen. Warum hat das so lange gedauert?
Zunächst einmal ist es ja so, dass es keine Schutzlücke in unserem Grundgesetz gibt. Die Grundrechte gelten für alle Menschen, für Kinder, Erwachsene, Kranke, Gesunde, Junge, Alte – für alle. Dass es insbesondere auch bei Kindern so ist, hat das Bundesverfassungsgericht in jahrzehntelanger Rechtsprechung immer wieder dargelegt. Es gibt kein Defizit, was den Schutz von Kindern im Grundgesetz anbelangt.
Wie kam denn dann die Idee in den Koalitionsvertrag?
Kinderrechte sollten in besonderer Weise sichtbar gemacht werden. Das ist natürlich unterstützenswert. Wenn man sich aber mit dem Artikel 6 des Grundgesetzes beschäftigt, so gibt es dort ein klug austariertes Verhältnis von Kind, Eltern und Staat. Es ist so ausformuliert, dass die Pflege, die Liebe, die Förderung, die Unterstützung zuvorderst Recht und Pflicht der Eltern sind. Der Staat hat eine Wächterfunktion und greift erst dann ein, wenn Eltern ihrer Aufgabe nicht gerecht werden. Dieses Verantwortungsdreieck darf nicht zulasten der Eltern und zugunsten des Staates verschoben werden.
Wo könnten denn Elternrechte beschnitten werden?
Bei Verfassungsänderungen muss man in höchstem Maße vorsichtig sein. Die Auslegung erfolgt durch das Bundesverfassungsgericht. Es ist möglich, dass eine gut gemeinte Änderung am Ende anders ausgelegt wird. Deshalb muss man bei jedem Wort sehr genau aufpassen. Ich erinnere nur an die Worte des ehemaligen Richters am Bundesverfassungsgericht, Udo Steiner: „Wer Verfassungsrecht sät, wird Verfassungsrechtsprechung ernten.“Heute ist ein staatliches Eingreifen nur bei einer ernsthaften Gefährdung des Kindeswohles möglich. Die Hürden müssen entsprechend hoch sein. Der Staat kann zum Beispiel nicht sagen: „Offensichtlich werden die Bildungschancen dieses Kindes nicht optimal genutzt, deshalb nehme ich es aus der Familie und kümmere mich selbst.“
Gibt es denn Länder, in denen die Auswirkungen, die Sie befürchten, eingetreten sind?
Norwegen ist ein Land, das in seiner Art, seinen sozialen Sichtweisen und seinem Wohlstand mit Deutschland durchaus vergleichbar ist und von sich glaubt, ein sehr modernes Kinderrecht zu haben. Dort ist es so, dass der Staat sehr stark in Familien eingreift. In dem kleinen Land mit 5,3 Millionen Einwohnern gibt es pro Jahr 44 000 Ermittlungsverfahren in Familiensachen, das ist dreimal mehr als in Frankreich. Jeden Tag werden dort vier bis fünf Kinder in staatliche Obhut genommen und dann an Pflegefamilien vermittelt. Das möchte ich für unser Land nicht.
Justizministerin Lambrecht sagt, das Elternrecht solle bewusst nicht angetastet werden.
Man kann auch guten Willens eine Grundgesetzänderung machen und trotzdem das Gegenteil erreichen. Ich bin ja nicht gegen eine bessere Sichtbarmachung von Kinderrechten in unserer Verfassung, schließlich haben wir das im Koalitionsvertrag
vereinbart. Man muss nur genau schauen, dass man keine falschen Wirkungen erreicht. Denkbar wäre, dass man explizit darauf hinweist, dass das Elternrecht unberührt bleibt.
Steigt denn die Aufmerksamkeit für die Kinder, wenn sie ins Grundgesetz kommen?
Nicht zwangsläufig. Wir haben ja auch sonst als Einfach-Gesetzgeber alle Möglichkeiten, Kinderrechte zu stärken, wenn ich zum Beispiel an den Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern denke, wo wir ganz praktisch durch Gesetze und Geld die Situation von Kindern verbessern können.
Aus vielen Verbänden werden Vorbehalte geäußert, auch von Ihrem Fraktionschef Ralph Brinkhaus. Wie geht es denn jetzt weiter?
Wir werden konstruktiv damit umgehen, aber wir werden unsere Sicht einbringen: Elternrechte dürfen nicht zugunsten des Staates beschnitten werden. Für mich ist das eine eminent gesellschaftspolitische Frage, wie wir die Familie als Grundbestandteil unserer Gesellschaft sehen. Wir wollen den Staat als Wächter haben, der aber nur dann eingreift, wenn es Fehlentwicklungen gibt. Ich rate deshalb, dass wir uns nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Bei einer Verfassungsänderung geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Wir müssen am Ende mit gutem Gefühl eine Entscheidung treffen können. Schließlich könnte eine Ergänzung von Artikel 6 des Grundgesetzes die gesellschaftspolitisch weitreichendste Verfassungsänderung seit 1949 darstellen – zumindest besteht bei entsprechender Auslegung die Gefahr.